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Warschauer Ghettoaufstand
"Umkämpftes Gedenken"

Warschau erinnert groß an den Jahrestag des Ghettoaufstands vor 75 Jahren. Doch das sogenannte "Holocaustgesetz" der PiS sorgt nach wie vor für Kontroversen. Manche wollen die offiziellen Gedenkfeierlichkeiten deshalb boykottieren.

Von Johanna Herzing |
    Gruppe Jugendlicher vor dem "Denkmal der Helden des Ghettos" in Warschau
    Eine Gruppe Jugendlicher vor dem "Denkmal der Helden des Ghettos" in Warschau (Deutschlandradio / Johanna Herzing)
    Maria Mossakowska hält ein kleines gelbes Papier in den Händen, faltet es auf:
    "Das ist eine gelbe Narzisse mit der Aufschrift: 19. April 1943 - Aufstand im Warschauer Ghetto. Wir haben eine polnische, eine englische und eine hebräische Version."
    Die junge Frau organisiert eine Freiwilligenaktion initiiert vom POLIN, dem Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau.
    "Die Idee geht auf Marek Edelman zurück, einen der Anführer des Ghettoaufstands. Er erzählte mal, dass er jedes Jahr zum Jahrestag von einer anonymen Person einen Strauß gelber Blumen bekomme. Oft waren das Narzissen. [...] Und darauf beziehen wir uns."
    Maria Mossakowska im Gebäude des Museums POLIN, Museum für die Geschichte der polnischen Juden. Die gelbe Narzisse am T-Shirt symbolisiert den Aufstand im Warschauer Ghetto.
    Maria Mossakowska im Gebäude des Museums POLIN, Museum für die Geschichte der polnischen Juden. Die gelbe Narzisse am T-Shirt symbolisiert den Aufstand im Warschauer Ghetto. (Deutschlandradio / Johanna Herzing)
    In diesem Jahr, sagt Mossakowska hätten sich besonders viele Freiwillige gemeldet, die am 19. April die gelben Papierblumen verteilen wollen: Beinahe doppelt so viele wie 2017 werden auf Passanten in Warschau und andernorts zugehen. Mossakowska ist zuversichtlich, dass die Aktion wieder ein Erfolg wird, so wie in den Jahren zuvor. Und doch ist die Atmosphäre derzeit angespannt.
    "In diesem Jahr nehmen wir in Polen einen ganz klaren Antisemitismus wahr. [...] Vertreter der Regierungspartei haben vorgeführt, dass man ungestraft antisemitische Dinge sagen kann. Das hat eine große Welle in Polen ausgelöst, in verschiedenen Internetforen, in der Presse: Die Leute haben sich getraut, antisemitische Beschimpfungen und Dummheiten zu äußern."
    Boykott der offiziellen Gedenkfeiern
    Barbara Engelking vom Zentrum zur Erforschung des Holocaust in Warschau spielt auf mehrere Vorfälle der jüngsten Zeit an, bei denen sich PiS-Mitglieder öffentlich antisemitisch geäußert haben. Besonders hervor tat sich dabei der inzwischen allerdings als Parteimitglied suspendierte Senatsabgeordnete Waldemar Bonkowski.
    Mit dem von der PiS initiierten IPN-Gesetz, im Ausland auch "Holocaust-Gesetz" genannt, erhält die Debatte beständig neue Nahrung - hat das Gesetz der Regierung doch die Kritik eingebracht, dunkle Flecken in der eigenen Geschichte übertünchen zu wollen. Derzeit prüft das polnische Verfassungsgericht das Gesetz, das demjenigen mit Strafe droht, der dem polnischen Staat oder der polnischen Nation eine Mitschuld an Nazi-Verbrechen zuschreibt. Barbara Engelking sagt, sie persönlich nehme das neue Gesetz schlichtweg nicht ernst.
    "Gott sei Dank haben die Polen so ein besonderes Widerstands-Gen, das sich von Zeit zu Zeit zeigt, denn in dem Moment als diese ganze Affäre um das neue Gesetz begann, wuchs das Interesse am jüdischen Thema ganz dramatisch. Unsere Bücher und Schriften verkauften sich plötzlich besser als jemals zuvor. [...] Paradoxerweise könnte also die Beschallung mit diesem Thema durchaus positive Folgen haben: Die Leute versuchen dann einfach die Wahrheit herauszufinden."
    Dennoch, die offiziellen staatlichen Gedenkfeierlichkeiten zum 75. Jahrestag des Ghettoaufstands will sie in diesem Jahr boykottieren. Gemeinsam mit einigen Freunden, darunter die bekannte Publizistin Hanna Krall, plant Engelking ein eigenes Gedenken am Grab des 2009 verstorbenen Ghettokämpfers Marek Edelman, einer Ikone des jüdischen Widerstands in Polen.
    Kontroverse um neues Museum
    Zusätzlich zum IPN-Gesetz irritiert derzeit aber noch ein weiteres Projekt der PiS: So wurde vor kurzem durch das Kulturministerium die Gründung eines Museums des Warschauer Ghettos bekannt gegeben. Die einschlägigen jüdischen Institutionen und Forschungseinrichtungen in Warschau schienen davon zunächst überrascht. Der in Warschau lebende Historiker Stephan Stach meint:
    "Es gibt das POLIN, das jüdische Museum, was wirklich ein hervorragendes Museum ist, es gibt das Jüdische Historische Institut mit einer Ausstellung über das Warschauer Ghetto. Die Frage ist, wozu soll ein Museum des Warschauer Ghettos noch gut sein?"
    Das Gebäude des POLIN in Warschau von außen
    Das Gebäude des POLIN in Warschau von außen (Deutschlandradio / Johanna Herzing)
    Stach fürchtet, "dass es darum geht mit dem Jüdischen Museum etwas Ähnliches zu machen wie in Danzig mit dem Museum des Zweiten Weltkriegs passiert ist. Das heißt also: Ein zweites Museum zu gründen und dann beide Museen vereinigen und so einen Hebel zu haben, um die Leitung des Museums auszutauschen."
    Tatsächlich gab es unlängst immer wieder Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Regierungslager und der Museumsleitung. Zuletzt empfahl beispielsweise Kulturminister Piotr Gliński der Einrichtung ausdrücklich mehr politische Neutralität.