"So, jetzt sind wir im Archiv, und hier kommen wir in das Korbinian Aigner-Eck. Sie sehen hier alle, in säurefreien Kartons, die Apfel- und Birnenbilder, die er über 50 Jahre und mehr hinweg gemalt hat."
Zwei pralle Äpfel, gelb, mit roten Wangen sind auf dem postkartengroßen Bild zu sehen, das Peter Brenner aus dem Kasten zieht. Der Kulturwissenschaftler und Bildungshistoriker ist Direktor des Archivs der Technischen Universität in München. Hier werden die rund 900 Bilder von Korbinian Aigner verwahrt.
Aigners Apfelbilder als Konzeptkunst ausgestellt
"So sieht also ein Fürstenapfel aus."
Viel wird hineininterpretiert in diese Illustrationen, die der Landpfarrer mit einfachen Wasserfarben aus dem Schultuschkasten malte: Als eine Kritik an der sinnesfeindlichen Kirche werden sie gelesen, mit den Apfelbildern von Cézanne verglichen, auf der Documenta wurden sie 2012 als Konzeptkunst ausgestellt.
"Korbinian Aigner würde wahrscheinlich heute den Kopf schütteln und sagen: Ihr spinnt doch."
Wanderjahre als Hilfsgeistlicher
Ihm dienten die Bilder schlicht als Anschauungsmaterial für seine Arbeit im Obstbauverein.
"Wenn er über die Dörfer gezogen ist, die Bauern über die Möglichkeiten des Obstbaus unterrichtet hat, dann hat er einfach seine Bilder gezeigt, um ihnen zu zeigen, wie sehen die Apfelsorten aus."
Mit großer Sachkenntnis hat Korbinian Aigner die zu seiner Zeit existierenden Apfel- und Birnensorten gemalt. Die Vollständigkeit seiner Kartei ist bis heute einzigartig.
Korbinian Aigner wird 1885 im oberbayrischen Hohenpolding geboren, als Sohn eines Großbauern. Er interessiert sich schon früh für die Apfelkunde, die Pomologie; und: er weiß schon als Schüler, dass er Pfarrer werden möchte. 1908, mit 23 Jahren, gründet er einen Obstbauverein, 1911 wird er zum Priester geweiht. Es beginnen Wanderjahre als Hilfsgeistlicher.
"Korbinian Aigner ist oft angeeckt, wir haben diese wunderbaren Zeugnisse, da häufen sich die Beschwerden seiner kirchlichen Vorgesetzten darüber, die sich in einem wunderbaren Satz verdichten lassen: "Er ist mehr Pomologe als Theologe."
Doch Aigner pflegt mit unverändertem Engagement seine Obstbäume - für ihn genauso Dienst an der Schöpfung wie eine Messe zu halten. Er hält Vorträge über Apfelanbau, legt in seinen Gemeinden Plantagen und Alleen an und berät bei pomologischen Fragen genauso wie bei geistlichen.
1931 bekommt er eine eigene Pfarrstelle.
"Der Mann muss ein unglaublich in sich gefestigter Mensch gewesen sein, ganz fest in seinem kirchlichen katholischen Glauben ruhend, das was richtig war, hat er getan, ungeachtet der Folgen, die für ihn absehbar waren."
Erst ins Gefängnis, dann ins KZ
Das gilt auch für die Zeit des Nationalsozialismus, den Aigner als Katholik und Traditionalist von Anfang an ablehnt. So weigert er sich 1933, anlässlich der Reichstagswahlen die Glocken zu läuten.
"Ich als katholischer Pfarrer mache das, was meine Pflicht ist, nämlich nicht Glocken läuten in diesem Fall. Glocken läuten ist ein sakraler Akt und kein weltlicher Akt. Und so haben wir Dutzende von ähnlichen Begebenheiten. Er weigert sich NS-Fahnen in die Kirche zu lassen, weil er sagt, das sind eben keine geweihten Fahnen, er macht sich lustig über die SA."
Aigner wird strafversetzt, lässt sich aber nicht einschüchtern. Als Georg Elser 1939 mit seinem Attentat auf Hitler scheitert, sagt der Landpfarrer am nächsten Tag im Religionsunterricht:
"Ich weiß nicht, ob es Sünde ist, was der Attentäter im Sinne hatte. Dann wäre halt vielleicht eine Million Menschen gerettet worden."
Von Mitgliedern seiner Gemeinde verraten, kommt er erst ins Gefängnis und schließlich ins KZ. Von dieser Zeit ist wenig bekannt. Nur, dass der Landpfarrer heimlich auf der Kräuterplantage, die es in Dachau gibt, aus Apfelkernen Sämlinge zieht. Rund 130 dieser Apfelpflänzchen lässt er aus dem Lager schmuggeln, damit sie außerhalb zu Bäumen werden können. Aus vieren wird tatsächlich eine neue Apfelsorte. Seine Züchtungen nennt Aigner KZ-1 bis -4.
1945, wenige Tage vor Kriegsende, gelingt ihm die Flucht. Korbinian Aigner kehrt zurück nach Hohenbercha, tritt seine Pfarrstelle wieder an und wird Vorsitzender des Bayrischen Landesverbandes für Obst- und Gartenbau.
Auch wenn er nie vom KZ gesprochen hat - vergessen hat er diese Zeit nicht. Den Mantel mit dem roten Winkel für die politischen Gefangenen legt er nie ab: als er am 5. Oktober 1966 stirbt, wird er darin beerdigt. Seine Züchtung KZ-3 wird heute noch angebaut.