Peter Kapern: US-Außenminister John Kerry hat vom Protest seiner Diplomaten gegen seine Syrien-Politik in Kopenhagen erfahren, wo er derzeit zu Besuch ist. Er habe das Papier noch nicht gelesen, halte es aber für wichtig und werde sich mit den Verfassern nach seiner Rückkehr nach Washington treffen, so der amerikanische Außenminister.
Die Verfasser, das sind 50 hochrangige Diplomaten seines Außenministeriums, die in den letzten Jahren vor allem mit der amerikanischen Syrien-Politik befasst waren. In einer Protestnote, hausintern verfasst, fordern sie, das amerikanische Militär müsse Drohnen, Raketen und notfalls auch Kampfbomber gegen die Truppen des syrischen Diktators Baschar al-Assad einsetzen. Darüber berichten das "Wall Street Journal" und die "New York Times". Bei uns am Telefon der Nahost-Experte Michael Lüders. Guten Tag!
Michael Lüders: Schönen guten Tag, Herr Kapern. Hallo!
Kapern: Herr Lüders, wie bewerten Sie den Vorstoß der US-Diplomaten?
Lüders: Ja, der ist erstaunlich und vor allem mit Blick auf die Entwicklung in Syrien nicht ganz nachzuvollziehen, denn eigentlich müsste diesen Diplomaten, die sich mit Syrien befasst haben, klar sein, dass eine Politik der militärischen Intervention, wie sie die USA seit 2001, seit den Terroranschlägen des 11. September vollzogen haben, sei es in Afghanistan, im Irak, in Syrien, in Libyen und im Jemen, in allen genannten Ländern lediglich Staatsverfall gebracht hat, zu Anarchie und Chaos geführt hat. Und das Erstarken von terroristischen Bewegungen wie dem Islamischen Staat ist ursächlich auf diese Interventionspolitik zurückzuführen. Jetzt also mehr von derselben Politik zu fordern, ist zumindest erstaunlich.
Kapern: Nun hat aber die US-Regierung gerade in Syrien eine Politik der militärischen Nichtintervention betrieben mit dem Ergebnis, dass der Massenmörder Baschar al-Assad an der Spitze des Staates nach wie vor ist und mutmaßlich, wenn es so weitergeht, die Kontrolle über das ganze Land zurückgewinnt. Ist das die bessere Option?
Lüders: Zunächst einmal ist Baschar al-Assad natürlich ein Schlächter an seinem Volk und der Einsatz etwa von Fassbomben gegen die eigene Bevölkerung ist völlig inakzeptabel. Er verteidigt mit allen Mitteln, auch der allergrößten Gewalt seine eigene Macht. Das ist skrupellos und macht ihn zu einem Kandidaten für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Das ändert aber nichts daran, dass Baschar al-Assad ein im Westen gerne gesehener Ansprechpartner war, bis es zur arabischen Revolte gekommen ist. Die USA haben beispielsweise Gefangene, die sie gerne gefoltert sehen wollten, als Terrorverdächtige auch nach Syrien gebracht. Es gab eine enge Zusammenarbeit, das darf man nicht vergessen.
Baschar al-Assad soll nicht gestürzt werden, weil er ein skrupelloser Schlächter an seinem eigenen Volk wäre. Der eigentliche Grund für den Wunsch, ihn zu stürzen, besteht darin, Syrien als den wichtigsten Verbündeten Russlands und Irans in der Region auszuschalten. Und vergessen wir auch nicht, dass die Amerikaner die ersten waren, die Waffen geliefert haben an die syrische Opposition, zunächst unmittelbar nach dem Sturz von Gaddafi von Libyen in Richtung Syrien. Diese Waffen wurden dann verwendet unter anderem von der Nusra-Front, dem Ableger von Al-Kaida in Syrien.
"In diesem Bürgerkrieg gibt es nicht Gut und Böse"
Kapern: Jetzt muss ich aber noch mal nachfragen, Herr Lüders. Worauf stützen Sie sich, wenn Sie wissen, dass es dem Westen gar nicht darum geht, die Menschen in Syrien vor dem massenhaften Morden und Töten durch Baschar al-Assads Truppen zu schützen, sondern dass da ganz andere Motive vorherrschen, nämlich dass strategische Kalkül gegenüber Moskau?
Lüders: Schon im Jahr 2009 - das wissen wir aus Veröffentlichungen von Wikileaks - hat die damalige amerikanische Repräsentanz in Damaskus in mehreren Depeschen dargelegt, dass man, um das System Baschar al-Assad zu stürzen und zu schwächen, zweierlei tun sollte, nämlich zum einen die ethnischen Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten zu schüren, um das Regime zu schwächen, idealerweise zu stürzen, und des weiteren Auslandsinvestitionen in Syrien vor allem durch die Golfstaaten und durch die Europäer verhindern und reduzieren sollte, dieses in der Absicht, Baschar al-Assad und sein Regime zu stürzen, alles nachzulesen durch die Veröffentlichungen von Wikileaks. Aus dem Jahr 2009 gibt es auch eine interessante Veröffentlichung des CIA, die ganz genau vorlegt und öffentlich zugänglich ist, die ganz genau darlegt, dass der Vormarsch von Al-Kaida im Irak den Vormarsch von Al-Kaida auch in Syrien vorantreiben würde. Zwei Jahre vor Beginn der arabischen Revolte haben die Autoren der CIA dafür plädiert, diesen Vormarsch radikaler Islamisten in Syrien zuzulassen, in der Absicht, das Regime von Baschar al-Assad zu stürzen.
Kapern: Das heißt, die USA sind die eigentlichen Brandstifter im syrischen Bürgerkrieg?
Lüders: In diesem Bürgerkrieg gibt es nicht Gut und Böse; es gibt verschiedene Akteure, die alle mit überaus unlauteren Absichten versuchen, ihre eigenen geopolitischen Interessen ohne Rücksicht auf Verluste, vor allem ohne Rücksicht auf das, was die Syrer eigentlich wollen oder nicht wollen, durchzusetzen. Die Machtpolitik der Russen, die geopolitischen Manöver in Moskau und Teheran sind genauso wenig von Menschlichkeit getragen wie etwa die in Washington, in Brüssel oder in Berlin, und das muss man sich vor Augen halten.
Kapern: Was will denn die Mehrheit der Syrer, Herr Lüders? Will die Mehrheit der Syrer Baschar al-Assad, oder wollen sie eine andere Regierung?
Lüders: Die Mehrheit der Syrer will vor allem eine Beendigung des Krieges, und man hätte wissen können, als der Aufstand ausbrach in Syrien, dass nicht die gesamte Bevölkerung, anders als in Ägypten oder Tunesien, den Sturz von Baschar al-Assad wollte. Vor allem die religiösen Minderheiten, insbesondere die Christen, ziehen die Pest der Diktatur eines Assad, den sie seit 40 Jahren kennen, diese Diktatur, der Cholera einer möglichen Machtübernahme durch radikale Islamisten vor.
Kapern: Was führt zu diesem Frieden, den die Syrer wollen, wenn es weder der amerikanische Militäreinsatz ist, noch die Friedensverhandlungen in Genf?
Lüders: Wenn man ganz ehrlich ist muss man sagen, die Syrer sind ein verlorenes Volk. Denn es interessiert im Augenblick niemanden, keinen Akteur der internationalen Politik, was die Syrer selber wollen oder nicht wollen. Es ist Syrien ein Opfer geworden von Machenschaften, die in den Hinterzimmern der Macht ausgekungelt werden, und das Ganze gerät zunehmend außer Kontrolle zu geraten durch den immer größer werdenden Einfluss islamistischer Gruppierungen. Immerhin reden die USA und Russland jetzt miteinander in dieser Frage, aber die geopolitischen Ziele sind zu groß, wie dieses Momentum der Diplomaten aus den USA zeigt. Sie suchen auch in Syrien idealerweise den Showdown mit Baschar al-Assad und mit Russland, und das wird den Krieg verlängern.
Kapern: ... sagt der Nahost-Experte Michael Lüders heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Lüders, vielen Dank für Ihre Expertise und für Ihre Einschätzung. Ich wünsche Ihnen noch einen guten Tag.
Lüders: Vielen Dank.
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