Auf dem Saarbrücker Hauptfriedhof läutet die Totenglocke zum letzten Geleit. 65 Hektar misst der städtische Friedhof. Seit 100 Jahren werden hier im Saarbrücker Deutschmühlental Menschen zur letzten Ruhe gebettet.
Friedhofsleiter Stephan Ruloff schiebt ein Abdeckgitter eines frisch ausgehobenen Grabes beiseite. Die Grabstelle ist 1,60 Meter tief, sie verfüge über gute Eigenschaften:
"Sie sehen, hier haben wir relativ sandigen Boden, das heißt eine relativ gute Verwesung."
Viel Feuchtigkeit verlangsamt die Verwesung
Die Grabstelle wird wieder belegt, nach 30 Jahren endete die Liegezeit. Sarg, Leichnam und Kleidung des Toten hatten sich vollständig zersetzt. Leichenreste, die untrennbar an Kleidungsstücken anhaften, musste er dieses Mal nicht umbetten. Doch das kommt vor, öfter als es dem Friedhofspersonal lieb ist. Ein bis zwei Mal im Jahr stoßen die Mitarbeiter auf eine sogenannte Wachsleiche:
"Die haben ausgesehen fast wie am ersten Tag, da war die Kleidung vollständig, der Körper, es war eine klassische Wachsleichenbildung."
Auch diese werden umgebettet oder auf Wunsch für eine Feuerbestattung vorgesehen. Zur Bildung von Wachsleichen kommt es, wenn Sauerstoff fehlt und das Milieu sehr feucht ist. Dringt Oberflächenwasser oder Grundwasser in die Gräber ein, erlahmt die Aktivität von Enzymen und Bakterien. Das Fettgewebe wird nicht abgebaut sondern ausgeschwemmt und verhärtet so zu einer Art Fettpanzer, der die Leichen konserviert. Die Prozesse sind bekannt und wissenschaftlich aufgearbeitet – auch wenn es in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist. Friedhofsleiter Ruloff weiß, an welcher Ecke seines Friedhofes das Problem auftritt:
"Zum Beispiel Feld 85, da ist der Verwesungsprozess selbst nach 40 Jahren noch nicht abgeschlossen, das deutet darauf hin, dass ein sehr hoher Lehmanteil da ist und dass sehr viel Feuchtigkeit da ist und dann entsteht natürlich diese Wachsleichenbildung."
Über die Bodenbeschaffenheit der städtischen Friedhöfe hat Saarbrücken Gutachten erstellen lassen, um falls nötig mit Sandbeigaben zur besseren Durchlüftung, Belüftungsrohren oder auch unterirdischen Grabkammern der Wachsleichenbildung entgegen zu wirken. Auch die Bestatter können mit der Auswahl der Särge und der Bekleidung dabei helfen, dass gewünschte Prozesse nicht blockiert werden, sagt Rolf Lichtner Geschäftsführer des Verbandes deutscher Bestatter:
"Die Kleidung sollte Naturstoffe sein und keine Kunststoffe, weil die die Zersetzung zumindest verlangsamen, teilweise auch verhindern je nach Kunststoffart. Und bei den Särgen ist es so, dass wir bei der Erdbestattung immer Särge verwenden, die eine gewisse Druckfestigkeit haben, d.h. die Sauerstoffbelüftung im Sarg findet zumindest eine Weile statt, sodass die Zersetzung beginnen kann und entsprechend Sauerstoff da ist."
Keine regionale Problematik
Einer Studie der Universität Kiel zufolge, ist die Wachsleichenproblematik keine regionale, sondern ein flächendeckend auftretendes Problem. Von den geschätzt 32.000 Friedhöfen in Deutschland habe immerhin ein Viertel damit zu kämpfen. Die Probleme werden jedoch weniger, weil sich die Gepflogenheiten bei Bestattungen ändern und Erdbestattungen zunehmend durch Feuerbestattungen ersetzt werden:
"Bundesweit etwa 60 bis - keiner weiß es genau - 65 Prozent aller Beisetzungen finden nach einer Feuerbestattungen statt. Aber es bleiben immerhin noch 35 Prozent übrig. Es gibt natürlich auch immer noch regligiöse Überzeugungen, dass die Erdbestattung die richtige Bestattungsart ist. Und wir müssen diese Bestattungsart, die ja in allen gesetzlichen Vorschriften der Bundesländer als Regelbestattung immer noch vorgesehen ist, behalten, um auch den trauerkulturellen Ansprüchen zu genügen."
Dies gelte auch im Hinblick auf andere religiöse Gemeinschaften, wie etwa die Muslime, die erdbestattet werden wollten.*
*Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle stand ursprünglich, dass Muslime "nicht" erdbestattet werden wollen. Dabei handelt es sich um einen Fehler. Das Gegenteil ist der Fall. Sowohl im Text als auch in der Audiofassung des Beitrags haben wir das entsprechend korrigiert.