Der Himmel über Vorpommern und das Meer vor der Küste. Hier auf Rügen scheinen sie sich ein Rennen zu liefern, wer sich weiter strecken kann. Keine einzige Wolke ist zu sehen, eine Welle nach der anderen rollt an den weißen Strand, in der Ferne sind ein paar Schiffe zu erkennen. Ines Lux und ihr Mann Ronald sind aus Schwerin für ein paar Tage an die Ostsee gekommen.
"Die Natur, die Inselatmosphäre. Das ist einfach genial. Man muss allerdings auch sagen: Rügen hat man nicht für sich alleine, Rügen teilt man mit ich weiß nicht wie vielen anderen Menschen. Das ist uns gestern Abend in Binz so aufgefallen. Überall Schlangen in und vor den Restaurants. Es gab kaum einen ruhigen Platz, an dem man sich mal hinsetzen konnte. Das ist vielleicht der einzige Grund, warum ich sage: "Das nächste Mal komme ich vielleicht lieber in der Nebensaison."
Das Geschäft brummt, nicht nur auf Rügen. Die Tourismus-Branche boomt in ganz Mecklenburg-Vorpommern. 15 Prozent. So hoch ist der Anteil, den die Branche inzwischen am gesamten Bruttoinlandsprodukt hat. Hundert Kilometer von Rügen entfernt, in Rostock. Der Politikwissenschaftler Martin Koschkar sieht die gesamte Wirtschaft im Aufwind.
"Traditionell stark ist der Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern. Die Gesundheitswirtschaft ist als wichtiger Punkt mit dazugekommen, hinzu kommt die Energiewende, also der Ausbau der Erneuerbaren Energien im Land. Dauerfrage mit Aufs und Abs bleibt immer die Werftensituation in Mecklenburg-Vorpommern. Da gibt es gerade eine relativ positive Perspektive vor der Landtagswahl. Ein asiatischer Investor hat den Landeswerften eine neue Perspektive ermöglicht."
Sichtbare Aufbruchstimmung
Diese Aufbruchstimmung ist sichtbar. Im Norden der Insel Rügen liegt Prora – mit 4,5 Kilometern das längste Gebäude der Welt. Konzipiert und gebaut durch die Nationalsozialisten war es ausgelegt für 20.000 Urlauber gleichzeitig. Später umgebaut zu einer der größten Kasernenanlagen der DDR wurde es nach dem Fall der Mauer jahrzehntelang sich selbst überlassen. Heute beherbergt der Bau Luxusapartments, schicke Restaurants. Und eine Jugendherberge. Strandlage, 424 Betten. Auf dem Campingplatz Platz für 1.500 Leute. Stephanie Westphal ist mitverantwortlich für die Leitung.
"In den Sommermonaten in der Hauptsaison sind wir komplett ausgebucht. Hauptsächlich kommen Familien, die sind in zwei Minuten am Strand. Das ist natürlich perfekt. Gerade für die Kinder. Jetzt scheint die Sonne, die gehen vom Frühstück direkt an den Strand und sind total glücklich. Wenn man durchgehend für zwei Wochen bei uns sein möchte, muss man schon ein Jahr im Voraus buchen. Das heißt, man müsste jetzt schon buchen, um für nächstes Jahr ein Zimmer zu buchen."
Boomender Tourismus. Fast 60.000 neue Arbeitsplätze, Halbierung der Arbeitslosenquote in den letzten Jahren. Ines Lux ist begeistert.
"Also ich bin ja eine sogenannte 'Zugereiste'. Ich bin kurz vor der Wende aus Sachsen gekommen. Und das, was sich hier in Mecklenburg-Vorpommern entwickelt hat, das ist wirklich fantastisch."
Trotz Wirtschaftsboom schlechte Umfragewerte für SPD und CDU
Schlagende Argumente für die Wiederwahl der rot-schwarzen Landesregierung. Eigentlich. Blickt man auf die letzten Umfragen, ergibt sich jedoch ein ganz anderes Bild. Die SPD liegt bei 27-Prozent. Das wäre ein Stimmenverlust von satten acht Prozent. Der Juniorpartner von der CDU steht auch nicht viel besser da, liegt bei historisch schlechten 22 Prozent. Martin Koschkar seufzt.
"Wir sehen in Umfragen, dass es sogar unter AfD-Anhängern eine hohe Zustimmungsrate für den Ministerpräsidenten gibt. Ungefähr ein Drittel der AfD-Wähler sind mit der Arbeit von Erwin Sellering und seiner Regierung zufrieden. Wer so argumentiert verknüpft ja die Wahlentscheidung zugunsten der AfD nicht notwendigerweise mit der Landespolitik. Da werden dann bundespolitische Themen wichtig. Wir sehen einen ganz starken Einfluss dieses 'Meta-Themas', der Flüchtlings- und Migrationsfrage. Das kommt von der Bundesebene, spielt natürlich auch in Mecklenburg-Vorpommern eine große Rolle – und somit auch bei der Wahlentscheidung."
"Meta-Thema" Flüchtlinge
Dieses "Meta-Thema", es ist auch spürbar in Rügen. Es ist auch spürbar am Strand. Es ist auch spürbar beim Ehepaar Lux. Landtagswahlen? Ronald Lux hat sich bisher zurückgehalten. Jetzt rückt er erst noch das Frühstücksgeschirr zurecht, dann zieht er die Stirn in Falten.
"Ich muss Ihnen sagen, dass ich ein Problem habe mit offenen Grenzen. Und da ist die Regierung auch in der Pflicht, uns deutsche Bürger in der Zukunft besser zu beschützen vor einer Massenflucht. Denn ich glaube nicht, dass wir das schaffen. Auch wenn Angela Merkel sagt, dass wir es schaffen. Andere sagen, dass wir es nicht schaffen. Für mich wäre es wichtig, dass die Politiker einig werden, in welche Richtung es geht, und uns deutsche Bürger darüber informiert, in welche Richtung es geht, damit wir auch mit der derzeitigen Situation umgehen können."
"Deutsche Bürger schützen". Der Blick schweift über den weiten Strand, schweift über das Megalomieprojekt Prora und bleibt schließlich hängen. Bleibt hängen an einem Wahlplakat der AFD. Deutschlandfahne im Eck, hellblauer Grund. "Asylchaos stoppen" steht da in großen Lettern. Der Blick geht weiter, er geht nach oben. Der Himmel über Vorpommern – er ist immer noch weit, er ist immer noch blau. Aber ganz hinten am Horizont meint man, sie doch zu erkennen. Die dunklen Wolken.