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Vor der Griechenland-Wahl
"Tsipras hat sich verkalkuliert"

Nach Ansicht des Leiters der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen, Christos Katsioulis, wird die Gruppe der Nichtwähler bei der Neuwahl in Griechenland an diesem Wochenende besonders groß sein. Wer wählen gehe, könne "zwischen Teufel und Beelzebub" entscheiden, sagte Katsioulis im DLF. Laut Umfragen gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Syriza und Nea Dimokratia.

Christos Katsioulis im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Kontrahenten: Ex-Ministerpräsident Alexis Tsipras (links) und der konservative Herausforderer Evangelos Meimarakis.
    Bei der griechischen Parlamentswahl erwarten Meinungsforscher ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Ministerpräsident Alexis Tsipras (Syriza, links) und dem konservativen Herausforderer Evangelos Meimarakis (Nea Dimokratia). (dpa / picture alliance / Yannis Kolesidis)
    Der Athener Büroleiter der SPD-nahen Friedrichen-Ebert-Stiftung sagte im Deutschlandfunk, dem Interims-Vorsitzenden der konservativen Nea Dimokratia, Evangelos Meimarakis, sei es gelungen, die Geschlossenheit der Partei wieder herzustellen und alle Wähler zu mobilisieren, die dem konservativen Lager zuzurechnen sind. Zum anderen sei Ministerpräsident Alexis Tsipras (Syriza) schwach und ohne "wirkliche Message" in den Wahlkampf gestartet. "Es scheint, als sei der Partei so ein bisschen die Verve und der Spirit verloren gegangen, die sie noch im Januar ausgezeichnet haben." Tsipras habe sich verkalkuliert.
    Die Griechen hätten bei der Parlamentswahl am Sonntag die Wahl "zwischen Teufel und Beelzebub", sagte Katsioulis. Es gebe "auf der einen Seite die alten Parteien, die das Land gegen die Wand gefahren haben und auf der anderen Syriza, die in den sieben Monaten ihrer Regierungszeit auch nicht gerade blühende Landschaften hinterlassen haben".
    Es gebe außerdem einen "demotivierenden Faktor", der die Zahl der Nichtwähler in die Höhe treibe, sagte Katsioulis: "Viele sehen sich eher in der Situation, dass man eine Art Verwalter oder eine Umsetzungsinstanz für dieses vereinbarte Programm wählt und eben nicht zwischen politischen Alternativen wählen kann."

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Zurückgetreten war er eigentlich, um seine Macht zu sichern, der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras. Nach erbittertem Widerstand gegen die von den Geldgebern geforderte Sparpolitik, nach dem griechischen Nein in dem Referendum darüber war Tsipras Priorität zuletzt der Verbleib seines Landes im Euro. Seine linke Syriza-Partei hatte sich darüber tief zerstritten, ist gespalten vor den Neuwahlen in Griechenland an diesem Wochenende, und da ist jetzt alles andere als klar, ob Tsipras Kalkül aufgeht, denn Meinungsforscher sehen Tsipras keineswegs vor einem Triumph, sondern sprechen derzeit von einem Kopf an Kopf-Rennen mit dem Kandidaten der konservativen Nea Dimokratia, Meimarakis. Wir wollen darüber in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich den Leiter des Athener Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung. Guten Morgen, Christos Katsioulis.
    Christos Katsioulis: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Tsipras wirkte ja lange wirklich vollkommen unangefochten. Wieso geht die Nea Dimokratia jetzt doch so stark in den Wahltag?
    Katsioulis: Das ist eine gute Frage. Er hat sich da offensichtlich verkalkuliert. Es sind zwei Faktoren, die sicherlich die Situation verändert haben. Zum einen ist es Meimarakis, dem sehr gut agierenden Interimsvorsitzenden der Nea Dimokratia, gelungen, die Geschlossenheit der Partei herzustellen und alle Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren, die dem konservativen Lager angehören, und zum zweiten ist Tsipras schwach in den Wahlkampf gestartet. Er hat auch keine wirkliche Message und es scheint, als sei der Partei so ein bisschen die Verve und der Spirit verloren gegangen, die sie noch im Januar ausgezeichnet haben.
    Alternativen zwischen Teufel und Beelzebub
    Schulz: Jetzt gab es ja den Vorwurf gegen die etablierten Parteien in Griechenland. Die hätten die Krise mit verursacht, die hätten quasi ausgedient. Das gilt jetzt nicht mehr?
    Katsioulis: Das zieht durchaus noch und man sieht, dass gerade in der letzten Woche vor den Wahlen das auch noch mal Leute für Syriza mobilisiert. Aber die Alternativen, die am Sonntag den Griechinnen und Griechen an der Wahlurne zur Verfügung stehen, sind so ein bisschen zwischen Teufel und Beelzebub: auf der einen Seite die alten Parteien, die das Land gegen die Wand gefahren haben, und auf der anderen Seite Syriza, die in den sieben Monaten ihrer Regierungszeit auch nicht gerade blühende Landschaften hinterlassen haben. Insofern ist es sehr, sehr schwierig für viele, sich am Sonntag zu entscheiden.
    Schulz: Ist es denn überhaupt eine echte Entscheidung, denn die Sparpolitik, die wird ja so oder so kommen?
    Katsioulis: Das kommt als Drittes dazu als demotivierender Faktor und wird sicherlich die Zahl der Nichtwähler(innen) erhöhen. Viele sehen sich eher in der Situation, dass man einen Verwalter oder eine Art Umsetzungsinstanz für dieses vereinbarte Programm wählt und eben nicht zwischen politischen Alternativen wählen kann, und viele fragen sich auch - vor drei Wochen waren noch Umfragen dort -, sieben von zehn Griechinnen und Griechen fragen sich, wozu wählen wir überhaupt, warum muss ich zur Wahl gehen.
    Schulz: Warum sind jetzt die Umfragewerte so schwach für diese Linke, für die linke Abspaltung von Syriza, die den alten Syriza-Kurs ja sozusagen fortsetzt? Das Nein zu der Sparpolitik, das war ja mal das Erfolgsrezept von Syriza. Warum verfängt das jetzt nicht bei dieser sogenannten Volksunion?
    Katsioulis: Das Erfolgsrezept von Syriza war das Nein zur Sparpolitik kombiniert mit dem Ja zum Euro. Das war das Erfolgsgeheimnis. Das waren die zwei großen Versprechen, die Syriza damals gemacht hat mit Tsipras. Er hat sich, wie Sie in Ihrem Vorbericht auch gesagt haben, auf das eine konzentriert, auf das Ja zum Euro. Die Volkseinheit von Lafasanis ist jetzt eine der sogenannten Drachmen-Parteien und die Drachme genießt in Griechenland extrem wenig Unterstützung. Hinzu kommt, dass diese Partei weniger das Junge und diese Aufbruchsstimmung von Syriza verkörpert, sondern das sind viele Altkommunisten, deutlich ältere Semester, und insofern trifft das auf sehr, sehr wenig Zuspruch.
    Es möchte eigentlich keiner gewählt werden
    Schulz: Wie haben Sie diesen Wahlkampf jetzt erlebt, in dem das politische Korsett aller Akteure ja doch recht straff sitzt?
    Katsioulis: Es war ein seltsamer Wahlkampf. Man hatte oft den Eindruck, das Land befindet sich gar nicht im Wahlkampf. Es war wenig plakatiert worden, lediglich im Fernsehen fanden die Diskussionen statt. Es gab eine wunderbare Karikatur letztens in der Zeitung, die das so ein bisschen widergespiegelt hat: Tsipras, der Nachts mit einem Albtraum aufwacht, und als er gefragt wird, was hast Du geträumt, sagt er, ich wurde wiedergewählt. Man hat den Eindruck, es möchte eigentlich keiner gewählt werden, weil er weiß, schwierig wird es vor allem nach den Wahlen werden.
    Schulz: Aber Tsipras ist ja zurückgetreten und hat diese Neuwahlen indirekt ausgerufen, um über diese Auseinandersetzung in seiner eigenen Partei sich quasi Rückendeckung zu holen über ein stärkeres politisches Mandat. Hat er sich da verkalkuliert?
    Katsioulis: Er hat sich sicherlich teilweise verkalkuliert. Seine Popularitätswerte zum Zeitpunkt seines Rücktritts waren extrem hoch und Syriza hatte einen deutlichen Vorsprung. Aber ich glaube, er hat unterschätzt, dass die Bürgerinnen und Bürger zum einen wahlmüde sind und zum anderen gar nicht wirklich einsehen, warum es notwendig ist, jetzt zu wählen. Das hätte man auch anders lösen können, beispielsweise mit einer neuen Koalition, die Tsipras zur Verfügung gestanden hätte. Insofern kann es gut sein, dass sie ihm, das was er jetzt versucht hat, an die Bürgerinnen und Bürger als Frage zu richten, wieder zurückgeben am Sonntag, sodass ein unklares Mandat dabei herauskommt und wir erst mal in schwierige Koalitionsverhandlungen gehen.
    Durch die Sparpolitik werden Fraktionen kleiner
    Schulz: Was wäre das Szenario da?
    Katsioulis: Da gibt es viele Szenarien. Die Partei, die gewinnen wird, egal wie knapp, bekommt 50 Sitze Bonus im Parlament. Das heißt, sie hat die Möglichkeit, mit einer oder zwei kleinen Parteien eine Koalitionsregierung zu bilden. Die Frage wird sein, wie stabil das ist, weil wir bei den letzten beiden oder nach den letzten Wahlen immer die Erfahrung gemacht haben, dass die Umsetzung dieser Sparpolitik dafür sorgt, dass Fraktionen kleiner werden: Parlamentarier, die austreten, die ihr Mandat niederlegen, die die Partei wechseln. Insofern wird die Frage sein, inwiefern es der stärkeren Partei, sei es Nea Dimokratia, sei es Syriza, gelingt, eine stabile Koalition zu bilden.
    Schulz: Können Sie sich denn so eine Große Koalition überhaupt vorstellen? Der konservative Kandidat Meimarakis, der sagt ja, er könne sich eine Große Koalition mit Syriza durchaus vorstellen. Da treffen doch politische Gegensätze, die eigentlich kaum schroffer sein könnten, aufeinander. Wie würde da die Zusammenarbeit aussehen?
    Katsioulis: Ich glaube, das ist eine konjunktivistische Option. Tsipras hat schon deutlich gemacht, für ihn ist das eine widernatürliche Koalition, so hat er das ausgedrückt, und ich sehe da auch durchaus politische Probleme, denn wir müssen im Moment davon ausgehen, dass die Faschisten von der Goldenen Morgenröte drittstärkste Kraft werden. Sollte es eine Große Koalition geben, dann werden sie Hauptoppositionspartei, und das ist eine wichtige institutionelle Rolle in Griechenland, und es wäre sicherlich schwierig, wenn die von den Nazis wahrgenommen werden würde. Und zum zweiten wäre es sicherlich sinnvoll, wenn wir wegkommen würden von der starken Polarisierung, sprich Regierung setzt um und legt den Menschen Schmerzen auf und auf der anderen Seite die Opposition macht sich einen leichten Fuß. Von da ausgehend sehe ich besser, wenn Syriza ohne Nea Dimokratia in der Opposition ist und von dort aus auch einen Teil des Memorandums mit stützt.
    Parteiübergreifender Konsens für die Sparpolitik
    Schulz: Aber der Reformkurs, der Sparkurs, der ja auch so schroff abgelehnt wurde, der steht jetzt eigentlich nicht mehr zur Diskussion?
    Katsioulis: Das ist die Neuerung, die wir jetzt erleben. Zum ersten Mal sehen wir einen größeren, parteiübergreifenden Konsens darüber, dass diese Sparpolitik durchgesetzt werden muss. Das heißt, wir erleben möglicherweise zum ersten Mal das Ende dieser massiven Polarisierung in Griechenland. Bisher war es ja immer so, dass die große Oppositionspartei gesagt hat, es geht anders, wir kennen einen anderen Weg, die Sparpolitik ist gar nicht notwendig. Dieses Mal ist das nicht mehr so und das könnte dazu beitragen, dass wir endlich mal auch eine gesellschaftliche Akzeptanz dieser Sparpolitik erreichen und aus diesem politischen Klein-Klein rauskommen.
    Schulz: Der Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Athen, Christos Katsioulis, hier heute in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank Ihnen.
    Katsioulis: Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.