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Vor 300 Jahren geboren
Maria Theresia - eine Regentin voller Widersprüche

Sie hat in 19 Jahren 16 Kinder bekommen, nebenher Kriege geführt und ein Riesenreich regiert - und modernisiert: Heute vor 300 Jahren wurde Kaiserin Maria Theresia geboren. Das 19. Jahrhundert stilisierte die Habsburgerin zur nationalen Ikone. Heute erscheint sie als Gestalt voller Widersprüche - und als eine uns fremde Frau.

Von Almut Finck |
    Maria Theresia von Österreich auf einer zeitgenössischen Darstellung.
    Maria Theresia von Österreich auf einer zeitgenössischen Darstellung. (Imago / Rust)
    Im Schlosspark von Schönbrunn ruhte einst im Gebüsch eine arme und ausgemergelte Frau, ihren weinenden Säugling im Arm. Die Kaiserin kam des Wegs - und, so die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger: "Maria Theresia soll der Bettlerin dieses Kind abgenommen und es an ihrer allerhöchsten Mutterbrust gestillt haben."
    Eine anrührende Szene, oft gemalt und erzählt im 19. Jahrhundert. Aber, ergänzt Barbara Stollberg-Rilinger: "Das ist natürlich völlig grotesk, die Geschichte, weil Maria Theresia auch ihre eigenen Kinder niemals gestillt hat! Das ist das eine, und das andere ist, dass selbstverständlich Maria Theresia nicht in diesen hautnahen Kontakt mit armen Untertanen kam."
    Fern war Majestät den gewöhnlichen Menschen. Volksnähe wurde konstruiert. Dazu Barbara Stollberg-Rilinger: "Maria Theresia ist ja die Identifikationsfigur der österreichischen Nationalhistoriographie. Und dazu gehört, dass sie die Begründerin des modernen österreichischen Staates ist, dass sie eine liebevolle Familienmutter ist, dass sie gewissermaßen bürgerlich war, in ihrer unzeremoniellen Art."
    Zuschreibungen, die viel über die Erfindung der Nation und der Familie im 19. Jahrhundert verraten, aber wenig über Maria Theresia und ihre eigene Zeit. Geboren am 13. Mai 1717, war diese Habsburgerin eine Gestalt des Ancién Regime. Das hieß, so Barbara Stollberg-Rilinger:
    "Sie hatte die Herrschaft geerbt von ihren Ahnen, und war überzeugt, dass Gott ihr deshalb auch die dazu erforderlichen Fähigkeiten verliehen haben musste, und deswegen war sie auch ungeheuer souverän in ihren Entscheidungen und hat überhaupt nicht gezweifelt, dass sie das Richtige tut, auch zum Beispiel in der Verfolgung Andersgläubiger, worin sie extrem unnachsichtig war - also, es ist eine göttlich legitimierte, dynastisch vererbte Art von Herrschaft, die mit moderner Staatlichkeit, wie wir sie verstehen, ganz, ganz wenig zu tun hat."
    Politisches Kapital aus ungeheurer Fruchtbarkeit
    Maria Theresia hat zwar in Ansätzen den alten Staatsapparat reformiert, das Militär und das Bildungswesen. Sie hat die Kontrolle des Adels über die Landesressourcen beschnitten und ein einigermaßen funktionierendes zentrales Finanzsystem aufgebaut. Aber, wendet Barbara Stollberg-Rilinger ein:
    "Diese Reformen verliefen überhaupt nicht linear. Zum Beispiel die Trennung von Verwaltung und Justiz, die ja zur modernen Gewaltenteilung elementar dazugehört, hat man ihr zugeschrieben, das ist bei der allerersten Reform auch gemacht worden, es ist aber wenig später schon wieder rückgängig gemacht worden."
    Maria Theresias Regentschaft war anfangs umstritten. Drei Erbfolgekriege musste sie führen. Emanzipiert im modernen Sinne, sagt Barbara Stollberg-Rilinger, war sie nicht: "Sie hat an der Geschlechterordnung ihrer Zeit überhaupt keine Kritik geübt. Sie hat ihren Töchtern immer wieder eingeschärft, dass die Frau dem Manne untertan zu sein hat. Nur sie war eine Ausnahme, weil sie männliche Kronen geerbt hatte, das heißt, sie verstand sich als Trägerin einer männlichen Herrscherrolle."
    Ablesbar an den männlich konnotierten Ritualen, den Krönungszeremonien, so Barbara Stollberg-Rilinger: "Sie ist auf dem Pferd geritten, sie hat das Schwert geführt, der formale Titel ist: Rex Hungariae, also König von Ungarn, und Rex Bohemiae, also König von Böhmen."
    Ein König, der 16 Kinder bekam:
    "Sie hat aus dieser ungeheuren Fruchtbarkeit politisches Kapital geschlagen, das war ja extrem wichtig, in ihrem Fall, ihre Eltern hatten ja keine männlichen Erben gehabt, und deswegen war eben die Herrschaft an sie gefallen, das sollte nicht noch mal vorkommen."
    Länder erobern durch Hochzeiten
    Legendär wurde Maria Theresias Art, Bündnisse zu schließen, Frieden zu sichern und Länder zu erwerben: mittels der Verheiratung ihrer Söhne und Töchter, nach dynastischer Raison, nicht nach Neigung. Franz Stephan, ihren eigenen Mann, hat sie sehr geliebt, so Barbara Stollberg-Rilinger: "Die beiden haben ein gemeinsames Schlafzimmer gehabt, was sehr ungewöhnlich war, das war sozusagen Bauernart."
    Franz Stephan bekam auf Betreiben seiner Gemahlin die Kaiserkrone des Alten Reichs, weshalb auch sie den Titel Kaiserin trug. Politische Macht hatte er nicht. Dazu Barbara Stollberg-Rilinger:
    "Und sie hat ihn eindeutig dominiert, aber er war für sie auch eine ganz wichtige Vertrauensperson, und nach seinem Tod hat sie wirklich lebenslang um ihn getrauert."
    Um 15 Jahre hat Maria Theresia ihren Mann überlebt. Sie starb 1780, nach 40 Jahren auf dem Thron, und an der Schwelle zu einer neuen, einer anderen Zeit.