Nur noch wenige Wochen, bis Donald Trump sein Amt als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika antritt. Noch immer sind sich die Politikanalysten uneins, was ihm zum Sieg verholfen hat. Unter den eher materiellen Gründen aber rangiert in der Debatte einer ganz vorn: der soziale Abstieg der "White Working Class" in den alten Industrierevieren. Die Überreste der traditionellen Arbeiterschicht haben sich für die Entwertung ihrer Arbeit an der Demokratie gerächt.
Was dieser Befund für die deutsche Politik bedeutet, diese Frage liegt angesichts der neuartigen Wut- und Hass-Demonstrationen auf deutschen Marktplätzen auf der Hand. Vertreter der Großen Koalition antworten darauf allerdings - wenn überhaupt -, dann ganz vorsichtig:
"Wir sprechen hier von der Wahl in den Vereinigten Staaten von Amerika, und nicht von einer kommenden Bundestagswahl oder Wahlen in Deutschland. Und deswegen warne ich sehr davor, nun aus dem einen Erklärungen und Lösungen und Erklärungsansätze zu extrapolieren, wie dann hier angesetzt wird."
Verlautbarte Regierungssprecher Steffen Seibert gleich am ersten Tag nach der Trump-Wahl. Gleichzeitig aber reagierten Union wie SPD sehr prompt – und suchen seither nach Worten für die Gruppe, die sie nun verstärkt ansprechen wollen. Die CDU wählte anlässlich ihres Parteitags Anfang Dezember zunächst den Begriff Modernisierungsverlierer, der Parteivorstand schrieb ihn in den Entwurf zum Leitantrag. In der ARD-Talkshow von Moderatorin Anne Will darauf angesprochen, sagte Kanzlerin Angela Merkel allerdings:
"Ich habe deshalb etwas gelächelt eben, weil wir über das Wort heute sehr lange diskutiert haben."
- Anne Will: "Und?"
- "Und es im Endeffekt wieder rausgefallen ist ..."
- Anne Will: "Ach, guck."
- "... aber nicht, weil wir nicht das Phänomen beschreiben wollen, dass sich Menschen abgehängt fühlen. Es geht darum, dass Menschen sich nicht mitgenommen fühlen, abgehängt fühlen, den Eindruck haben, um mich kümmert man sich zu wenig, ich komme nicht mit. Und diese Erkenntnis ist natürlich nicht neu, aber sie ist schon drängender geworden."
Die Linkspartei hat dagegen weniger Probleme, wirtschaftlichen Abstieg jenseits und diesseits des Atlantiks zum Grund für rechtsnationalistisches Wahlverhalten zu erklären. Linken-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht im Bundestag:
"Auch in Deutschland haben immer mehr Menschen gute Gründe, enttäuscht und wütend zu sein über eine großkoalitionäre Einheitspolitik, die sich für ihre elementaren Lebensinteressen, für ihre Zukunftsängste überhaupt nicht mehr interessiert, sondern gleichgültig und emotionslos immer wieder Entscheidungen fällt, die die Reichen noch reicher, und das Leben der arbeitenden Mitte und der Ärmeren noch unsicherer und prekärer machen."
Serie: "Verunsicherte Gesellschaft"
Islamistisch motivierter Terror, Flüchtlingskrise, der Aufstieg populistischer Parteien, der Brexit, die Erosion des Vertrauens in die Politik, auch in die Medien, Globalisierungsängste, der digitale Wandel – eine Vielfalt von Faktoren sorgt für Verunsicherung und tiefsitzende Irritation. Viele Menschen fühlen sich haltlos, bedroht, ängstigen sich – in Deutschland und in Europa. Gleichzeitig verroht das Diskussionsklima, Wut und Beschimpfungen prägen die sozialen Netzwerke. Der Deutschlandfunk widmet sich zur Jahreswende in der Reihe "Verunsicherten Gesellschaft" diesen Themen.
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Islamistisch motivierter Terror, Flüchtlingskrise, der Aufstieg populistischer Parteien, der Brexit, die Erosion des Vertrauens in die Politik, auch in die Medien, Globalisierungsängste, der digitale Wandel – eine Vielfalt von Faktoren sorgt für Verunsicherung und tiefsitzende Irritation. Viele Menschen fühlen sich haltlos, bedroht, ängstigen sich – in Deutschland und in Europa. Gleichzeitig verroht das Diskussionsklima, Wut und Beschimpfungen prägen die sozialen Netzwerke. Der Deutschlandfunk widmet sich zur Jahreswende in der Reihe "Verunsicherten Gesellschaft" diesen Themen.
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Der ökonomische Befund hinter Wagenknechts Worten lautet: Die wirtschaftliche Unsicherheit und die sogenannte Prekarisierung am Arbeitsmarkt schreiten ungehindert fort. Unter Ökonomen ist nun genau dieses Immer-Mehr in Wagenknechts These umstritten. Denn die Statistiken weisen für Deutschland seit 2010 keine Verschlechterung mehr aus.
Als unbestreitbar dagegen gilt, dass prekäre Beschäftigungsformen bis etwa 2010 stark zugenommen haben, und dass unsichere Arbeit Folgen für die Gemütsverfassung hat. Befristete Verträge, Leiharbeit, Minijobs – wie sich prekäre Beschäftigungsverhältnisse auf Menschen auswirken, das hat die Göttinger Arbeitsmarktforscherin Natalie Grimm versucht, herauszufinden. Grimm hat über 150 Menschen über fünf Jahre begleitet und interviewt, die prekär beschäftigt sind:
"Das sind Leute, die zum Teil als Elternzeitvertretung, als Erzieherin im Kindergarten arbeiten und dann wieder erwerbslos sind. Oder auch Leute, die auf Provisionsbasis dänische Holzhäuser verkaufen und wieder erwerbslos sind. Dann vielleicht als Leiharbeiter irgendwo im Lager arbeiten."
Die junge Soziologin hat für diese Klientel den Begriff Statusakrobaten gefunden. Damit will sie zeigen, ...
"... dass es nicht nur Getriebene sind, nicht nur Opfer, sondern dass sie weiterhin Akteure sind. Also das heißt, sie bezeichnen das häufig selber als Kampf oder als Marathonlauf, wo sie sehr viel sportlichen Kampfgeist zeigen. Und ich meinte mit Akrobatik, weil sie sich in sehr vielen Welten bewegen. Und quasi Salti schlagen oder Trampolinsprünge immer wieder rein in die Erwerbsarbeitswelt - und raus - vollziehen."
Frustration mündet womöglich in politischen Entscheidungen
Grimm und ihre Kollegen beschreiben, dass nicht nur Paketzusteller und Putzkräfte, sondern beinahe alle Berufszweige und auch Hochqualifizierte betroffen sind.
"Wir haben das vor allen Dingen bei jüngeren Leuten. Dass die Leute dort einen festen Arbeitsplatz finden, das dauert eben."
Die Soziologin hat Hinweise darauf, wie sich Frustration ihre Wege sucht und in politische Entscheidungen münden könnte.
"Was ich festgestellt habe in meinem Buch ist, dass diese Statusakrobaten häufig ein relativ hohes Abgrenzungsbedürfnis haben. Sie bewegen sich tatsächlich in unterschiedlichen Welten und vergleichen sich mit unterschiedlichen Personen. Und deshalb vergleichen sie sich dann eben häufig mit den sogenannten Hartz IV-Empfängern. Und da haben sie ein wahnsinnig hohes Abgrenzungsbedürfnis, dass sie sagen: Ich bin nicht so wie die, ich leiste etwas, schaffe etwas. Da geht es ganz viel um Kämpfe, um Anerkennung, um Anrechte. Das führt schon zu einer großen Entsolidarisierung, auch ehrlich gesagt zu einem Treten nach unten."
Für Kandidaten wie einen Donald Trump, für Parolen von rechts, die ans Ressentiment und nicht an die Solidarität appellieren, seien diese Prekären daher mindestens offen, sagt die Göttinger Soziologin.
"Insofern würde ich schon sagen, dass genau die Statusakrobaten dafür empfänglich sind, weil sie Angst um ihre eigene Position haben, Angst um die Position ihrer Kinder. Und es geht wirklich viel wieder um Statusfragen: Was bin ich in der Gesellschaft, gehöre ich noch zur Mitte oder nicht?"
Über den Statuskampf der Menschen am unteren Rand des Arbeitsmarktes kann Hedel Wenner unendlich viel erzählen. Wenner ist Geschäftsführerin des Kölner Arbeitslosenzentrums, einer kleinen Beratungseinrichtung im Gewerkschaftshaus im Westen der Domstadt. Sie berät seit 14 Jahren Menschen, die sich von einem Job zum nächsten hangeln und zwischendurch immer wieder Hartz IV beantragen müssen.
Hartz-IV-Reform Grund für Abwertung
Wenner sagt: Es war die Hartz-IV-Reform, welche die Arbeitslosigkeit zu einem neuen Angst-, Abgrenzungs- und Abwertungsthema für die Menschen gemacht hat. Die Zusammenlegung der Sozial- und Arbeitslosenhilfe vor zwölf Jahren hat eben nicht bewirkt, dass Arbeitslosigkeit ein kulturell akzeptierter Faktor wurde, etwas, das beinahe jedem mal passieren kann. Im Gegenteil. Die Gesellschaft ernte jetzt eine Menge Zorn:
"Den Zorn derjenigen, die arbeitsnäher waren als die Menschen früher in der Sozialhilfe. In der Sozialhilfe war man früher, wenn man alleinerziehend war, wenn man Seniorin war, krank war, aus gesundheitlichen Gründen. Und jetzt sind in Hartz IV Menschen – also Selbstständige zum Beispiel, die insolvent werden, die sind sofort in Hartz IV, weil die in der Regel keine Arbeitslosenversicherung haben. Das heißt, da können auch außerordentlich fitte Leute sich drin aufhalten."
Natürlich waren Sozialhilfebezieher nach dem Bundessozialhilfegesetz, BSHG, früher auch abgehängt. Aber:
"Man hat plötzlich einen weitaus größeren Anteil einer arbeitsmarktnäheren Zielgruppe, als man es früher im BSHG gehabt hat, und das macht die Brisanz aus."
Die Brisanz nämlich, die auch darin steckte, dass die Hartz-Gesetze 2003 und 2004 mit Stigmatisierung der Arbeitslosen politisch durchgedrückt wurden: dem Klischeebild von faulen Nichtskönnern in der Hängematte. Gleichzeitig sei mit den Hartz-IV-Gesetzen eine Bürokratie verbunden, die die Betroffenen sogar finanziell regelrecht strangulieren könne. Das trifft insbesondere die stark gewachsene Gruppe der Niedriglöhner, die ergänzende Hilfe bekommen:
"Es ist die Ohnmacht stärker geworden. Menschen, die in Hartz IV ein Einkommen haben. Das ist eine Sisyphusarbeit, das nachzuhalten, was da beim Jobcenter angerechnet wird, was ausgezahlt wird, was mein Selbstbedarf ist. Wo dann Rückforderungen vonseiten des Jobcenters erfolgt sind, die die Menschen peu à peu à peu in Verschuldungsprozesse hineintreiben. Ich finde, das ist echt der Hammer. Die Menschen wollen arbeiten, suchen Arbeit, und müssen sich unentwegt mit einer aufgeblähten Administration auseinandersetzen. Das macht richtig müde – und auch aggressiv."
Natürlich sei es vorgekommen, dass sich Aggression auch gegen solche richte, die ebenfalls hilfsbedürftig seien. Doch wer sich generell über andere Zielgruppen staatlicher Hilfe – zuletzt eben vor allem die Flüchtlinge des Jahres 2015 - beschweren wolle, dem sagt die Beraterin im Kölner Arbeitslosenzentrum:
"Sozialneiddebatten führe ich hier nicht."
Wahrscheinlich haben also die Hartz-Reformen die Frustration der Menschen im prekären Teil des Arbeitsmarktes befördert. Und ebenso wahrscheinlich hat die Diskussion um Hartz IV bei vielen anderen die Angst und den Wunsch verstärkt, sich davon abzugrenzen. Doch ist damit noch lange nicht geklärt, warum es zuletzt solch einen Aufstieg des Rechtspopulismus und neuer Formen des Rechtsnationalismus auch in Deutschland gibt.
Statistik zeigt keinen Verfall klassischer Vollzeitjobs
Denn zwar weisen alle deutschen Statistiken einen gewachsenen Anteil von Beschäftigungsformen jenseits des klassischen Vollzeitjobs aus. Doch das heißt nicht, dass der deutsche Arbeitsmarkt nur noch schlechte, unzufrieden machende Arbeit bereithält.
Zwei Forscherteams haben für den kommenden, den fünften Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung an einem Sonderkapitel über prekäre Beschäftigung gearbeitet. Dabei war auch Marcus Tamm vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung RWI.
"Nicht alle Beschäftigungsformen, die man unter atypische Beschäftigung zusammenfasst – also, das ist die Befristung und die Teilzeitbeschäftigung, der Minijob, oder die Leiharbeit – nicht all das würde ich als prekär oder unerwünscht bezeichnen. Denn Teilzeitbeschäftigung ist häufig auch, wenn man in der Familie Betreuungsverpflichtungen hat, eine durchaus gewünschte Beschäftigungsform. Und nicht jede Form der atypischen Beschäftigung ist von vornherein als negativ zu betrachten."
Ausgerechnet der Öffentliche Dienst ist inzwischen von als unsicher geltenden Vertragsformen geprägt, haben die Forscher herausgefunden. Allerdings liegt das nicht nur daran, dass junge Wissenschaftler an den Unis sich von einer Befristung zur anderen hangeln. Sondern auch daran, dass der Öffentliche Dienst in der Gewährung von Teilzeitwünschen großzügiger ist als der freie Markt. Tamms wichtigstes Ergebnis ist: Wer heute 30 Jahre alt ist, muss wesentlich häufiger zunächst einmal mit unsicheren Jobs leben, als das diejenigen mussten, die in den 80er-Jahren ihren Berufseinstieg hatten:
"Die Unterschiede über die Generation hinweg, das war schon teilweise überraschend."
Den größten Sprung habe es seit den 90er-Jahren gegeben, sagt der Wirtschaftsforscher:
"Selbst wenn man nur auf die letzten vielleicht 25 Jahre schaut, und hier vergleicht, wie hat sich die Wahrscheinlichkeit , beim ersten Erwerbseinstieg atypisch beschäftigt zu sein, verändert, sieht man so: Mitte der 90er-Jahre waren vielleicht 33 Prozent dieser ersten Erwerbseinsteiger atypische beschäftigt. In den letzten Jahren waren es hingegen über 60 Prozent. Das heißt, das betrifft einen Großteil der neu in den Erwerbsmarkt einsteigenden jungen Leute."
Was die Studien für den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung nicht hergeben: Ob die unsicheren Jobformen eher die Alternative zu festen Stellen sind oder zur Arbeitslosigkeit. Andere Wissenschaftler legen sich hier dagegen fest:
"Die Prekarisierung ging nicht zulasten der Vollzeitbeschäftigung, sondern sie ging zulasten der Nichterwerbstätigkeit."
Gert Wagner ist im Vorstand des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Dort wird laufend ein gigantischer Datensatz zu den Lebensumständen Tausender Menschen in Deutschland ausgewertet: das sozio-ökonomische Panel. Auf Grundlage dieser Daten sagt Wagner: Es gibt kein Ende der Mittelschicht, keinen Abstieg der Mitte, jedenfalls nicht in Deutschland. Die normalen Vollzeitjobs sind weiterhin da, die anderen haben sie nicht ersetzt, sondern sind dazu gekommen. Auch die Zunahme der Leiharbeit sei gestoppt.
"Wir haben immer noch einen beachtlich hohen Teil von Leuten, die mittlere Einkommen verdienen. Und der ist auch nicht kleiner geworden in den letzten Jahrzehnten. Was kleiner geworden ist, ist Nichterwerbstätigkeit. Und das sind oft Frauen, die vor 30 Jahren noch Hausfrauen waren, wie man damals gesagt hat, heute sagt man Haushaltsführende. Und Frauen, die vor 30 Jahren noch haushaltsführend gewesen sind - gewissermaßen der gleiche Typus von Frauen ist heute oft erwerbstätig."
Natürlich bleibe ein Minijob ein meist schlecht bezahlter Minijob. Aber aus ökonomischer Sicht sei das Hausfrauen-Schicksal angesichts der Scheidungs- und Altersrisiken auch prekär:
"Die Nicht-Erwerbstätigkeit von Ehefrauen insbesondere ist ja auch nicht immer ein Spaß."
Wagner: Prekarisierungsdebatte ist journalistisches Problem
Wagner hält die Debatte über Prekarisierung im Wesentlichen für ein journalistisches Problem: Weil besonders der Berufsstand der Medienschaffenden sich bedroht fühle, gerate die relativ hohe Stabilität am Arbeitsmarkt aus dem Blick. Das gleiche diagnostiziert der Ökonom für die jüngste Variante der Arbeitsplatz-Ängste: Verdrängung durch den Computer, durch die Digitalisierung der Arbeit:
"Hier scheint mir auch wieder das Phänomen zu sein, dass bestimmte Berufsgruppen, die sich gut öffentlich artikulieren können, ihre Ängste nach außen tragen."
Was Wagner ärgert, ist dabei nicht, dass sich Journalisten, Juristen oder auch Banker Sorgen um ihren eigenen Job machen, sondern dass wirklich Betroffene gar nicht auftauchen:
"Über die ganz besonders prekär Beschäftigten, nämlich die Saisonarbeiter, die Pflegekräfte, die, wenn man so will, im Grunde illegal beschäftigt sind, über die wird so gut wie überhaupt nicht geredet, weil im Grunde alle davon profitieren. Wenn eine Frau aus Osteuropa – oder noch von viel weiter her – in Deutschland gewissermaßen schwarz Pflegedienstleistungen erbringt, ist das nun wirklich eine prekäre Beschäftigung."
Auch im Entwurf des kommenden Armutsberichts der Bundesregierung können sich die Autoren kein einheitliches Bild darüber machen, wie groß die Ängste der deutschen Bevölkerung um die Arbeit sind. Einerseits sehen viele Erhebungen die Sorge im selben Maß schwinden, wie sich die Lage am Arbeitsmarkt gebessert hat. Deshalb wurde auch die "fortwährende Abstiegsangst der Mittelschicht" vom Leipziger Soziologen Holger Lengfeld zum "Mythos" erklärt.
Andererseits sorge die Tatsache, dass jüngere Leute beim Berufseinstieg mehr Zwischenstationen in Kauf nehmen müssten als noch vor etwa 30 Jahren, "auch im familiären Kontext" für Verunsicherung, heißt es im Bericht. Der Kanzlerin wurde dies offenbar bereits berichtet:
"Ein Zurück in Zeiten vor der Digitalisierung, in Zeiten vor der Globalisierung wird es nicht geben. Aber wir müssen den Menschen den Eindruck vermitteln, und nicht nur den Eindruck vermitteln – sondern die Dinge auch so lösen, dass sie Halt haben, dass sie Orientierung haben. Und ich meine, es gibt schon Probleme, wenn man jüngere Menschen zum Beispiel fragt. Die haben tolle Chancen gegenüber den Älteren, aber sie haben schon auch zehn, 15, 20 Jahre keinen festen Arbeitsvertrag und müssen immer wieder gucken, wie kann ich meine Familie ernähren. Das ist schwieriger als für ihre Eltern."
Inwieweit Ängste um die Arbeit jedoch dazu beitragen sollten, ein Klima für Rechtsnationalismus und Rechtspopulismus – wie bei der Trump-Wahl in den USA - zu schaffen - das muss für Deutschland wahrscheinlich als schlecht belegbar gelten. Auch Erhebungen unter AfD-Wählern zeigen, dass diese kaum von Arbeitsplatzsorgen getrieben werden.
Doch in den wirtschaftlich weniger abgesicherten Teilen der Bevölkerung spielen sich Dramen um das Statusempfinden ab, die sicherlich auch das Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaat betreffen. Die Soziologin Natalie Grimm, die jahrelang prekär Beschäftigte – sie nennt sie Statusakrobaten - begleitet hat, hat eines festgestellt: Wo keine wirtschaftliche Sicherheit ist, mangelt es oft auch an anderen Formen von Sicherheit - an Identität, und Zusammenhalt:
"Viele fühlen sich eben sehr allein gelassen und individualisiert, und können sich auf gar nichts beziehen – seien es Gewerkschaften, oder auf irgendeine Partei. Da fehlt so ein bisschen das Kollektiv."
Ulrike Winkelmann, Jahrgang 1971, ist seit 2014 Redakteurin in der "Hintergrund"-Abteilung des Deutschlandfunk. Geboren in Wiesbaden, aufgewachsen in und bei Paderborn, studiert (Germanistik, Politologie, Staatsrecht) in Hamburg und London, volontierte sie 1995 bis 1997 bei der "taz hamburg", dem Hamburger Lokalteil der "tageszeitung". Ende 1999 stieg sie als Chefin vom Dienst bei "taz" in Berlin ein, wurde Innenpolitikredakteurin, Parlamentskorrespondentin, und Innenpolitik-Ressortleiterin. Ein Zwischenspiel 2010 bis 2011 als Politikchefin bei der Wochenzeitung "der Freitag".