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Vor 125 Jahren Jean Rhys geboren
Zerrissenheit vor tropischem Hintergrund

Die Schriftstellerin Jean Rhys, geboren am 24. August 1890 auf der karibischen Insel Dominica, drückte in ihren Stories das Lebensgefühl junger Frauen aus, die verloren durch London oder Paris irren. Auch wenn Rhys nicht deren Bekanntheit erreichte - sie gehört zu den großen postkolonialen Autorinnen wie Doris Lessing oder Nadine Gordimer.

Von Eva Pfister |
    Das Tastaturfeld einer mechanischen Schreibmaschine
    Das Tastaturfeld einer mechanischen Schreibmaschine (picture alliance / dpa / Peter Steffen)
    "Alles ist grün, überall wächst etwas. Keinen Augenblick herrscht Stille - irgendetwas summt immer. Und dann dunkle Klippen und Schluchten und der Geruch von verfaulten Blättern und Feuchtigkeit."
    Die Erinnerung an die tropische Welt ihrer Kindheit war für Jean Rhys ein Fundus, aus dem sie beim Schreiben stets schöpfen konnte. Geboren wurde sie als Ella Gwendolen Rees Williams am 24. August 1890 auf der karibischen Insel Dominica. In der britischen Kolonie war die Sklaverei seit einem halben Jahrhundert abgeschafft, aber die Rassenkonflikte schwelten weiter. Obwohl ein Kind der weißen Oberschicht sympathisierte Ella mit den Einheimischen. Sie war fasziniert von deren magischen Voodoo-Praktiken – und vom Karneval:
    "Auf der Straße tanzten grell maskierte Gruppen zu den Klängen von Musikkapellen. Beim Zusehen dachte ich, ich würde alles, aber auch alles dafür geben, wenn ich so tanzen könnte. Das Leben schäumte hoch zu uns, die wir steif und wohlerzogen dasaßen und zuschauten."
    Als Jean Rhys mit 16 Jahren zur Weiterbildung nach England kam, war sie guten Mutes. Eine große Schauspielerin wollte sie werden. Aber sie wurde ihres fremdländischen Akzents wegen verspottet, und landete nach einer abgebrochenen Ausbildung als Revuegirl in einem Tourneetheater. Dasselbe geschieht der Heldin ihres ersten Romans "Quartett":
    "Eine graue Prozession von Städten, die sich alle vollkommen glichen, eine graue Prozession von Männern, die sich auch vollkommen glichen. So kann man lange dahintreiben, fand sie, wenn man nur sorgsam verheimlichte, dass dieses Leben nichts mit den Erwartungen von einst zu tun hatte. Nicht das Geringste."
    Die Protagonistinnen der Romane von Jean Rhys führen das trostlose Leben enttäuschter Frauen. Sie irren verloren durch die Städte; unwillkommene Fremde, die keinen Platz in der Gesellschaft finden.
    Es sind Situationen, die Jean Rhys durchaus vertraut waren. Seit dem Tod ihres Vaters erhielt sie von ihrer Familie keine Unterstützung mehr und musste sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Während aber ihre Romanheldinnen in Verzweiflung enden, konnte sich Jean Rhys vor dem Absturz in die Depressionen retten: durch das Schreiben. Die 86-jährige Autorin sagte in einem BBC-Interview:
    "Wenn man über eine Sache schreibt, dann vergisst man sie. Wenigstens regt sie einen nicht mehr auf."
    1927 publizierte Jean Rhys erste Kurzgeschichten, ein Jahr später den Roman "Quartett". Bis 1939 erschienen drei weitere Romane, danach verschwand sie aus der literarischen Öffentlichkeit. Sie lebte zurückgezogen in Südengland und meldete sich erst 1966 zurück - mit ihrem Meisterwerk. Der Roman "Wide Sargasso-Sea" bescherte ihr mehrere Preise und einen späten Ruhm.
    Wie in einem Alptraum prallen darin die unvereinbaren Welten der Karibik und des alten Englands aufeinander "Die weite Sargassosee" spielt auf Jamaika um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Antoinette, Tochter aus einer zerrütteten britischen Familie, wird mit einem Mitgiftjäger aus England verheiratet, der aber mit ihr und der tropischen Welt nicht zurechtkommt.
    "Alles hier ist zu viel, empfand ich, als ich müde hinter ihr her ritt. Zu viel Blau, zu viel Rot, zu viel Grün. Die Blumen zu rot, die Berge zu hoch, die Hügel zu nah. Und diese Frau ist eine Fremde. Ihr flehentlicher Gesichtsausdruck ist mir unangenehm."
    Als Antoinette psychisch erkrankt, bringt er sie nach England und sperrt sie auf dem Dachboden seines Hauses ein. Damit erzählt Jean Rhys die Vorgeschichte von Mrs. Rochester aus "Jane Eyre". Charlotte Brontë hatte diese Frau, die ebenfalls aus der Karibik stammt, wie eine wilde Bestie dargestellt. Rhys rehabilitiert sie, indem sie ein lebensfrohes, sensibles Mädchens zeichnet, das die Ablehnung des Mannes nicht verkraftet.
    Wie ihre Romanheldinnen litt auch Jean Rhys zeitlebens unter ihrer Entwurzelung. Sie starb am 14. Mai 1979. Drei Jahre vor ihrem Tod gestand sie in einem Interview, dass sie, statt zu schreiben, lieber glücklich gewesen wäre.
    "Well I think, if I had to choose I'd rather be happy than write."