"Die Verträge sind umfangreich und verwickelt. Die Fülle der modernen wirtschaftlichen technischen Probleme hat das notwendig gemacht. Wir dürfen aber nicht das wahrhaft
Große des erreichten Fortschritts übersehen."
Große des erreichten Fortschritts übersehen."
Das sagte Konrad Adenauer, nachdem er am 25. März 1957 seine Unterschrift unter die Römischen Verträge gesetzt hatte. Sie ließen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die europäische Atomgemeinschaft mit der Montanunion, die bereits 1951 entstanden war, zusammenwachsen. Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Italien, Frankreich und die Bundesrepublik waren in Rom dabei. Die Verträge waren höchst kompliziert; die Entscheidungswege verschlungen. Denn das letzte Wort wollten weiterhin die nationalen Regierungen behalten.
Schuman eröffnet das "Europäische Parlament"
Am 19. März 1958 eröffnete Robert Schuman, der als französischer Außenminister die treibende Kraft bei der Gründung der Montanunion gewesen war, die so genannte Parlamentarische Versammlung. Sie war bereits mit der Montanunion geschaffen worden und diente als Gremium zur Beratung. Mit den Römischen Verträgen sollte sie fortan für alle drei europäischen Gemeinschaften zuständig sein.
"In seiner Antrittsrede als Parlamentspräsident erklärte Robert Schuman, die Versammlung, wie es damals hieß, trage in Zukunft die Bezeichnung 'Europäisches Parlament'."
Der Christdemokrat Hans-August Lücker war 1958 Gründungsmitglied der parlamentarischen Versammlung.
"Und er sagte, das Europäische Parlament hat die einmalige und hohe Aufgabe, Europa den Völkern Europas nahezubringen und sie zu vertreten."
Ruf eines Debattierclubs ohne Bodenkontakt
Ein hehres Ziel, für das sich das Parlament mit der zunächst nur zugewiesenen Beratungsfunktion bald nicht mehr zufriedengeben wollte. Doch Kommission und Ministerrat reagierten auf dieses Ansinnen ausgesprochen reserviert, denn sie befürchteten eine Beschränkung der eigenen Kompetenzen. So konnte die parlamentarische Versammlung allenfalls Empfehlungen aussprechen und erwarb sich schnell den Ruf, ein Debattierclub ohne Bodenkontakt zu sein. Der Luxemburger Politiker Gaston Thorn, von 1959 bis '69 Mitglied im Straßburger Parlament, über die Anfangsjahre:
"Damals beriet die Versammlung über alles und nichts, sie hatte keinen besonderen Einfluss. Am wichtigsten war ihr Name, eine europäische Versammlung zu sein. Aber ansonsten motivierte sie niemanden und wurde mit Gleichgültigkeit betrachtet."
Die ursprünglich 142 Abgeordneten wurden nicht von den Bürgern gewählt, sondern rekrutierten sich aus Mitgliedern der nationalen Parlamente.
1979: erste allgemeine und freie Wahlen zum Europaparlament
Erst 1979 fanden die ersten allgemeinen und freien Wahlen zum Europaparlament statt, obwohl sie bereits in den Römischen Verträgen festgeschrieben waren. Seitdem können die Bürger alle fünf Jahre entscheiden, wer ihre Interessen gegenüber Kommission und Ministerrat vertritt. Der Meinungsforscher Richard Hilmer:
"Wir hatten ja zuletzt eine absurde Entwicklung: Je wichtiger Europa, je wichtiger auch das Europaparlament wurde, desto geringer war das Interesse an der Wahl. Die Wahlbeteiligung sank eigentlich kontinuierlich von Legislaturperiode zu Legislaturperiode."
Mehr Kompetenzen seit den achtziger Jahren
1979 gaben europaweit knapp 62 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimmen ab. 2014, bei der letzten Europawahl, lag die Wahlbeteiligung bei gerade einmal 43 Prozent. Klaus Hänsch, von 1979 bis 2009 Abgeordneter in Straßburg, hat dafür kein Verständnis:
"Ich habe den Eindruck, viele Menschen glauben immer noch, das Europäische Parlament sei ein Beratungsorgan, das mal Resolutionen fasst, aber sonst nichts zu sagen hat. Das war am Anfang mal richtig, aber heute ist das schlichtweg falsch."
Vor allem seit den achtziger Jahren erstritt sich das Parlament beharrlich mehr und mehr Kompetenzen. Einen gewaltigen Machtzuwachs brachte der Lissaboner Vertrag, seit 2009 die Grundlage der Zusammenarbeit in der EU. Das Europäische Parlament kann seitdem gleichberechtigt mit dem Ministerrat in allen Politikfeldern mitentscheiden. Gesetzgebung und EU-Haushalt gehören seitdem zu seinen Kernkompetenzen. Damit ist es im Laufe seiner 60-jährigen Geschichte vom machtlosen Debattierclub zum debattierenden Machtzentrum herangereift.