"22 Uhr. Die Nachrichten. Die SPD ist aus der Bürgerschaftswahl in Hamburg als Sieger hervorgegangen. Die Wahlbeteiligung sank auf ..."
56,9 Prozent. Und ist damit seit der letzten Bürgerschaftswahl im Jahr 2011 noch einmal um 0,4 Prozentpunkte gefallen: historischer Tiefststand. "Zum vierten Mal seit 2001", heißt es in der Analyse des Wahlleiters, "sinkt damit die Wahlbeteiligung bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen."
"Das sind zunächst mal Werte, an die wir uns zumindest bei Landtagswahlen gewöhnt haben, gewöhnen müssen", sagt Thorsten Faas, Politikwissenschaftler und Wahlforscher an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. "Wahlbeteiligungsraten von 50 Prozent ist das, was wir in der jüngeren Vergangenheit eigentlich regelmäßig bei Landtagswahlen gesehen haben. Und in der Tat, man kann das und muss das als problematisch einschätzen."
Auf ihrem Höhepunkt, im Dezember 1982, lag die Wahlbeteiligung in Hamburg bei 84 Prozent. Zur Landtagswahl in Sachsen im vergangenen Jahr kam nicht einmal jeder zweite Wahlberechtigte. In Brandenburg lag die Wahlbeteiligung sogar nur bei 47,9 Prozent.
"Eigentlich ist die Wahl das Instrument, über das wir Legitimation, Macht an unsere Regierenden vermitteln. Und wenn das nur noch von der Hälfte der Bürgerinnen und Bürger wahrgenommen wird, dann ist das schon ein gewisses Krisensignal. Und wir sollten uns eigentlich nicht damit abfinden, denn schöner wären natürlich - und wir hatten das ja auch schon mal - Wahlbeteiligungsraten, die deutlich darüber liegen würden."
Steter Abstieg seit den 80er-Jahren
Die letzte Bundestagswahl lockte zwar immerhin noch 71,5 Prozent der Wahlberechtigten, doch auch das ist weit entfernt von jenen 91 Prozent von 1972. Dieser stetige Sinkflug bereitet den Verantwortlichen in den Parteizentralen neuerdings Kopfzerbrechen.
"Ich möchte gerne Wahlen attraktiver machen, und sie stärker in den Alltag der Menschen führen."
Ende vergangenen Jahres hat Yasmin Fahimi erklärt, wie sie sich das vorstellt. Weg vom Wahlsonntag, hin zu einer ganzen Wahlwoche. Wählen in der Fußgängerzone. Mobile Wahlkabinen für den ländlichen Raum.
"Ich finde, es stünde uns gut an, im 21. Jahrhundert auch darüber nachzudenken, ob nicht der Wahlakt als solches ein veraltetes Ritual ist, so wie wir es jedenfalls durchführen."
Dafür musste die Generalsekretärin der SPD einige Kritik einstecken. Vor allem vom Koalitionspartner, der Union. Jetzt sitzt sie am langen Konferenztisch in ihrem Büro im Willy-Brandt-Haus und verteidigt ihre Idee, die sie von einer Reise aus Schweden mitgebracht hat. Kirche, Spaziergang, Wählen gehen – damit erreiche man viele Menschen nicht mehr: "Diejenigen, die mobil sind, die eben sonntags gar nicht mehr frei haben, die vielleicht sogar arbeiten müssen. Und ich denke, dass halt eine relativ unnötige Hürde da ist, wenn es die Wahlmöglichkeit eben nur in Schulen oder in Bürgerämtern gibt. Warum soll man nicht auch in Fußgängerzonen oder an Bahnhöfen wählen können?"
Keine Urnen im Bahnhof
"In den Wahllokalen sitzen Ehrenamtliche. Bürgerinnen und Bürger, die das einfach aus Überzeugung machen. Wer soll die Wahlurne bewachen, wenn die eine Woche irgendwo steht. Am Ende noch an einem öffentlichen Platz. In einem Supermarkt oder in einem Bahnhof. Also, das halte ich für sehr, sehr schwierig", erwidert Peter Tauber, der Generalsekretär der CDU. Er kann sich etwas anderes vorstellen: "Vielleicht ist es deswegen ganz gut, zu überlegen, andere europäische Länder machen das ja auch, das Wahllokal länger aufzumachen."
Zwei Stunden, bis 20 Uhr. So steht es in einem kurzen Papier mit der Überschrift "Wahlbeteiligung steigern", in dem CDU und CSU ihre Vorschläge gesammelt haben. Außerdem: Die Wahlbedingungen für Deutsche, die im Ausland leben, sollen verbessert werden. Und auf die Briefwahl soll verstärkt hingewiesen werden.
"Denn ... haben heute schon die Situation, dass mit der Briefwahl zuhause auch gewählt werden kann. Am Küchentisch oder wo auch immer. In aller Ruhe die Kandidaten ausgewählt werden können."
Deshalb brauche man nicht an mehr Tagen wählen lassen, sagt Gerda Hasselfeldt, die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Ihr Einsatz für die Briefwahl ist verständlich, schließlich haben bei der letzten Bundestagswahl die CSU-Wähler überdurchschnittlich häufig per Post gewählt. Das Zweitstimmenergebnis der Christsozialen lag bei der Briefwahl ganze 4,2 Prozentpunkte über dem Ergebnis der Urnenwahl.
Das alleine stört SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi aber nicht an der Briefwahl: "Nach wie vor nehmen das vor allem Menschen in Anspruch, die sehr bewusst wählen gehen wollen. Die aber, die eine große Distanz aufgebaut haben, die erreichen wir damit nicht."
Auf der Suche nach dem Nichtwähler
"Ein herzliches 'Grüß Gott' an euch alle. An die Freunde der klaren Aussprache ..."
Passau. Politischer Aschermittwoch der CSU. Selbst hier ist diese Woche das Thema angekommen: "Es gibt ja leider immer mehr, die sich der aktiven Teilnahme an der Demokratie bei Wahlen verweigern." Edmund Stoiber, der ehemalige bayerische Ministerpräsident mahnt, Politik dürfe nicht nur für die Eliten da sein.
"Wir müssen es immer wieder schaffen, wie hier in Passau, die Dinge runterzubrechen für denjenigen, der sich nicht den ganzen Tag mit Politik beschäftigt. Auch den müssen wir motivieren und gewinnen und bei uns behalten."
Leicht gesagt. Wer aber sind diese Menschen, die Distanzierten? Diejenigen, die nicht mehr zur Wahl gehen?
"Also, mir hat mal ein Wissenschaftler gesagt, dass es den Nichtwähler nicht gibt", sagt CDU-Generalsekretär Peter Tauber. "Manchmal ist es so, dass Anhänger nicht zufrieden sind mit der eigenen Partei. Und bevor sie eine andere wählen, bleiben sie lieber zuhause. Oder Leute sagen, ach, diese Wahl ist mir nicht wichtig genug. Entscheiden ganz rational, dass sie dieses Mal nicht wählen gehen."
Schlüsselt man die Wahlbeteiligung bei sämtlichen Wahlen der letzten Jahre auf, fällt aber noch etwas auf: eine soziale Spaltung. Die soziale Lage eines Stadtviertels bestimmt die Höhe der Wahlbeteiligung. Je prekärer die Lebensverhältnisse in einem Viertel oder Stadtbezirk, je höher die Arbeitslosigkeit, je geringer der Bildungsstand, desto weniger Menschen gehen wählen.
"Man kann in der Wahlforschung nach Erklärungsansätzen suchen, und dann findet man so einen Dreiklang", sagt der Politikwissenschaftler Thorsten Faas.
"Dass erstens die Leute nicht wollen ..." Das politische Interesse ist oft gering, ebenso der Glaube, durch politisches Engagement etwas bewirken zu können.
"... zweitens die Menschen nicht können." Manchmal ist es das mangelnde Zutrauen in die eigenen Kompetenzen, manchmal ist das Wahlsystem sehr komplex. Vergangenen Sonntag hatten die Hamburger insgesamt zehn Stimmen zu vergeben: Fünf für die Wahlkreislisten, fünf für die Parteilisten.
"Und drittens sie vielleicht auch niemand motiviert hat zur Wahl zu gehen. Vielleicht bemühen sich die Parteien auch nicht in gleichem Maße, diese Wählergruppen zu mobilisieren, weil im Zuge eines Wahlkampfs natürlich auch keineswegs klar ist, dass es sich lohnt in Wahlkreisen, in denen am Ende vielleicht eben eine niedrige Wahlbeteiligung resultiert, gerade dort die knappen Wahlkampfressourcen zu investieren."
Enttäuschte junge Wähler?
Ein ähnliches Problem: die jüngeren Wähler. Nicht die Erstwähler, aber die Gruppe der 21- bis 25-Jährigen war bei der Bundestagswahl 2013 unterdurchschnittlich an der Urne vertreten. Da sind die Parteien gefragt, das weiß auch Peter Tauber: "Deshalb ist ja einer der Vorschläge, die wir von Seiten der Union gemacht haben, wir müssen unseren Verfassungstag, den 23. Mai mal nutzen, um in Schulen, Volkshochschulen und öffentlichen Einrichtungen in einer Art Projekttag darüber zu reden, was macht unsere Demokratie aus, wie funktioniert sie, warum ist sie oft so mühsam? Warum gehört die Suche nach einem Kompromiss dazu. Und warum ist es deshalb kein Quell stetiger Freude, sondern manchmal auch nervig?"
"Also, wenn es nur einmal im Jahr wäre, ist es schwierig." Hassan Asfour ist Mitgründer von "Dialog macht Schule".
"Grundlage für die Arbeit mit Jugendlichen, besonders wenn es um Politik und Gesellschaft geht, wo sie oft das Gefühl haben, das ist nicht ihre Sprache, in der da gesprochen wird, sie verstehen es einfach nicht, das ist nicht ihr Code, kommt da einmal im Jahr jemand, der vielleicht genau so spricht wie sie es sowieso nicht verstehen und wie sie es nicht interessiert, wo sie keine Beziehung haben, das ist nicht etwas was nachhaltig wirken kann bei den Schülern."
In mittlerweile fünf Städten gehen Asfours Mitarbeiter, die sogenannten Dialogmoderatoren, in Schulen, um dort mit den Schülern über Politik zu sprechen. Niedrigschwellig, sagt Asfour. Über ganz alltägliche, aber sensible Themen.
"Gerechtigkeit, Hartz IV, Rassismus, Mobbing, Diskriminierung, aber auch so Themen wie Heimat, gehör ich hier dazu, aber auch Identität."
Viele der Schüler haben einen Migrationshintergrund, viele kommen aus sozial schwierigen Familien. Oft fühlen sie sich nicht zugehörig zu der Gesellschaft, in der sie aufwachsen.
"Beispiel Pegida. Da haben die gesagt, interessiert mich nicht, was geht mich das an?"
Erst als sie sich mit den Moderatoren die Inhalte angeschaut hätten, habe sich das geändert, erzählt Hassan Asfour. Die Forderung, dass Migranten keine Sozialleistungen missbrauchen dürften, etwa.
"Dann sind sie wach geworden und haben gesagt, aber das kann doch etwas sein, was auch Nicht-Migranten machen, Nichtausländer tun. Und dann haben sie gemerkt, es hat doch etwas mit mir zu tun. Dass da über sie gesprochen wird, sie das aber gar nicht so wahrgenommen haben."
Hin zur politischen Teilhabe
Zwei Schuljahre lang begleiten die Moderatoren die Kinder und Jugendlichen: "Wir wollen sie ranführen an gesellschaftliche und im Idealfall auch an politische Teilhabe."
Wie kann das aussehen – politische Teilhabe? Vielen Bürgerinnen und Bürgern reicht es schon lange nicht mehr, alle vier oder fünf Jahre ihr Kreuzchen zu machen – und einen inhaltlichen Blankoscheck auszustellen, sagt Dieter Rucht, Vorsitzender des Vereins für Protest- und Bewegungsforschung. Viele Bürger interessierten sich für ganz spezielle Themen:
"Deshalb gibt es eben auch eine Hinwendung zu stärker interventionsbezogenen Einflussnahmen, etwa in Form des lokalen Bürgerentscheids, oder des Referendums auf Landesebene oder der noch ausstehenden, aber vielfach geforderten Möglichkeit eines Volksentscheids auf Bundesebene."
Gisela Erler, die baden-württembergische Staatsrätin für Bürgerbeteiligung, ist an diesem Tag unterwegs im badischen Offenburg. Eine Zeitung hat einen Preis "Leuchttürme für Bürgerbeteiligung" ausgeschrieben, und Offenburg ist dabei. Mit einem Stadtteil, der durch ein Bürgerzentrum und ein umgebautes Schulareal aufgewertet wurde. Jetzt diskutiert die Staatsrätin im Stadtteilzentrum mit den Offenburgern:
"Das was hier gelungen ist, wäre nicht gelungen ohne Bürgerbeteiligung. Und Sie hier haben bewiesen, dass Sie im Großen und im Kleinen einen Stadtteil wirklich lebendiger, besser, toleranter und auch wertvoller machen."
Gisela Erler soll Erfahrungen, die Kommunen mit Bürgerbeteiligung machen, auswerten und als Best-Practice-Beispiel bekanntmachen. Damit will sie eines der Wahlversprechen der grün-roten Landesregierung einlösen: Eine Politik des Gehörtwerdens hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann der Koalition 2011 auf die Fahnen geschrieben. Damals eine Reaktion auf den ruppigen Politikstil seines CDU-Amtsvorgängers Stefan Mappus und auf die Auseinandersetzung um den Bahnhofsneubau Stuttgart 21.
Politik des Gehörtwerdens
Heute, fast 4 Jahre später, stellt die Staatsrätin fest, dass es - wie sie sagt - ganz dicke Bretter sind, die sie da bohrt. Aber:
"Das Bild rundet sich gerade, und wir sind sehr der Ansicht, dass es eine Erfolgsgeschichte ist. Das können wir vor allem auch, trotz vieler Konflikte, die es immer wieder gibt in dem Bereich, daran sehen, dass die Bevölkerung in allen Umfragen, die wir kennen, sagt: Ja, die Politik wird bürgernäher!"
Einen großen Schritt zur Politik des Gehörtwerdens hat vor wenigen Tagen Ministerpräsident Kretschmann verkündet. Die Hürden für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide im Land sollen deutlich gesenkt werden:
"Bei Bürgerbegehren wird das Quorum gesenkt von zehn auf sieben Prozent. Bei Bürgerentscheiden wird das Quorum gesenkt von einem Viertel auf ein Fünftel."
Auch Volksbegehren und Volksabstimmungen sollen deutlich erleichtert werden. Außerdem wird ein sogenannter Volksantrag eingeführt, mit dem Bürger den Landtag mit 40.000 Unterschriften dazu zwingen können, sich mit ihrem Anliegen zu beschäftigen.
Damit hat Baden-Württemberg nicht mehr die rote Laterne bei der Bürgerbeteiligung, andererseits ist nach Meinung der Grünen da auch noch Luft nach oben. Gisela Erler erläutert: "Das war ein sehr mühseliger Prozess, durchaus auch in der Koalition, und in der Absprache mit der Opposition, mit der wir das zusammen besprochen haben aus vielen Gründen, weil wir auch eine Verfassungsänderung wollen."
Aber die Gesetze sind nur die eine Seite. Eine Ebene darunter, bei den Verordnungen des Landes, hat Grün-Rot den neuen - sogenannten - Planungsleitfaden eingeführt. Erler: "Das ist die Bürgerbeteiligung überall dort, wo Bürger nicht abstimmen können. Bei allen großen Bauvorhaben, wo Planfeststellungsverfahren stattfinden, Immissionsschutzverfahren. Da geht es dann um Belastungen durch Lärm oder andere Umweltbelastungen."
Es gibt jetzt zusätzliche Anhörungen von Bürgern und Betroffenen, die nun bei Großprojekten wenn schon nicht mitentscheiden, so doch mitreden dürfen. Und genau hier drohen Konflikte.
Anwohner gegen Nationalpark
Zu beobachten war das zum Beispiel bei der Einrichtung eines Nationalparks im Schwarzwald. Die Anwohner waren massiv dagegen, der Rest des Landes mehrheitlich dafür. Bürgerbeteiligung bei Planungsprozessen birgt die Gefahr eines permanenten Anwohnervetos:
"Die Anwohner sagen immer wieder: Wir sind die Bürger, so wie Pegida sagt: Wir sind das Volk. Aber die Anwohner sind nicht das Volk und Pegida ist auch nicht das Volk. Die Bevölkerung setzt sich aus Gruppen zusammen, die auch woanders wohnen und andere Interessen haben. Und Bürgerbeteiligung muss heißen, dass man die verschiedenen Stimmen und Interessen gewichtet."
Es sei ein Lernprozess, sagt die Staatsrätin, dass die Menschen - auch wenn am Ende gegen sie entschieden wird – trotzdem noch mitmachen. Nach gut einem Jahr sei der Nationalpark inzwischen weitgehend akzeptiert.
Für das Beispiel Offenburg heißt das: Bei der Gestaltung des Stadtteils wurde das Konzept der Bürger umgesetzt. Beim Bau eines Einkaufszentrums hingegen wurde gegen ihren Willen entschieden, wie Oberbürgermeisterin Edith Schreiner rechtfertigt: "Bürgerbeteiligung heißt nicht immer Bürgerbestimmung. Also der Bürger bestimmt dann auch nicht immer. Wir möchten Bürger mit einbinden und es gibt Verfahren, wo wir wissen, dass wir an die Grenzen der Beteiligung kommen."
Wer mit Bürgerbeteiligung arbeitet, kann gut erkennen, dass über diese Formen direkter Demokratie die gut Gebildeten und gut Verdienenden ihre Interessen noch leichter durchsetzen können. Alle anderen nutzen auch diese Beteiligungsverfahren meist nicht. Deshalb müssten die Politiker die Bürger wieder dafür gewinnen, wählen zu gehen, sagt die ehemalige SPD-Politikerin Edith Niehuis. Das sei nach wie vor die beste und demokratischste Art, sich politisch zu beteiligen. 16 Jahre saß Niehuis im Bundestag, vier Jahre war sie Staatssekretärin. Zu viel direkte Demokratie berge noch eine weitere Gefahr: "Ich bin zutiefst überzeugt, dass wenn wir Demokratie nur über Volksentscheide machen würden, wäre das die beste Möglichkeit für die Oberen, zu machen, was sie wollen."
Denn wenn das Interesse für ein bestimmtes Thema schwindet, die Bürgerinitiative ihre Aktivitäten reduziert oder einstellt, dann ist niemand mehr da, der die Entwicklungen regelmäßig kontrolliert. Das Engagement in einer Partei sei viel nachhaltiger wirksam, findet Niehuis.
"Ich denke, dass wir den Menschen sagen müssen, Marsch auf der Straße ersetzt keinen Marsch durch die Institutionen. Nie. Man mag sich ja gut fühlen, wenn man da auf der Straße laut gesagt hat, was die Meinung ist, die Welt ändert sich dadurch nicht. Dazu muss man sich einlassen auf die Strukturen."
Über das Bauchgefühl an die Urne
Parteiarbeit sei Kontrolle der Mächtigen, sagt sie. Und oft ein zähes Ringen. Sie wirft den Parteien aber vor, selbst Schuld daran zu sein, dass sich viele Bürger von der Parteipolitik abgewendet haben. Trotz Mitgliederentscheid, trotz Wahl der Spitzenkandidaten oder Wahlkampf-Themen inzwischen via Internet. Von der Spitze aus werde längst durchregiert in vielen Parteien. Zumindest dann, wenn sie regieren. Basta.
"Wenn ich sage: Erst das Land und dann die Partei, dann ist die Partei etwas, was mit dem Wohl des Landes nichts zu tun hat. Und dann ist das Diktatur und ihr braucht nicht mitzumachen, ich weiß schon, was gut ist fürs Land. Das sind ganz fatale Signale, die für politisch Interessierte dann nicht attraktiv sind - 'die wollen mich ja gar nicht mit meiner Meinung'."
"Und da sind wir wieder beim Ausgangspunkt. Politik und Medien verdienen von uns kein Vertrauen mehr. Sie haben es verspielt ...."
Doch was ist mit denen, die nicht einmal mehr Vertrauen haben in die traditionellen Strukturen, die Parteien, die Politiker, die Medien? Was unterscheidet sie von denen, die wie in Stuttgart gegen einen Bahnhofsneubau auf die Straße gehen? Politikverdrossen sind sie nicht, sagt der Soziologe Dieter Rucht, denn dann würde Pegida ja nicht Montag für Montag marschieren. Nur geht es Ihnen nicht um ein konkretes Projekt, sondern um ein Bauchgefühl. Dem entgegenzuwirken, ist für die Politiker noch schwieriger, als die Menschen zurück an die Wahlurnen zu holen.
Und selbst da stehen die Parteivertreter erst ganz am Anfang. Erst einmal müssen sie einen gemeinsamen Termin finden, um ihre Vorschläge zu besprechen. Die Großkoalitionäre Fahimi, Tauber und Hasselfeldt suchen gerade einen.