"Diese Heimatlieder aus Deutschland sind Heimatlieder von Leuten, die in Deutschland wohnen, und ihre Heimat pflegen, indem sie ihr Liedgut spielen."
Zum Beispiel das alevitische Volksllied "Heyder" von der der Gruppe Mesk aus Augsburg. Das Lied in der Version von Gudrun Gut klingt wiedererkennbar, und scheinbar doch wie aus einer ganz anderen Welt.
Gudrun Gut ist lebende Musikgeschichte, Veteranin des West-Berliner Undergrounds, den sie vor allem mit ihrer Band Malaria entscheidend mitprägte. In ihrem eigenen Label Monika Enterprise veröffentlicht sie bevorzugt Frauen. Zur Remix-CD vom ersten "Heimatlieder aus Deutschland"-Sampler steuerte Gudrun Gut nur einen Titel bei, für den neuen Remix-Sampler "Vogelmixe" hatte sie nun die alleinige Verantwortung - eine ungewöhnliche Entscheidung der beiden Kuratoren des Projekts, Merk Terkessidis und Jochen Kühling.
"Ich glaube, die wollten eine Handschrift haben, weil es schon so viele unterschiedliche Künstler sind und Länder und alles. Mark und Jochen, die wollten einfach was Anderes machen, als so eine klassische Remix-Platte, wo der, der, der, der... eher aus einem Guss draus zaubern lassen. Gleichzeitig wollte ich es auf keinen Fall zu homogen machen, weil ich bin ja auch ein Fan von Ecken und Kanten. Ich sollte ja meinen deutschen Künstlerstempel draufsetzen, und das habe ich dann auch durchgezogen."
"Musik kann irgendwie Grenzen durchstoßen, mit Musik kann man fliegen"
In der Tat. Die Original-CD mit Bands aus Berlin und Augsburg klingt, wie sich ein Ethno-Sampler eben anhört, nämlich sehr breit aufgestellt in den Stilen und Regionen. Nach den Aleviten geht es sehr melodiös nach Kamerun und von da sehr rhythmisch nach Nordafrika: Marhba von der Berliner Band La Caravane du Maghreb, gesungen in altem Arabisch. Gudrun Gut greift die bassige Perkussion des Originals auf und verwandelt das Begrüßungslied in ein hypnotisches und vielschichtiges Stück experimenteller Klangkunst - keine leichte Geburt, wie sie sich erinnert.
"Da habe ich unheimlich lang gezetert, habe ungefähr fünf oder sechs Varianten von dem Stück gemacht, und das war sehr schwierig, auch wegen diesem Gesang, der so ineinander übergeht. Und ich fand das Original auch so gut. Das ist dann irgendwie schwierig eine Version zu zaubern, die das toppt. Jetzt finde ich es aber mit das Beste, es gefällt mir unheimlich gut. Deswegen heißt es auch Vogelmixe. Ich hab das jetzt durchschleifen lassen durch viele Effekte und einen Elektronikpark. Aber ich finde, Musik kann irgendwie Grenzen durchstoßen, mit Musik kann man fliegen."
Musikalisches Kulturgut von politischer Relevanz
Die "Heimaltlieder aus Deutschland" waren von Beginn an nicht nur ein kulturelles, sondern auch ein politisches Statement. Die Macher wollen zeigen, dass Deutschland sehr wohl ein Einwanderungsland ist und schon immer war. In Zeiten, in denen sich Millionen von Flüchtlingen nach Europa aufmachen, erhält dieses politische Statement noch mehr Relevanz. Ein weiteres Lieblingsstück von Gudrun Gut ist das transsylvanische Volkslied "Ein kleines Wildvögelein" der Gruppe Heide.
"Erst dachte ich auch, es ist Deutsch. Es ist aber nicht Deutsch, dann dachte ich, ist es jiddisch, auch nicht. Das ist eben eine alte transsylvanische Sprache aus Siebenbürgen, die Sprache gibt es wohl gar nicht mehr. Und der Text ist auch ganz toll, finde ich. Also da geht man eher so anarchistisch ran, dass man einen nicht festnehmen kann. Dass man ihn nicht beengen kann, wenn er raus will. Der stirbt dann einfach. Wir müssen auch dran denken, dass wir alle Menschen sind, und dass es auch den Deutschen so was auch schon passiert ist, so was passiert einfach."
Die Vogelmixe stellen auf eine neue, gelungene Art die Fragen nach kultureller Identität, nach Anpassung und Integration, nach Heimat und Heimatpflege Als eine Art Weltreise durch Deutschland zeigt die CD, was in einer offenen Gesellschaft entstehen kann: Gudrun Gut hat nicht nur Stile gemischt, sie hat Identitätshybride geschaffen, Kulturen überlappt und in eine neue Form gegossen. Das Ergebnis ist mehr als spannend.