Die Zahl Online-Shopper ist im letzten Jahr um sieben Prozent gestiegen. Diese Bilanz hat der Handelsverband Deutschland gerade erst gezogen. Und fast die Hälfte des Umsatzes in diesem Onlinegeschäft, so der HDE, macht Amazon: Ein Unternehmen, das seit Jahren im Clinch liegt mit der Gewerkschaft Verdi - um Löhne, um Arbeitszeiten und um Arbeitsbedingungen.
Ein Knopfdruck des Kunden auf einer Internetplattform und am anderen Ende der Lieferkette flitzen Amazon-Mitarbeiter durch Lagerhallen, schwingen sich Deliveroo-Lieferanten auf ihr Fahrrad oder hetzen Paketboten von einer Tür zur nächsten. Die Plattformunternehmen bringen neue Formen von Arbeit hervor. Das ändert aber nichts an den Bedürfnissen von Beschäftigten, meint Reiner Hoffmann heute im "Morgenmagazin":
"Auch im Zeitalter der Digitalisierung brauchen Menschen Sicherheit, sie brauchen tarifvertraglichen Schutz, sie brauchen betriebliche Interessenvertretung."
Und Hoffmann mahnt das nicht ohne Grund an. Denn genau darum ist es oft genug schlecht bestellt bei den Digitalunternehmen. Am Wochenende hatte Hoffmann im Deutschlandfunk vor einem größer werdenden digitalen Proletariat gewarnt.
Kritik an den Arbeitsumständen
Ein Beispiel sind die Essenslieferanten von Foodora, Deliveroo und Co. In bunten Uniformen und mit klobigen Boxen auf dem Rücken fegen sie auf ihren Fahrrädern inzwischen durch viele deutsche Großstädte – ihren eigenen Fahrrädern, wohlgemerkt. Mittlerweile zahlen einige Plattformen ihren Fahrern dafür immerhin eine Verschleißpauschale.
Doch die kritisieren noch ganz andere Arbeitsumstände – und gingen deswegen Mitte April noch auf die Straße. Deliveroo dränge die Kuriere in die Scheinselbstständigkeit, so ein Vorwurf. Und: Die Gründung von Betriebsräten werde verhindert. Deliveroo weist die Vorwürfe zurück.
Eigentlich klassisches Gewerkschaftsterrain, aber die entdecken die Lieferdienste erst langsam für sich. Betriebsratswahlen und Streiks wurden ohne die direkte Beteiligung der großen Gewerkschaften organisiert. Die Gewerkschaftsforscherin Anke Hassel vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung erklärt das so:
"Ich glaube, dass die Gewerkschaften im Moment diesen Prozess der Digitalisierung, den wir jetzt sehen, der auch zu neuen Beschäftigungsformen führt, wie in der Plattform-Ökonomie, sich sehr genau anschauen – sich sehr genau anschauen, in welche Richtung diese Unternehmen gehen. Und dann natürlich irgendwann auch anfangen, direkt in die Auseinandersetzung mit den Unternehmen zu gehen."
Beispiel Amazon: Streiks ändern nichts
Beobachten könne man das zum Beispiel bei Amazon. Dort indes hat der seit Jahren geführte Streit um Löhne und Arbeitsbedingungen zwischen Unternehmen und der Gewerkschaft Verdi noch keine Früchte getragen. Daran ändern auch die Streiks – alle Jahre wieder – zur Weihnachtszeit nichts. Denn, so Hassel:
"Amazon hat auch seine Vertriebsstellen in Regionen, die jetzt wirtschaftlich nicht besonders gut entwickelt sind, also wo auch die regionale Bevölkerung auf diese Arbeitsplätze angewiesen sind. Die dann auch nicht direkt in eine Auseinandersetzung mit ihrem Arbeitgeber gehen wollen und so weiter. Also die Umstände, unter denen dort Gewerkschaften operieren müssen, sind schon sehr schwierig."
Die fordern nicht zuletzt deswegen Hilfe aus der Politik, zum Beispiel für den Fall, dass Digital-Plattformen die Bildung von Betriebsräten blockieren. Etwa, indem die Arbeitsverhältnisse von Betriebsräten mit befristeten Verträgen nicht verlängert werden. Verdi-Chef Frank Bsirske gestern im "Bericht aus Berlin":
"In dem Moment, wo jemand in den Betriebsrat kommt, sollte die Befristung aufgehoben werden. Und für die Dauer der Wahlperiode dann auch gesichert werden. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung, um unter solchen Bedingungen auch einen Schutz für diejenigen, die sich für die Kolleginnen und Kollegen einsetzen, zu gewährleisten."
Entsprechende Gesetzesentwürfe von Linken und Grünen im Bundestag gebe es, so Bsirske. Gespräche mit Union und SPD liefen.