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Waffenembargo-Debatte
"Russland geht nicht in die Knie"

Die EU diskutiert ein Waffenembargo gegen Russland. Die deutsche Rüstungsindustrie würde das kaum treffen, sagte der Rüstungsfachmann Thomas Wiegold im DLF. Andere europäische Länder zwar mehr, dennoch bliebe Russland "waffenstark".

Thomas Wiegold im Gespräch mit Thielko Grieß |
    Das Bild zeigt russische Soldaten mit einem Panzer.
    Russland ist der zweitgrößte Waffenexporteur der Welt nach den USA. (dpa/picture alliance/Stanislav Krasilnikov)
    Als zweitgrößter Waffenexporteur der Welt nach den USA werde Russland "nicht in die Knie gehen", sollten Sanktionen bei den Rüstungslieferungen kommen, sagte der Journalist und Blogger Thomas Wiegold im Deutschlandfunk. Die deutsche Rüstungsindustrie müsse die Entscheidung hierzu ohnehin "nicht mit Spannung" beobachten, für sie gebe es andere und interessantere Exportmärkte wie zum Beispiel Saudi-Arabien.
    Für Frankreich dagegengeht es laut Wiegold bei einem Kriegsschiff-Deal um Milliarden, auch Großbritanniens Waffenunternehmen hätten Geschäfte im "dreistelligen Millionenbereich" am Laufen. Sogar ein Austausch mit den USA bestünde. Insgesamt sei die Situation "verflochten" und damit "sehr kompliziert".

    Thielko Grieß: "Jetzt reicht es," hat eine Sprecherin des Außenministeriums gestern gesagt, und andere Äußerungen aus Berlin deuten darauf hin, dass die Europäische Union eine Schraube noch weiter anziehen will: die Sanktionsschraube gegen Russland wegen des russisch und ukrainisch geführten Konflikts. Die Europäische Kommission will dazu heute Vorschläge unterbreiten. Leuchten wir sie jetzt aus, die geschäftlichen Beziehungen, was die Rüstung betrifft, und das tun wir mit Thomas Wiegold, Journalist und Rüstungsfachmann und Autor des Blogs "augengeradeaus.net". Guten Morgen nach Berlin.
    Thomas Wiegold: Guten Morgen, Herr Grieß.
    Grieß: Herr Wiegold, welche aktuellen Rüstungsgeschäfte gibt es zunächst einmal zwischen Russland und Deutschland?
    Wiegold: Zwischen Russland und Deutschland eigentlich im Moment gar nicht so viel größere. Es gibt ein relativ modernes oder ein sehr modernes Übungszentrum für die Infanterie, das das deutsche Unternehmen Rheinmetall an die Russen liefert, und man muss sagen, weitgehend schon geliefert hat. Nun haben vor einigen Wochen, vor einigen Monaten Sigmar Gabriel, der Wirtschaftsminister, und das Unternehmen sich verständigt, dass die noch ausstehenden Teillieferungen - und das sind nicht mehr so viele - jetzt erst mal auf Eis gelegt werden, was dem Unternehmen relativ leicht fiel, weil wie gesagt das meiste schon geliefert wurde. Und auf der anderen Seite, wir haben es gerade gehört: Sanktionen und Beschränkungen für Rüstungsgüter, die werden erst erwogen, die gibt es ja noch gar nicht. Das heißt, der Wirtschaftsminister hat gar keine rechtliche Handhabe, Unternehmen bereits genehmigte Lieferungen zu untersagen.
    "Milliarden für die französische Werftindustrie"
    Grieß: Ohnehin steht in der Überlegung, dann nur neue Waffengeschäfte, also nicht die bereits getätigten, möglicherweise zu begrenzen.
    Wiegold: So ist es.
    Grieß: Soweit der russisch-deutsche Aspekt, Herr Wiegold. Schauen wir jetzt zum Beispiel auf das französisch-russische Verhältnis. Wie sieht es da aus?
    Wiegold: Nun, das ist ungleich größer, das Problem, und auch ungleich komplizierter. Da geht es ja um große Schiffe, die als Hubschrauberträger, als Kommandozentralen, als schwimmende Kommandozentralen gebaut werden, und davon möchten die Franzosen zunächst zwei an die Russen liefern. Das ist vertraglich vereinbart. Die ersten russischen Soldaten sind auch schon an der französischen Atlantikküste eingetroffen, um zu üben, um auf diesem Schiff zu trainieren, und der französische Präsident hat dieser Tage gesagt, über das zweite Schiff werden wir noch mal nachdenken, ob wir das liefern. Das erste ist im Moment gar keine Frage, weil der Vertrag ist unterzeichnet, der Vertrag gilt, und es geht um Milliarden für die französische Werftindustrie.
    Grieß: Nun können wir noch schauen auf die Briten. Aus Großbritannien gab es viel Kritik an diesem Gebaren in Frankreich. Aber dann hat sich herausgestellt, dass auch die britische Industrie durchaus lebhafte Beziehungen mit Moskau unterhält.
    Wiegold: Das dürfte in unterschiedlichem Umfang für, glaube ich, alle Europäer gelten. Das gilt sogar auch für die USA. Es gibt derzeit eine Debatte dort, ob man einen Vertrag mit einer russischen Rüstungsfirma erfüllen will, der vorsieht, dass Hubschrauber für die afghanische Armee geliefert werden, bezahlt von den USA. Man sieht, das ist sehr kompliziert, alles sehr verflochten. Bei den Briten bewegt es sich in einem niedrigen dreistelligen Millionenbereich. Das ist also deutlich niedriger als die Milliardensumme, um die es bei Frankreich geht. Aber da geht es in der Tat ums Prinzip.
    An der Stelle sollte man vielleicht auch erwähnen, dass es da Überlegungen gibt, in der NATO, in den USA, solche Probleme, die Frankreich hat, vielleicht ein bisschen eleganter zu lösen. Es gibt da einen Brief zum Beispiel aus dem US-Kongress an den deutschen Botschafter in Washington vom 8. Juli, wo Abgeordnete aus dem Auswärtigen Ausschuss vorschlagen, diese Schiffe, diese großen Kommandozentralen, die sollen gar nicht an Russland geliefert werden, sondern die sollte die NATO kaufen, so wie die AWACS-Flugzeuge. Allerdings scheinen die europäischen finanzschwachen, etwas klammen Verbündeten da nicht besonders interessiert.
    "Russland wird nicht in die Knie gehen"
    Grieß: Diese Information liegt Ihnen exklusiv vor?
    Wiegold: Ich hoffe doch ja!
    Grieß: Es gibt natürlich Überlegungen, was diese Sanktionen überhaupt bewirken können. Was können Sie uns sagen über den Zustand der russischen Rüstungsindustrie, mit Blick darauf, ob die Russen, um es einfach zu sagen, auch alleine klar kämen?
    Wiegold: Nun, wenn wir immer darüber reden, dass Deutschland der drittgrößte Waffenexporteur der Welt ist, dann sollten wir mal auf die vorderen Plätze gucken. Das sind nämlich die USA und an zweiter Stelle Russland. Der zweitgrößte Waffenexporteur der Welt wird nicht in die Knie gehen, wenn ihm aus dem Westen keine Rüstungsgüter mehr und keine Waffen mehr geliefert werden. Es wird vielleicht an einigen Stellen ein bisschen schmerzlich oder unangenehm, wenn es um Hightech-Komponenten geht, aber dass Russland deswegen weniger waffenstarrend wäre, das wird sicherlich mit solchen Sanktionen nicht erreicht werden können.
    Grieß: Von manchen Seiten steht der deutsche Wirtschaftsminister, Sigmar Gabriel, den Sie ja auch angesprochen haben, in der Kritik, weil er den Export von sogenannten Vorprodukten für bestimmte Militärgüter bislang nicht durchgewunken habe, Vorprodukte, die dann weitergeliefert werden ins Ausland. Betrifft das eigentlich auch Rüstungsschmieden außerhalb der NATO?
    Wiegold: Es betrifft konkret vermutlich, nach dem, was man weiß, eine Rüstungsschmiede außerhalb der NATO, nämlich eine Gewehrfabrik in Saudi-Arabien, die dort in Lizenz Gewehre des schwäbischen Herstellers Heckler & Koch baut. Nun ist eine gewisse Ironie an der Geschichte. Die Lieferung dieser Gewehrfabrik, die wurde von einer früheren Großen Koalition genehmigt, als die Sozialdemokraten schon mal mit in der Regierung und auch damit mit im Bundessicherheitsrat saßen. Und jetzt deutet einiges darauf hin, dass der Wirtschaftsminister da versucht, einen etwas anderen Kurs zu fahren. Wir sehen ja auch, der frühere Wirtschaftsminister, der Vorgänger in der schwarz-gelben Koalition, der hat sich zum Thema Rüstungsexporte kaum oder gar nicht zu Wort gemeldet, und das will Sigmar Gabriel sicherlich anders machen. Er hat ja auch sehr eindeutig im Vorwort des jüngsten Rüstungsexportberichts geschrieben, Rüstungsexporte sind kein Mittel der Wirtschaftspolitik, sie sind ein Instrument der Sicherheitspolitik.
    "Naher Osten interessanter für deutsche Rüstungsindustrie"
    Grieß: Ziehen wir einen Strich darunter, Herr Wiegold. Wie sehr muss die deutsche Rüstungsindustrie mögliche Sanktionen gegen Russland, so sie denn kommen, fürchten?
    Wiegold: Nun, mit Ausnahme der Firma Rheinmetall, die natürlich gehofft hat, nach diesem einen Trainingszentrum noch weitere an Russland verkaufen zu können, mit Ausnahme dieses einen Produkts muss, glaube ich, die deutsche Rüstungsindustrie nicht mit Spannung darauf gucken, ob es da Exportbeschränkungen für Russland gibt. Die gucken auf ganz andere Regionen, auf ganz andere Exportmärkte: Naher Osten, Saudi Arabien, die arabischen Staaten. Das ist für die deutsche Rüstungsindustrie weitaus interessanter als Russland.
    Grieß: "augengeradeaus.net", das ist der Blog von Thomas Wiegold, mit dem wir hier heute Morgen im Deutschlandfunk gesprochen haben. Danke schön nach Berlin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.