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Verbraucherschutzgesetz
Schlichtungsstellen sollen den Gang vor Gericht ersparen

Unzufriedene Stromkunden, Bahnreisende oder Versicherungsnehmer: Sie alle können sich seit Jahren an brancheneigene Schlichtungsstellen wenden. Zukünftig sollen alle Verbraucher Zugang zu solchen Güteverfahren haben, so will es Justizminister Heiko Maas. Doch vor allem Juristen kritisieren bereits seinen aktuellen Gesetzentwurf.

Von Stefan Maas |
    Ein Schild mit der Aufschrift "Schlichtungsstelle" aufgenommen vor der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern in Hannover (Niedersachsen)
    Schlichten statt richten: In dieser Woche wird der Bundestag über den Gesetzentwurf von Justiz- und Verbraucherschutzminister Heiko Maas, SPD, abstimmen. (picture alliance / dpa / Susann Prautsch)
    Der Ärger begann mit einem Sturm an der Nordsee. Der deckte die Dächer von zwei Mehrfamilienhäusern ab. "Dieser Sturmschaden als solches war versichert", erzählt Salvatore Parziale.
    "Ist auch alles ordnungsgemäß mit der Versicherung soweit eingehalten worden, abgesprochen worden, abgestimmt worden, anerkannt worden."
    Der Berliner verwaltet eines der Häuser für ein altes Ehepaar aus Süddeutschland.
    "Schlussendlich hat man sich nur einer Zahlung widersetzt. Mit immer neuen, längeren, unübersichtlichen Schriftsätzen."
    Die Versicherung begründete die ausbleibende Zahlung damit, dass das Dach nicht ordnungsgemäß in Stand gehalten worden sei. Deshalb habe der Sturm leichteres Spiel gehabt.
    "Von einem Gutachter als nicht richtig bewiesen, hat dann die Versicherung ihren eigenen Gutachter geschickt, einen versicherungsnahen Gutachter, der natürlich im Sinne der Versicherung ein Gutachten erstellt hat, und mit diesem war ich nicht einverstanden."
    Für den Immobilienverwalter und seine Auftraggeber stellte sich damals die Frage: Was tun? Die zunächst logische Antwort, vor Gericht zu ziehen und gegen die Versicherung zu klagen, kam auch wegen des hohen Alters der Hausbesitzer nicht infrage. Denn solch ein Verfahren ist nicht nur teuer, sondern auch langwierig.
    "Um nicht klagen zu müssen, habe ich mich mal belesen, was gibt es für andere Möglichkeiten, weil ich vom Ombudsverfahren in anderen Branchen gehört hatte, bin ich auf diesen Versicherungsombudsmann gestoßen und hab dem diese Dinge so geschildert."
    Verbraucherzentrale: "Schlichtung kann schnell und unbürokratisch helfen"
    Solche Ombudsverfahren gibt es inzwischen in mehreren Branchen: Stromkunden, die etwa um ihren Wechselbonus kämpfen, unzufriedene Bahnkunden, die meinen, die Entschädigung, die das Unternehmen wegen einer Verspätung oder eines Zugausfalls gezahlt hat, sei zu gering, Kunden, die mit ihrem Online-Einkauf Ärger haben, Mandanten, die den Eindruck haben, das Anwaltshonorar sei zu hoch gewesen – und eben Versicherungskunden. Sie alle können sich bereits seit Jahren an brancheneigene Schlichtungs- und Schiedsstellen wenden. Und auch im Handwerksbereich gibt es entsprechende Angebote.
    Bundesjustizmininster Heiko Maas
    Justiz- und Verbraucherschutzminister Heiko Maas wünscht sich mehr Schlichtungsstellen - im Idealfall brancheneigene. (dpa / picture-alliance / Soeren Stache)
    Weil das meist zu zufriedenstellenden Ergebnissen führt, sollen zukünftig alle Verbraucher bei Problemen Zugang zu entsprechenden Verfahren haben. So will es Justiz- und Verbraucherschutzminister Heiko Maas. In dieser Woche wird der Bundestag über den Gesetzentwurf aus seinem Hause abstimmen.
    Klaus Müller, der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, begrüßt, dass der Justizminister damit eine Alternative zum Gang vor Gericht stärkt. Er sieht trotz aller Erfolge noch viel Nachholbedarf in Deutschland. Etwa bei der Telekommunikation. Sitzen Kunden tagelang ohne Anschluss da, weil der Monteur nicht kommt, gibt es Probleme beim Anbieterwechsel oder schlüsselt der Anbieter die Rechnung nicht nach Einzelverbindungen auf, können sie sich an die Bundesnetzagentur wenden. Geht es aber zum Beispiel um Schadenersatz, ist die Bundesnetzagentur nicht zuständig. Die Kunden müssen sich mit den Anbietern selbst auseinandersetzen. Dabei sei gerade bei kleineren Summen eine Schlichtung ein guter Weg, sagt Müller:
    "In dem Moment, wo Ihnen irgendwo Unrecht geschieht, mindestens nach Ihrem Gefühl, und Sie vor Gericht ziehen, dann wissen Sie, Sie brauchen jetzt lange Nerven. Sie brauchen auch die Möglichkeit, das zu bezahlen, und beides ist nicht automatisch gegeben. Nicht jeder ist Jurist oder Hobbyjurist, nicht jeder hat eine Rechtsschutzversicherung oder eine Portokasse, die das ermöglicht, und darum ist es so wichtig, einen niedrigschwelligen Zugang zum Recht zu gewährleisten, auch wenn es jetzt kein gerichtliches Verfahren ist. Und in vielen Fällen, in vielen kleineren Fällen, kann Schlichtung schnell und unbürokratisch helfen."
    Versicherungswirtschaft setzt seit 2001 auf Ombudsmann
    Das war auch im Fall von Salvatore Parziale und seinen Auftraggebern so. Parziale schrieb dem Büro des Versicherungsombudsmanns, beschrieb die Sachlage und reichte die Gutachten ein. Anschließend:
    "Dauerte das vielleicht 14 Tage, bis ich zunächst sehr vorbildlich eine Eingangsbestätigung bekommen habe, dann hat diese Versicherung auch die Chance bekommen, seitens der Ombudsstelle, Stellung dazu zu nehmen, das ganze Verfahren dauerte so gefühlt zwei bis drei Monate etwa, und dann war die Versicherung bereit zu zahlen."
    "Jeder verlorene Kunde ist ein teurer Kunde natürlich", sagt Thomas Lämmrich vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Deshalb hätten sich die Unternehmen entschlossen, 2001 einen Ombudsmann einzusetzen, zusätzlich zu den firmeneigenen Beschwerdestellen.
    "Ich glaube, dass es ein Teil eines modernen Verständnisses von Kundenfreundlichkeit ist", sagt Verbraucherschützer Müller. Fehler passierten eben. Entscheidend sei der Umgang damit:
    "Und in dem Moment, wo ein Unternehmen sagt, eine Schlichtungskultur, eine Schlichtungsstelle nutzt mir doch, um meinen Kunden zu sagen, selbst wenn mal was schiefgegangen ist, was keiner wollte, oder wir einen Fehler gemacht haben, dann regeln wir das. Im Sinne des Verbrauchers. Und dazu können Schlichtungsstellen beitragen."
    "Natürlich war der Weg zum Ombudsmann nicht diskussionsfrei", erzählt Versicherungsexperte Thomas Lämmrich:
    "Es wurde diskutiert, gerade so Dinge wie die Unabhängigkeit der Schlichtungsstelle, die Organisation der Schlichtungsstelle oder auch die Verbindlichkeit der Entscheidungen des Ombudsmanns. Aber die Praxis und auch die Anerkennung, die die Schlichtungsstelle heute genießt, geben der Entscheidung recht und bestätigen auch, dass genau diese Punkte, Unabhängigkeit und auch Verbindlichkeit der Entscheidung, wichtige Punkte der Entscheidung damals waren."
    Der oberste Schlichter der Branche
    "Ich ging im Januar 2008 in Ruhestand als Präsident des Bundesgerichtshofs, und nach zwei Monaten Auszeit wurde ich vom Richter zum Schlichter."
    Seit sieben Jahren ist Günter Hirsch nun bereits der Versicherungsombudsmann – der oberste Schlichter der Branche. Mit seinem Team aus 20 Juristen und 14 Versicherungskaufleuten und Verwaltungspersonal bearbeitet er mittlerweile rund 20.000 Fälle im Jahr. Das, sagt Hirsch, sei wohl die höchste Fallzahl bei einer
    branchenspezifischen Schlichtungsstelle. Im Schnitt dauern die Verfahren drei Monate. Dabei sehen der Ombudsmann und sein Team vor allem zwei Arten von Fällen.
    Der Versicherungsschein einer Lebensversicherung. 
    Zahlt die Lebens- oder Unfallversicherung? Auch um diese Fragen kümmern sich der Versicherungsombudsmann und sein Team. (imago / Rainer Unkel)
    Da sind zum einen Vertragsfragen – ist der Vertrag wirksam zustande gekommen, war die Beratung bei Vertragsabschluss in Ordnung, hat der Kunde etwa bei einer Berufsunfähigkeit richtige Angaben zu seinem Gesundheitszustand gemacht? Und dann sind da noch die Regulierungsfragen. Wenn ein Sturm ein Dach abgedeckt hat, wie im Fall der Auftraggeber von Salvatore Parziale. Oder wenn es darum geht:Hier habe ihn ein Fall besonders beschäftigt, erzählt Günter Hirsch:
    "Das war ein Familienvater, um die 40 Jahre, zwei kleine Kinder, der im Badezimmer, nachdem er eine heiße Dusche genommen hat, zu Fall gekommen ist, die Fliesen waren feucht. Er fiel durch die Glastür, schnitt sich die Schlagader auf und kam zu Tode."
    Die Witwe meldete sich bei seiner Unfallversicherung. Die fragte beim Hausarzt des Mannes nach seinem Gesundheitszustand und erfuhr, dass er unter einer schweren Herzerkrankung litt.
    "Eine Herzattacke mit dem späteren Todesfall durch den Sturz in die Glasscheibe ist kein Unfall. Das ist die Auswirkung einer Krankheit. Ein Ausrutschen ist ein Unfall. Es kam also darauf an: Ist er ausgerutscht - oder hatte er eine Herzattacke."
    Weil der Mann zu diesem Zeitpunkt bereits eingeäschert worden war, ließ sich die Todesursache nicht mehr sicher klären:
    "Das heißt, die Ehefrau mit den kleinen Kindern stand da und hatte die Beweislast. Sie musste beweisen, es war ein Unfall. Das konnte sie natürlich nicht beweisen. Genau so wenig wie man die Herzattacke beweisen konnte. Es ist also ein typischer Fall, dass derjenige, der die Beweislast trägt, dann eben den Nachteil hat, weil keine der beiden Varianten beweisbar mehr ist."
    Die Folge: Kein Geld für die Familie. Nicht ohne eine gewisse Zufriedenheit erzählt Hirsch, dass er sich daraufhin an den Versicherer gewandt habe:
    "Und hatte darauf hingewiesen, dass ich es für das Image des Unternehmens und auch für die Situation dieser Familie nicht gut fände, wenn sie völlig leer ausginge, allein deshalb, weil es nicht mehr aufklärbar ist."
    Keine Konkurrenz zum Richter
    Hinzu kam ein juristisches Argument: Vor Gericht hätte ein Richter versuchen können, die Beweislast umzukehren. Dann hätte das Unternehmen beweisen müssen, dass es sich nicht um einen Unfall gehandelt hat. Am Ende zahlte die Versicherung.
    "Aber so eine Möglichkeit hat ein Richter natürlich nicht, an andere Dinge zu appellieren als an die Realisierung des Rechts. Das kann eben in einem Schlichtungsverfahren gemacht werden. Und zum Teil eben, wie das zeigt, erfolgreich."
    Als Konkurrenz zum Richter sieht sich der Schlichter aber nicht, auch wenn sich die Fälle ähneln. Er habe nicht die Kompetenzen eines Richters, sagt der Jurist, obwohl auch er rechtlich begründet verbindlich entscheiden könne – wenngleich auch nur gegen die Unternehmen. Heißt: Die Versicherungen müssen sich daran halten, solange es um nicht mehr als 10.000 Euro geht. Darauf hat sich die Branche verständigt.
    Bis zu einer Summe von 100.000 Euro, der Obergrenze für seine Fälle, kann er eine Empfehlung geben. Die ist aufgebaut wie eine Entscheidung, aber unverbindlich, auch wenn die Unternehmen sich in der Regel daran halten. Die Kunden müssen seine Entscheidungen nicht akzeptieren.
    "Und insbesondere unterscheidet sich mein Verfahren darin, dass es ein vereinfachtes schriftliches Verfahren ist. Das heißt, ich höre keine Zeugen, ich schalte keine Sachverständigen ein. Wenn ich mit meinen Möglichkeiten den Sachverhalt nicht aufklären kann, dann muss ich sozusagen die Waffen strecken, es sei denn, die Parteien schließen auf meine Vermittlung hin einen Vergleich. Aber wenn die Sache streitig bleibt, kann ich sie nicht entscheiden, weil ich die Beweismittel nicht habe."
    "Kein Kampf ums Recht, sondern gütliche Einigung"
    Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen der Schlichtung und dem Weg zum Richter: Das Gerichtsverfahren ist auf Auseinandersetzung programmiert:
    "Vor Gericht findet der Kampf ums Recht statt. Das heißt, da verhärten sich die Fronten eher. Beim Ombudsmann ist genau das Gegenteil der Fall. Ich möchte keinen Kampf ums Recht, ich möchte eine gütliche Einigung, eine Schlichtung. Ich möchte den Rechtsfrieden wieder herstellen zwischen den Parteien."

    Das sei natürlich nicht immer möglich, etwa wenn die Rechtslage ganz klar gegen den Verbraucher steht. Ist ein Verbraucher mit der Entscheidung des Ombudsmannes nicht einverstanden, kann er jederzeit vor Gericht ziehen. Für die Versicherungsunternehmen habe sich die Ombudsstelle aber durchaus bezahlt gemacht, resümiert Thomas Lämmrich vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft:
    Hände symbolisieren eine Streitschlichtung.
    Gerichtsverfahren sind auf Auseinandersetzung programmiert. Bei der Schlichtung geht es darum, sich gütlich zu einigen. (picture alliance / dpa / Tobias Kleinschmidt )
    "Kundenvertrauen und Kundenzufriedenheit sind wesentlich im Wettbewerb."
    Ein zufriedener Kunde bleibt dem Unternehmen wahrscheinlich treu. Er würde deshalb jeder Branche raten, eine eigene Schlichtungsstelle einzurichten, sagt Ombudsmann Hirsch. Allein schon aus Wettbewerbsgründen:
    "Ein Instrument, das bei den Verbrauchern gut ankommt, es ist ja ein Verbraucherschutzinstrument. Und sich sehe es im Versicherungswesen, dass die Branche von sich aus immer wieder darauf hinweist, dass sie dieses Instrument hat und dass auch die Öffentlichkeit insgesamt und auch die Politik es anerkennt, dass die Branche selbst durch eine unabhängige Schlichtungsstelle zugunsten der Verbraucher eine schnelle Lösung sucht."
    EU-Staaten sollen dichtes Netz an Schlichtungsstellen einrichten
    Mehr Schlichtungsstellen wünscht sich auch Justiz- und Verbraucherschutzminister Heiko Maas, im Idealfall brancheneigene. Im Jahr 2013 hat die Europäische Union eine Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten verabschiedet. Darin werden die Mitgliedsstaaten aufgefordert, ein dichtes Netz an Schlichtungsstellen einzurichten. Noch gibt es das in Deutschland nicht.
    Der Gesetzentwurf aus Maas' Ministerium sieht nun vor, dass, falls es keine brancheneigenen Lösungen gibt, es stattdessen Auffangschlichtungsstellen geben soll, für die die Bundesländer zuständig sind. Zentrale Stellen, die nicht spezialisiert sind und sich erst einmal um alle Fälle kümmern müssen.
    Heute vielleicht Telekommunikation und morgen Streit im Pflegeheim – eine solche Themenbandbreite wäre nur die zweitbeste Lösung, findet Gerd Billen, Staatssekretär im Verbraucherschutzministerium:
    "Das kann sich vielleicht noch durch Know-how und Kompetenz wettmachen. Aber sie kann keine verbindlichen Schlichtungssprüche machen, wie das im privaten Bereich möglich ist. Es kann sein, dass ein Verbraucher sich mit einem Thema an die Universalschlichtung wendet, auch ein Schlichtungsvorschlag gemacht wird, die Unternehmen das aber nicht akzeptieren, sondern nur ignorieren."
    Freiwilligkeit statt Schlichtungszwang
    Denn der Gesetzentwurf sieht keine Schlichtungspflicht vor. Anders als etwa in der Versicherungsbranche, wo sich die Unternehmen darauf verständigt haben, die Schlichtungsergebnisse anzuerkennen, kann bei der Universalschlichtung kein Unternehmen gezwungen werden, den Spruch anzunehmen, erklärt Billen, oder überhaupt an dem Verfahren teilzunehmen. Eine für alle Unternehmen verpflichtende Schlichtung wäre auch wegen der Berufsfreiheit verfassungsrechtlich problematisch, gibt der Staatssekretär zu bedenken:
    "Und wenn man sie dazu zwingt, dann gibt es keine guten Ergebnisse. Es kann sogar zu Problemen für die Schlichtungsstellen kommen. Deswegen setzen wir auf Freiwilligkeit. Also, ich glaube, ein Schlichtungszwang wäre die Ultima Ratio, wenn wir feststellen, dass sehr sehr viele Verbraucher weder vor Gericht noch vor einer Schlichtungsstelle ihre Anliegen dann auch deutlich machen können."
    Das Ministerium setzt auf einen anderen Weg, um die Unternehmen zur Schlichtung zu bewegen: den Wettbewerb. Firmen müssen zukünftig kenntlich machen, wie sie zu einem solchen Verfahren stehen:
    "Das heißt, ich habe schon bei der Wahl eines Vertragspartners die Möglichkeit, mir anzugucken, ist das ein Unternehmen, das sich im Bereich der Schlichtung freiwillig beteiligt, oder ist es das nicht. Ich glaube, das wird auch einen gewissen Einfluss auf den Markt haben."
    Klaus Müller, der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes zweifelt daran. Er ist mit dem freiwilligen Ansatz nicht zufrieden, auch wenn er in einigen Branchen funktioniert:
    "Freiwillig tun das immer die Unternehmen, die sowieso gut sind. Wir brauchen aber die Unternehmen, wo die Probleme sind. Und die kriegt man leider selten durch gute Worte."
    Dass der Gesetzgeber mit Druck durchaus etwas bewegen kann, beobachtet Müller bereits in verschiedenen Branchen. Lange Jahre habe es zum Beispiel Streit gegeben um Luftverkehrs- und Fahrgastrechte:
    "Ein absolut unrühmliches Kapitel für viele Fluglinien und andere Reiseveranstalter."
    Juristen kritisieren Schlichtungsverfahren als Paralleljustiz
    Ähnlich im Energiesektor. Dort hätten etwa die Pleiten von Stromanbietern, die von ihren Kunden den Gesamtbetrag vorab verlangt hätten, viele Verbraucher "ins Unglück gestürzt", sagt Müller:
    "Auch damals hat der Gesetzgeber gesagt, regelt das zivilgesellschaftlich, sonst regeln wir das gesetzlich. Und beides Mal hat dazu geführt, dass es im Kern sehr leistungsfähige Schlichtungsstellen einer Branche gibt, wo jetzt tatsächlich zumindest alle wichtigen Akteure mit dabei sind und anerkannt haben, ja, es ist sogar ein Fortschritt."
    Wo es heute schon brancheneigene Schlichtungsstellen gibt, haben sich die Mitgliedsunternehmen auf eine Finanzierung geeinigt. Die Kunden zahlen nichts oder fast nichts. Die Arbeit der Universalschlichtungsstelle müssten die betroffenen Unternehmen im Einzelfall bezahlen, denn für die Verbraucher soll das alternative Streitbeilegungsverfahren auch in diesen Fällen keine Kosten verursachen.
    Dagegen hat sich die Wirtschaft gew
    ehrt, die hohe Kosten auf sich zukommen sieht, wenn sich viele Verbraucher an die Schlichtungsstelle wenden. Aber auch manche Juristen schauen kritisch auf den Ausbau der Schlichtungsinfrastruktur: Sogar das Wort von der Paralleljustiz macht gelegentlich die Runde.
    Ein Buch zum Strafrecht liegt in einem Gericht in Berlin.
    Konkurrenz oder Entlastung? Justiz und Politik sind sich nicht ganz einig in der Bewertung der Schlichtungsstellen. (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Keine Rechtsdurchsetzung, sondern Kulanz
    "Da ist sicherlich was dran", sagt Martin Fries vom. Allerdings sei der Gesetzgeber durch die EU-Vorgaben zum Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur verpflichtet:
    "Das heißt, wir haben ein zweites System neben dem bereits existierenden Justizsystem. Daran gibt es zunächst einmal wenig zu deuteln. Und wenn man dann fragt, inwieweit macht das Sinn oder ist das nur eine Paralleljustiz, dann ist es aus meiner Sicht auch dort wieder entscheidend, welche Ziele das Schlichtungsverfahren verfolgt: Wenn es das Ziel Rechtsdurchsetzung verfolgt, dann stellt sich die Frage: Warum ein zweites System mit der identischen Zielsetzung der Justiz aufbauen? Wenn es andere Ziele verfolgt, kann das aus meiner Sicht durchaus sinnvoll sein."
    So sollten Schlichtungsstellen aus seiner Sicht deutlich machen, dass sie sich als Selbstkontrollstellen der Unternehmensseite verstehen. Dass es nicht um Rechtsdurchsetzung wie bei den Gerichten geht, sondern um Kulanz.
    "Das ist ein bisschen die Befürchtung, dass man den Bürgern verspricht, dass es Justiz auf einmal kostenlos gibt, und dass es sie völlig unbürokratisch gibt und schnell. Und ich glaube, dieses Versprechen kann ein Schlichtungssystem nicht halten. Wenn man den Verbrauchern aber dieses Versprechen macht, und sie glauben das, dann führt das dazu, dass diejenigen, die heute noch klagen, das sind sicherlich nicht alle, aber das sind einige, dass die über kurz oder lang überwiegend in das Schlichtungssystem gezogen werden."
    Eine wirkliche Konkurrenz der beiden Systeme kann Renate Künast nicht erkennen. Ein gut ausgebautes System von Schlichtungseinrichtungen könne die Gerichte aber in bestimmten Fällen entlasten, meint Künast, selbst ehemalige Verbraucherschutzministerin, heute im Bundestag Vorsitzende des Justiz- und Verbraucherschutz-Ausschusses. Allerdings nur dann, wenn ein wesentlicher Punkt geklärt sei: "Das Thema Verjährung."
    Hier hat die Grünenpolitikerin früh Nachbesserungsbedarf angemeldet: Vorbild solle das Verfahren bei Gericht sein. Sobald die Klage bei Gericht eingegangen ist, wird die Verjährung gehemmt:
    "Und da muss sich die Streitschlichtung was überlegen. Wir haben hier keine verjährungshemmenden Regeln, aber es muss ja eigentlich möglich sein, eine Streitschlichtung auch noch kurz vor der Verjährung zu versuchen."
    Wer finanziert die Schlichtungsstellen?
    In diesem Punkt wurde der Gesetzentwurf aber nicht zur Zufriedenheit der Verbraucherschützer nachgebessert. Reicht ein Kunde seinen Antrag kurz vor Ende der Verjährungsfrist bei der Schlichtungsstelle ein, hat er Pech, wenn die Frist in der Zeit, in der sein Anliegen geprüft wird, abläuft. Befindet die Schlichtungsstelle, der Antrag ist nicht begründet und wird deshalb nicht an das Unternehmen weitergeleitet, kann der Verbraucher auch nicht mehr vor Gericht ziehen.
    Der Jurist Martin Fries weist noch auf einen weiteren Punkt hin, der den Anwaltverein beschäftigt: die Qualifikation der Schlichter und ihrer Mitarbeiter. Denn die bereiten die Entscheidungen ja vor. Deshalb dürfe nicht nur der Ombudsmann alleine juristisches Fachwissen haben. Das sehen die Verbraucherschützer etwas weniger streng, sagt Klaus Müller:
    "Uns schwebt eine Kombination vor aus einer klaren Anforderung an die Schlichtungsperson, die verantwortliche. Und da drunter muss man das effizient umsetzen."
    Dieser Ansatz hat seinen Weg in den Text gefunden. Müller sieht aber trotzdem noch eine Reihe von Hürden, bis die Verbraucher sich wirklich an die neuen Schlichtungsstellen werden wenden können. Eine Frage bleibt nämlich noch offen: Wie soll so eine Stelle genau aussehen? Formal zuständig sind die Länder. 16 Schlichtungsstellen, die sich alle um das gleiche kümmern, nützen den Verbrauchern aber nichts, sagt Müller. Besser wären 16 Fachstellen. Dafür gebe es Vorbilder, etwa bei den Verbraucherzentralen. Und wenn das koordiniert ist, dann gilt es nur noch zu klären: Wer finanziert die Schlichtungsstellen? Da, verrät Müller, erwarte er noch lange Diskussionen.