Gregor Schöllgen, Jahrgang 1952, zählt zu den rührigsten deutschen Historikern. Den Elfenbeinturm weltentrückter Wissenschaft hat er längst verlassen. Sein Name taucht dafür umso häufiger in der Presse, im Hörfunk und im Fernsehen auf. Als Professor für Neuere Geschichte an der Universität Erlangen handelte er sich Kritik in seiner Zunft ein, als er vor einigen Jahren sein Zentrum für Angewandte Geschichte gründete, das der kommerziellen Aufarbeitung von Geschichte gewidmet ist etwa in Form von Unternehmer-Biografien. Denn Schöllgen bekennt sich freimütig dazu, als Wissenschaftler auch Dienstleister zu sein, der sich auf dem freien Markt publizistisch zu behaupten habe.
Auch die jetzt vorgelegte zweibändige Beschreibung deutscher Außenpolitik seit 1815 zielt klar auf einen möglichst großen Leserkreis, wie der Autor unumwunden einräumt:
"Diese beiden Bände richten sich an die berühmte interessierte breite Öffentlichkeit. Einerseits ist es natürlich so, dass die Bücher den Ansprüchen genügen, die an eine wissenschaftliche Darlegung zu richten sind, die Quellenbasis ist sehr breit. Andererseits gehe ich davon aus, dass sie so geschrieben sind, auf den Punkt gebracht, dass gerade auch die Leser, die bislang mit der Materie nicht intim vertraut sind, Interesse an diesem Thema finden können. Das wäre der Anspruch, und ich hoffe, dass es gelingt, ihn einzulösen."
Auch die jetzt vorgelegte zweibändige Beschreibung deutscher Außenpolitik seit 1815 zielt klar auf einen möglichst großen Leserkreis, wie der Autor unumwunden einräumt:
"Diese beiden Bände richten sich an die berühmte interessierte breite Öffentlichkeit. Einerseits ist es natürlich so, dass die Bücher den Ansprüchen genügen, die an eine wissenschaftliche Darlegung zu richten sind, die Quellenbasis ist sehr breit. Andererseits gehe ich davon aus, dass sie so geschrieben sind, auf den Punkt gebracht, dass gerade auch die Leser, die bislang mit der Materie nicht intim vertraut sind, Interesse an diesem Thema finden können. Das wäre der Anspruch, und ich hoffe, dass es gelingt, ihn einzulösen."
Seriös, verständlich und souverän
Der Versuch muss als gelungen betrachtet werden. Schöllgen löst den Doppelanspruch wissenschaftlicher Seriosität und Allgemeinverständlichkeit souverän ein. Seine Darstellung deutscher Außenpolitik ist flüssig geschrieben, erstickt nicht in Anmerkungen und Literaturverweisen, verzichtet auch bei der Beschreibung großer Momente der Weltpolitik auf stilistischen Schwulst. Eine Leseprobe:
"Mit der Hinterlegung der sowjetischen und damit letzten Ratifikationsurkunde zum Zwei-plus-Vier-Vertrag in Bonn trat dieser am 15. März 1991 in Kraft. 46 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt durch die alliierten Sieger des Zweiten Weltkriegs und 30 Jahre nach dem Bau der Mauer quer durch Deutschland und Berlin war das vereinigte Deutschland westlich von Oder und Neiße ein souveräner Nationalstaat wie andere auch. Wenige Monate später hauchte das sowjetische Imperium sein Leben aus."
Das Werk erhebt nicht den Anspruch, vollständig neu zu sein. Der erste Band ("Deutsche Außenpolitik. Von 1815 bis 1945") fußt vielmehr auf Schöllgens 2005 erschienener, aber seit längerem vergriffener Darstellung "Jenseits von Hitler". Besonders lesenswert darin ist der Aufstieg des Kaiserreichs zur "halbhegemonialen" Macht im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert – zu mächtig, um ignoriert, zu schwach, um wirkliche Hegemonialmacht sein zu können.
Ein Kennzeichen deutscher Außenpolitik auch im Europa des Jahres 2013? Der Autor schüttelt den Kopf:
"Heute ist es eher so, dass unsere kleineren und größeren Nachbarn, für deutsche Ohren bis heute ungewohnt, uns auffordern, eine stärker leitende Funktion, eine Funktion also einzunehmen. Die dem tatsächlichen, vor allem dem wirtschaftlichen, aber auch dem finanzpolitischen Gewicht dieses Landes entspricht."
"Mit der Hinterlegung der sowjetischen und damit letzten Ratifikationsurkunde zum Zwei-plus-Vier-Vertrag in Bonn trat dieser am 15. März 1991 in Kraft. 46 Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches und der Übernahme der obersten Regierungsgewalt durch die alliierten Sieger des Zweiten Weltkriegs und 30 Jahre nach dem Bau der Mauer quer durch Deutschland und Berlin war das vereinigte Deutschland westlich von Oder und Neiße ein souveräner Nationalstaat wie andere auch. Wenige Monate später hauchte das sowjetische Imperium sein Leben aus."
Das Werk erhebt nicht den Anspruch, vollständig neu zu sein. Der erste Band ("Deutsche Außenpolitik. Von 1815 bis 1945") fußt vielmehr auf Schöllgens 2005 erschienener, aber seit längerem vergriffener Darstellung "Jenseits von Hitler". Besonders lesenswert darin ist der Aufstieg des Kaiserreichs zur "halbhegemonialen" Macht im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert – zu mächtig, um ignoriert, zu schwach, um wirkliche Hegemonialmacht sein zu können.
Ein Kennzeichen deutscher Außenpolitik auch im Europa des Jahres 2013? Der Autor schüttelt den Kopf:
"Heute ist es eher so, dass unsere kleineren und größeren Nachbarn, für deutsche Ohren bis heute ungewohnt, uns auffordern, eine stärker leitende Funktion, eine Funktion also einzunehmen. Die dem tatsächlichen, vor allem dem wirtschaftlichen, aber auch dem finanzpolitischen Gewicht dieses Landes entspricht."
Gründlich überarbeitete Forschungsergebnisse
Dessen Außenpolitik beschreibt Schöllgen im zweiten Band seiner Darstellung, der erstmals 1999 unter dem Titel "Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart" erschien. Wie der erste Band wurde auch dieser angesichts neuer Forschungsergebnisse grundlegend überarbeitet und bis in das Jahr 2013 fortgeschrieben.
Die Beschreibung deutscher Außenpolitik in Vergangenheit und Gegenwart ist bei kaum einem anderen Historiker besser aufgehoben als bei Schöllgen, der unter anderem Mitherausgeber der Akten des Auswärtigen Amtes und des Nachlasses von Willy Brandt ist. Der eigentliche Wert von Schöllgens Darstellung besteht darin, erstmals die Außenpolitik des wiedervereinigten Deutschlands von 1991 bis heute detailliert nachzuzeichnen.
Dass die deutsche Außenpolitik der noch amtierenden schwarz-gelben Koalition dabei kaum noch eigene Impulse setzte, lastet Schöllgen nicht unbedingt Bundeskanzlerin Merkel und ihrem Außenminister Westerwelle an. Außenpolitik sei im Moment weltweit hauptsächlich Krisenreaktionspolitik:
"Wenn man das in Rechnung stellt, muss man sagen, dass auch die deutsche Außenpolitik bislang ordentlich mit dieser Situation umgegangen ist. Sie hat – aber auch das ist durchaus eine Stärke – die Außenpolitik der Vorgängerregierung, also der Regierung Schröder, im Wesentlichen konsequent fortgesetzt. Punktuell korrigiert, aber doch im Wesentlichen fortgesetzt, was zum einen heißt, dass die Außenpolitik der Regierung Schröder konzeptionell und operativ sehr stark gewesen ist. Und was zum anderen bedeutet, einmal mehr bedeutet, dass die Kontinuität dann doch ein entscheidendes positiv zu wertendes Merkmal deutscher Außenpolitik ist."
Nicht einmal die deutsche Stimmenthaltung im UN-Sicherheitsrat, als dort im März 2011 de facto über eine militärische Unterstützung der Anti-Gaddafi-Kräfte in Libyen entschieden wurde, betrachtet Schöllgen als Sündenfall deutscher Außenpolitik:
"In einem doppelten Sinne war Deutschland, war die deutsche Außenpolitik ja nicht isoliert. Man darf ja nicht vergessen, dass die amerikanische Regierung, dass also auch der Präsident Obama bis zuletzt signalisiert hat, auch an die deutsche Adresse signalisiert hat, dass er dieser Intervention oder dieser Flugverbotszone nicht zustimmen werde. So gesehen muss man klar sagen, dass der amerikanische Präsident die Bundesregierung im letzten Augenblick im Regen hat stehen lassen. Zum anderen darf man nicht vergessen, dass sich die Bundesregierung nicht als einziges Mitglied des Weltsicherheitsrates der Stimme enthalten hat. Sondern dass auch China, Indien, Brasilien, Russland sich ebenso verhalten haben. So gesehen hat sich Deutschland in einem Kreis doch sehr potenter, politisch potenter Akteure befunden."
Und ist seitdem dennoch unverkennbar bemüht, die westliche Wertegemeinschaft außenpolitisch kein zweites Mal zu verlassen, sei es durch die Beteiligung an den Unterstützungsmissionen für das von Islamisten bedrohte Mali, sei es durch die Entsendung von Patriot-Batterien in die Türkei, um dessen Grenzregion vor möglichen syrischen Raketenangriffen zu schützen.
Deutschland übernimmt damit Verantwortung in der internationalen Außen- und Sicherheitspolitik, ohne sich stets an die vorderste Front zu drängen. Ein Markenzeichen, das der Bundesrepublik nach Ansicht des Historikers Gregor Schöllgen gut ansteht.
Gregor Schöllgen: Deutsche Außenpolitik Band 1. Von 1815 bis 1945
C.H. Beck Verlag
283 Seiten, 14,95 Euro
ISBN 978-3-406-65446-6
Gregor Schöllgen: Deutsche Außenpolitik Band 2. Von 1945 bis zur Gegenwart
C.H. Beck Verlag
352 Seiten, 16,95 Euro
ISBN 978-3-406-65448-0
Die Beschreibung deutscher Außenpolitik in Vergangenheit und Gegenwart ist bei kaum einem anderen Historiker besser aufgehoben als bei Schöllgen, der unter anderem Mitherausgeber der Akten des Auswärtigen Amtes und des Nachlasses von Willy Brandt ist. Der eigentliche Wert von Schöllgens Darstellung besteht darin, erstmals die Außenpolitik des wiedervereinigten Deutschlands von 1991 bis heute detailliert nachzuzeichnen.
Dass die deutsche Außenpolitik der noch amtierenden schwarz-gelben Koalition dabei kaum noch eigene Impulse setzte, lastet Schöllgen nicht unbedingt Bundeskanzlerin Merkel und ihrem Außenminister Westerwelle an. Außenpolitik sei im Moment weltweit hauptsächlich Krisenreaktionspolitik:
"Wenn man das in Rechnung stellt, muss man sagen, dass auch die deutsche Außenpolitik bislang ordentlich mit dieser Situation umgegangen ist. Sie hat – aber auch das ist durchaus eine Stärke – die Außenpolitik der Vorgängerregierung, also der Regierung Schröder, im Wesentlichen konsequent fortgesetzt. Punktuell korrigiert, aber doch im Wesentlichen fortgesetzt, was zum einen heißt, dass die Außenpolitik der Regierung Schröder konzeptionell und operativ sehr stark gewesen ist. Und was zum anderen bedeutet, einmal mehr bedeutet, dass die Kontinuität dann doch ein entscheidendes positiv zu wertendes Merkmal deutscher Außenpolitik ist."
Nicht einmal die deutsche Stimmenthaltung im UN-Sicherheitsrat, als dort im März 2011 de facto über eine militärische Unterstützung der Anti-Gaddafi-Kräfte in Libyen entschieden wurde, betrachtet Schöllgen als Sündenfall deutscher Außenpolitik:
"In einem doppelten Sinne war Deutschland, war die deutsche Außenpolitik ja nicht isoliert. Man darf ja nicht vergessen, dass die amerikanische Regierung, dass also auch der Präsident Obama bis zuletzt signalisiert hat, auch an die deutsche Adresse signalisiert hat, dass er dieser Intervention oder dieser Flugverbotszone nicht zustimmen werde. So gesehen muss man klar sagen, dass der amerikanische Präsident die Bundesregierung im letzten Augenblick im Regen hat stehen lassen. Zum anderen darf man nicht vergessen, dass sich die Bundesregierung nicht als einziges Mitglied des Weltsicherheitsrates der Stimme enthalten hat. Sondern dass auch China, Indien, Brasilien, Russland sich ebenso verhalten haben. So gesehen hat sich Deutschland in einem Kreis doch sehr potenter, politisch potenter Akteure befunden."
Und ist seitdem dennoch unverkennbar bemüht, die westliche Wertegemeinschaft außenpolitisch kein zweites Mal zu verlassen, sei es durch die Beteiligung an den Unterstützungsmissionen für das von Islamisten bedrohte Mali, sei es durch die Entsendung von Patriot-Batterien in die Türkei, um dessen Grenzregion vor möglichen syrischen Raketenangriffen zu schützen.
Deutschland übernimmt damit Verantwortung in der internationalen Außen- und Sicherheitspolitik, ohne sich stets an die vorderste Front zu drängen. Ein Markenzeichen, das der Bundesrepublik nach Ansicht des Historikers Gregor Schöllgen gut ansteht.
Gregor Schöllgen: Deutsche Außenpolitik Band 1. Von 1815 bis 1945
C.H. Beck Verlag
283 Seiten, 14,95 Euro
ISBN 978-3-406-65446-6
Gregor Schöllgen: Deutsche Außenpolitik Band 2. Von 1945 bis zur Gegenwart
C.H. Beck Verlag
352 Seiten, 16,95 Euro
ISBN 978-3-406-65448-0