Am Morgen des 03. Dezember 1965 klingelt im Büro von Erich Apel, dem Leiter der Staatlichen Plankommission der DDR, das Telefon. Der hochrangige Wirtschaftsfunktionär kann den Anruf nicht entgegennehmen. Erich Apel hat sich das Leben genommen. Das Projektil seiner Dienstpistole liegt auf dem Fußboden.
Der Tod des Leiters der Staatlichen Plankommission fällt mitten hinein in eine heikle Umbruchphase der DDR-Wirtschaft. Für die Erich Apel maßgeblich verantwortlich ist. Zu Beginn der 1960er-Jahre sind die Industriebetriebe verstaatlicht und arbeiten unproduktiv. Die Kollektivierung der Landwirtschaft hat zu drastischen Ertragseinbrüchen geführt. Eine Wirtschaftsreform muss her. SED-Generalsekretär Walter Ulbricht setzt sich an die Spitze der Bewegung:
"Es genügt nicht, den Plan zu erfüllen. Nun also wissen Sie ja das viel besser, was in Ihrem Betrieb in Ordnung ist und nicht in Ordnung ist, als wie ich."
Apel will die Wirtschaft international konkurrenzfähig machen
1963 überträgt Ulbricht die Staatliche Plankommission dem Mann, den er für den besten unter seinen Technokraten hält: Erich Apel.
"Gründlich denken: Das heißt, mit dem Erreichten nicht zufrieden sein. Überholte Methoden der Arbeit und der Leitung über Bord werfen. Und die Methoden der Besten übernehmen."
Erich Apel entwickelt das "Neue Ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft"‚ kurz NÖS. Er will die DDR-Wirtschaft dynamischer und effizienter gestalten, sie endlich auch international konkurrenzfähig machen. Der Politikwissenschaftler Klaus Schroeder:
"Seine wichtigste Idee war, dass die zentralistische Planung gelockert wird. Diese Reformen zielten darauf, den Betrieben mehr Eigenständigkeit zu geben, auch nach Gewinnen zu streben, die sie dann selber investieren konnten, nicht abgeben mussten, also die Fremdbestimmung der Investitionslenkung aufzuheben.
Politische Führungskader bremsten die Reformvorhaben aus
Das alles führte dazu, dass ein Teil der politischen Führungskader unter Leitung von Erich Honecker das mit sehr viel Misstrauen sahen, sie befürchteten, dass Techniker und Ökonomen mehr zu sagen haben und die politische Funktionärsebene zurückgedrängt würde, von daher bremsten sie."
Erste Fortschritte stellen sich dennoch ein: Die Produktion nimmt zu, die Löhne steigen. Auf dem SED-Parteitag im Januar 1965 zieht Erich Apel in einer gut eineinhalbstündigen Rede eine erste kleine Erfolgsbilanz:
"Das Volumen der Industrieproduktion wird Ende 1965 mehr als 122 Milliarden Mark betragen. Das heißt im Jahre 1965 produzieren wir etwa in sieben Monaten mehr als im ganzen Jahr 1960. Die Erreichung des Weltniveaus auf allen Gebieten ist nicht in einem Sprung möglich."
Apels Reformbestrebungen geraten in Misskredit
"Und dann kam der Sturz von Chruschtschow und der Amtsantritt von Breschnew, und der signalisierte: Stopp jetzt mit den Wirtschaftsreformen bei uns in der Sowjetunion, denn die hatte vor der DDR das auch schon gemacht, es wurde sofort gestoppt, man sagte: Ihr in der DDR habt das auch zu stoppen."
Der neue Kremlchef droht, die sowjetischen Rohstofflieferungen an die DDR drastisch einzuschränken. Erich Apels Reformbestrebungen geraten in Misskredit.
"Vorher dachte er ja noch, er hat Rückenwind und kann die Wirtschaftsreform durchsetzen, weil Ulbricht auf seiner Seite stand, aber Ulbricht war ein gewiefter politischer Opportunist, der sofort die Seiten wechselte, wenn er merkte, der Wind kam von vorne, und das war nach dem Amtsantritt von Breschnew so."
Am 3. Dezember 1965 unterzeichnen hochrangige Regierungsvertreter von DDR und UdSSR in Ost-Berlin ein Handelsabkommen, das, so die Kritik Apels, die Exportkraft der DDR für die nächsten fünf Jahre der Sowjetunion ausliefert. 1963 hatte Erich Apel noch verkündet:
"Die Systeme führen wir ein, und dann wird abgerechnet. Gemessen werden wir alle an unseren Erfolgen. Einen anderen Maßstab haben wir nicht."
"Einsamer Streiter für eine Wirtschaftsreform, die offenbar keiner mehr wollte"
Nun muss der Leiter der Staatlichen Plankommission erkennen, dass seine Reformbestrebungen zum Scheitern verurteilt sind. Er schießt sich eine Kugel in den Kopf. Das offizielle ärztliche Bulletin erklärt den Suizid mit "nervlicher Überlastung". Bis heute wird spekuliert, ob Erich Apel ermordet worden ist. Der Politikwissenschaftler Klaus Schroeder glaubt nicht daran:
"Ich würde im Moment eher davon ausgehen, dass es die Resignation war, als Widersacher der Partei öffentlich bloßgestellt zu werden, als einsamer Streiter für eine Wirtschaftsreform, die offenbar keiner mehr wollte."
Die von Erich Apel eingeleiteten Wirtschaftsreformen spielen fortan keine Rolle mehr. Das "Neue Ökonomische System" ist schon bald Geschichte.