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Volksabstimmung in den Niederlanden
Die europakritischen Stimmen werden lauter

In den Niederlanden zeichnet sich eine Volksbefragung über das zwischen der EU und der Ukraine ausgehandelte Assoziierungsabkommen ab. Eine Bürgerinitiative hat wohl die nötigen 300.000 Unterschriften beisammen. Aber es geht nur auf den ersten Blick um den Vertrag zwischen Brüssel und Kiew.

Von Kerstin Schweighöfer |
    Die Journalisten Jan Roos and Thierry Baudet stehen Mitte September vor dem Parlament in Den Haag mit Unterschriften für eine Volksabstimmung über das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine.
    Die Journalisten Jan Roos and Thierry Baudet stehen vor dem Parlament in Den Haag mit Unterschriften für eine Volksabstimmung über das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine. (imago/ZUMA Press)
    Wer hätte das gedacht! Unverhohlen triumphierend fuhr der umstrittene Journalist und Bürgerschreck Jan Roos Ende September in seinem rosafarbenen Cadillac beim Finanzamt in Heerlen vor, um dort mehr als 450.000 Unterschriften abzuladen. Unterschriften, mit denen sich niederländische Bürger für ein Referendum über das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine aussprechen. Das niederländische Parlament hatte diesen Vertrag bereits im April mit großer Mehrheit verabschiedet.

    300.000 Unterschriften hätten für ein Referendum gereicht - und selbst die hätten die wenigsten für möglich gehalten. Denn die Unterschriften müssen innerhalb von nur sechs Wochen gesammelt werden. So will es ein neues Gesetz, das den Niederländern seit dem ersten Juli dieses Jahres das Recht auf ein konsultatives Referendum einräumt. Geradezu sehnsüchtig haben niederländische EU-Skeptiker auf diesen Moment gewartet, um als erste von diesem Recht Gebrauch zu machen - angeführt von Jan Roos, der mit seiner satirischen Polit-Website "geen stijl" - zu deutsch: "stillos" - immer wieder in die Schlagzeilen gerät. Mit geschmacklosen Provokationen, die unter die Gürtellinie gehen.
    "Wir werden zum Gespött von ganz Europa"
    Nun hat er seine Kräfte mit zwei euroskeptischen Bürgerinitiativen gebündelt. Ihr Ziel: Brüssel in Sachen Demokratie eine Lektion zu erteilen und die Eliten zum Zuhören zu zwingen. Jan Roos: "Europa ist ein rasender Zug, der immer schneller fährt anstatt zu bremsen. Es kostet schon jetzt unglaublich viel Mühe und Geld, die verschiedenen Mitgliedsländer zusammenzuhalten. Wir können es uns nicht leisten, dauernd neue zuzulassen. Aber wir werden gar nicht erst gefragt, denn in Brüssel geht es wenig demokratisch zu. Jetzt soll auch noch ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine geschlossen werden - einem Land, in dem Bürgerkrieg herrscht. Einem Land, in dem die MH17 abgeschossen wurde und 200 unserer Landsleute ums Leben kamen. Das ist das Letzte, was Europa gebrauchen kann."

    Die Regierung in Den Haag will sich in den nächsten Tagen zu Wort melden. Erst muss der niederländische Wahlrat die Stimmen prüfen und bekannt geben, ob es tatsächlich wieder zu einem Referendum kommen wird – so wie 2005, als die Niederländer "nee" zum EU-Verfassungsvertrag sagten. Eine Volksabstimmung, die damals noch auf einer Sonderregelung beruhte.

    Um es zehn Jahre später wieder so weit kommen zu lassen, müssen mindestens 300.000 der 450.000 abgegebenen Stimmen gültig sein. Sollte das der Fall sein, muss das Referendum innerhalb von drei bis sechs Monaten stattfinden. Mit anderen Worten: ausgerechnet in dem Halbjahr, in dem die Niederlande die EU-Ratspräsidentschaft innehaben und eigentlich Antreiber statt Bremser sein sollten. "Wir werden zum Gespött von ganz Europa", prophezeit Sybrand Buma, Fraktionsvorsitzender der christdemokratischen Oppositionspartei CDA: "Es ist zwar nur ein konsultatives Referendum, also nicht bindend. Aber wenn die meisten Wähler "Nein" sagen, können wir Politiker nicht einfach so weiter machen wie bisher und ihnen eine lange Nase zeigen. Wir spielen mit dem Feuer, es ist ein gefährliches Lotterie-Spiel."
    Politiker müssen Farbe bekennen
    Darüber sind sich auch die Linksliberalen im Klaren, die das Gesetz zusammen mit den Grünen initiiert und sich jahrzehntelang dafür eingesetzt haben. Aber, so der linksliberale Abgeordnete Kees Verhoeven: "Wir haben das Recht auf dieses konsultative Referendum ermöglicht. Dass es nun umgehend angewendet wird, darüber können wir aus demokratischer Sicht nur jauchzen. In einer Demokratie muss es möglich sein, dass eine Mehrheit der Wähler das Parlament zurückpfeift, auch wenn es bereits eine Entscheidung getroffen hat."

    Für die Sozialisten und auch Geert Wilders' "Partei für die Freiheit" wäre das ein Grund zum Jubeln: Sie hatten gegen das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine gestimmt, waren aber in der Minderheit. Doch ob es soweit kommt, bleibt abzuwarten. Erstens muss die Wahlbeteiligung über 30 Prozent liegen. Zweitens hat sich eine ganze Reihe von Niederländern zwar für das Referendum ausgesprochen - will dann aber "Ja" zum Assoziierungsabkommen sagen. So wie Kulturtheologe Frank Bosman: "Ich bin für Europa und trotzdem für dieses Referendum. Weil es unsere Politiker zwingt, endlich Farbe zu bekennen und über Inhalte zu sprechen anstatt uns Wähler mit armseligen technokratischen Floskeln wie "es ist nötig" oder "es ist gut für den Handel" abzuspeisen. Deshalb begrüße ich dieses Referendum, deshalb sehe ich es nicht als Gefahr, sondern als Chance."