In ihrem Büro im argentinischen Santiago del Estero blickt die Ärztin Analia Seu auf eine Karte. Ihr Arbeitsgebiet ist der Chaco, der dichte Buschwald im Norden Argentiniens - ein Brennpunkt für Chagas. Die kleine Frau mit den dichten Locken leitet ein Team von knapp 200 Mitarbeitern. Eine der Hauptaufgaben ist die Bekämpfung der Raubwanzen, die Chagas auf Menschen übertragen. Analia Seu ist optimistisch:
"In vier Jahren können wir die Bekämpfung der Raubwanzen in der Provinz abschließen und eine ständige Kontrolle einrichten."
Dass die Ärztin sich auf Chagas spezialisiert hat, ist kein Zufall. Die 54-Jährige ist selbst infiziert.
"Ich habe mir bewusst Chagas als Arbeitsfeld gewählt. Ich möchte dort etwas tun, wo ich den Leuten, die ich kenne, helfen kann. Meine ganze Familie hat Chagas, meine Brüder, mein Vater, meine Mutter."
19 von 20 Übertragungen ohne auffällige Symptome
Die Raubwanzen übertragen den Parasiten Trypanosoma Cruzi. Oft bekommt der Wirt von der Ansteckung nichts mit – 19 von 20 Übertragungen verlaufen ohne auffällige Symptome. Nach einer Latenzzeit, die Jahre oder Jahrzehnte betragen kann, kommt es bei etwa jedem Dritten zum Ausbruch der Krankheit. Am häufigsten ist eine Entzündung des Herzmuskels, die unbehandelt tödlich sein kann. Der Kampf gegen die Raubwanze hat sich als eines der wirkungsvollsten Gegenmittel erwiesen.
"Als ich in Santiago anfing, hatten wir etwa 14 Übertragungen durch Raubwanzen pro Jahr, heute haben wir etwa einen Fall alle fünf Jahre."
Chagas kann aber auch von Mensch zu Mensch übertragen werden, etwa durch Blut- oder Organspenden sowie bei der Geburt von der Mutter auf ihr Kind. Doch auch in diesem Bereich ist die Krankheit heute vielerorts unter Kontrolle. Fast jede Blut- oder Organspende in Lateinamerika werde auf Chagas überprüft, sagt Seu. Nur bei Geburten blieben in Argentinien trotz einer Test-Pflicht noch etwa 1500 Übertragungen pro Jahr unerkannt, weil in der Praxis nur etwa vier von fünf Schwangeren getestet werden.
In Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires arbeitet Sergio Estani für die Initiative "Arzneimittel gegen vernachlässigte Krankheiten". Er sagt:
"Die große Herausforderung ist heute, die Infizierten auszumachen, die keine Symptome zeigen und sie gegen die Parasiten zu behandeln."
Frühe Behandlung ist entscheidend
Die frühe Entdeckung ist für die Behandlung entscheidend. Die zwei verfügbaren Medikamente, Benznidazol und Nifurtimox, helfen nur zuverlässig bei Kindern oder kurz nach der Infektion. Außerdem sind sie nicht ungefährlich.
"Je jünger der Patient, desto besser verträgt er das Medikament."
Bei Erwachsenen haben die Mittel teils schwere Nebenwirkungen, etwa ein erhöhtes Krebsrisiko oder bleibende Nervenschäden. Trotzdem sind sie bisher das einzige, was die Medizin gegen den Parasiten in der Hand hat. Hoffnung auf Heilung für alle Infizierten kommt aus München. Am Helmholtz-Zentrum forschen Michael Sattler und sein Team an einem neuen Wirkstoff:
"Was wir da gezeigt haben, ist ein neues Prinzip gegen Chagas und auch andere trypanosomale Erkrankungen, wobei bei Chagas der größte "medical need" ist, da ist auch wenig in der Pipeline."
Zehn Jahre bis zu einem Wirkstoff, der Wirkung zeigt
Der Clou bei dem Wirkstoff aus München? Er hemmt gezielt Enzyme, die für den Parasiten wichtig sind, für den Menschen aber nicht. Das Problem? Noch kommt der Wirkstoff im Körper nicht zuverlässig zum Parasiten. Ob und wann daraus ein Medikament wird, kann Sattler nicht genau sagen:
"In der Pharmaindustrie kann man dann vielleicht zehn Chemiker darauf ansetzen, wir haben zwei oder drei. Aber in der Pharmaindustrie ist es, wenn es schnell geht, zehn Jahre bis man zu einem Wirkstoff kommt, der Wirkung im Menschen gezeigt hat."
Kam Chagas früher fast ausschließlich in Lateinamerika vor, hat sich die Krankheit heute ausgebreitet. Man gehe von bis zu 120.000 Infizierten in Europa aus, sagt Thomas Zoller vom Deutschen Chagas-Projekt ELCiD in Berlin. In Deutschland seien nach Schätzungen etwa 2000 Menschen betroffen. Vorkehrungen gegen eine Übertragung gibt es bisher kaum.
"In Deutschland werden routinemäßig keine Blutproben auf Chagas-Infektionen überprüft und man muss wissen, dass die meisten Menschen nicht wissen, dass sie infiziert sind. Insofern gehe ich schon davon aus, dass es in Deutschland immer wieder Übertragungen gibt, die nicht erkannt werden. Da sind andere Länder wie Großbritannien weiter, die Menschen zu diesem Risiko befragen, wenn sie in Lateinamerika geboren sind oder dort lange gelebt haben und dann auch aktiv einen Test anbieten."
In der Natur wird man Trypanosoma Cruzi auch in Zukunft kaum beseitigen können. Doch die Krankheit Chagas beim Menschen zu besiegen, zumindest das scheint möglich.