Es war die Theaterdebatte des Jahres: Im Herbst begann der Belgier Chris Dercon an der Berliner Volksbühne. Damit beerbte er nach 25 Jahren Frank Castorf, der die Berliner Theaterlandschaft maßgeblich geprägt hat, mit Inszenierungen, die polarisierten, aber schnell Kult wurden. Nach ihm wurde also ein Museumsmann der Leiter eines der wichtigsten, geschichtsträchtigsten Theater Deutschlands. Die Befürchtungen der Skeptiker waren groß: Dercon wird aus dem Theater, so hieß es, ein Haus fürs Performative machen, ohne Repertoire, ohne Ensemble, angedockt an den globalisierten Kunstbetrieb. Es wurden Petitionen gegen Dercon geschrieben; seine Ablehnung gehört in weiten Kreisen des kulturellen Berlin auch heute noch zum guten Ton.
Auch in der Presse folgten negative Theaterkritiken. Darauf angesprochen erwidert Dercon im Dlf, es gebe auch sympathische Berichterstattung. "Die Kritik ist nicht nur negativ." Die deutsche Theaterkritik spiele sich aber auch nicht mehr nur in Zeitungen ab, sondern auch auf Blogs. Rückblickend seien die Theaterkritiken des letzten Jahres allgemein nicht positiv. "Ich glaube, das ist, weil man sich fragt, was soll das Theater für die Zukunft wirklich sein?" Auch die Kritiker würden sich genau das fragen.
Ensemble nicht in klassischer Form
Auch die Vorstellungen seien besser besucht, als von den Medien geschildert werde. "Wir haben ein neues Publikum - ein sehr junges Publikum." Die Berliner Volksbühne wolle unterschiedlichen Disziplinen eine theatrale Form bieten. "Wir sind ein neuartiges Mischwesen." Man wolle eine Art von metadramatischem Theater schaffen, wo jede Sparte der Künste eingeladen ist, das Haus zu nutzen. "Es ist eine experimentelle Produktionsform."
Der Rückzug des langjährigen Volksbühnenstar Sophie Rois sei für ihn keine Überraschung gewesen. "Das ist sehr schade, denn das neuartige Mischwesen hätte sie interessieren können". Dennoch werde man ein Ensemble aufbauen, aber vielleicht nicht in der klassischen Form des Schauspielerensembles. "Weil wir andere Produktionen realisieren, muss man auch die Idee von Ensemble anders verstehen."