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Wein & Krieg - Bordeaux, Champagner und die Schlacht um Frankreichs größten Reichtum

Noch eine Flasche weniger für die Deutschen, war ein beliebter Trinkspruch der Franzosen während der deutschen Besatzung. Doch geholfen hat diese Beschwörung nur wenig. Generalstabsmäßig plünderte das Nazireich Frankreichs nationalen Stolz, ließ gegen Ende des Krieges den Winzer kaum genug, um die eigenen Landsleute ausreichend versorgen zu können. In Frankreich herrschte 1944 Weinmangel - unvorstellbar für ein Land, das seit Jahrhunderten den edlen Rebensaft als Quintessenz seiner Kultur ansieht. Ergebnis einer nüchtern, kühl und profitorientierten Politik des deutschen Reiches, insbesondere des Generalstabs unter Feldmarschall Göring. Der, selbst ein Weinliebhaber, wusste genau um den Wert des französischen Weins und war darum wild entschlossen vom ersten Tag des Überfalls an alles zu unternehmen, um den flüssigen Schatz in den Kellern des Burgund, der Champagne und des Bordeaux in seine Hand zu bekommen.

Johannes Kaiser |
    Dass ihm das weit weniger gut gelang als geplant, entdeckten die beiden amerikanischen Journalisten Petie und Don Klastrup eher durch Zufall bei ihren Recherchen über Frankreichs Weinregionen. Nachdem sie erste Anekdoten darüber gehört hatten, wie französische Winzer ihren besten Flaschen über die Kriegsjahre gerettet hatten, begannen sie systematisch nachzuforschen, was während der deutschen Besatzung mit Frankreichs Wein geschehen war. Sie stießen dabei auf ebenso dramatische wie skurrile Geschichten wie jene von einer Teppichreinigung in Paris. Kladstrup:

    Da sammelte man den Staub, der bei der Reinigung sehr, sehr alter antiker Teppiche anfiel, und verteilte ihn an Pariser Restaurants, die ihn wiederum auf mittelmäßige Weinflaschen stäubten. Die pries man dann den deutschen Kunden an: ‚Vielleicht möchten Sie einen schönen alten Bordeaux.' Die sahen den Staub auf der Flasche, waren sehr beeindruckt und sagten prompt: ‚Großartig, wir nehmen ihn' und merkten nie den Unterschied.

    Um genau solche Betrügereien zu vermeiden, sicherzustellen, dass nur gute Partien französischen Rot- und Weißweins nach Deutschland geliefert wurden, hatte das NS-Regime bereits kurz nach der Besatzung Frankreichs beschlossen, für die besetzen Weinregionen Burgund, Champagne und Bordeaux ‚Beauftragte für den Weinimport' zu ernennen. Das Elsaß hatte man sich kurzerhand als deutsch einverleibt. Sie sollten dafür zu sorgen, dass Frankreichs Wein zu Niedrigstpreisen aufgekauft und dann möglichst umgehend nach Deutschland expediert wurde. Bei ihrer Auswahl hatte das 3. Reich allerdings keine glückliche Hand. Die drei Beauftragten, von den Franzosen ‚Weinführer' genannt, kannten sich als Weinhändler tatsächlich gut im Geschäft aus. Kladstrup:

    Die sogenannten Weinführer waren mit den französischen Winzern gut befreundet. Sie hatten mit ihnen vor dem Krieg Geschäfte gemacht, waren nicht nur Geschäftspartner, sondern echte Freunde. Sie hatten sich gegenseitig in ihren Häusern ausgebildet, sprachen die Sprache des anderen fließend. Ihre persönlichen Beziehungen waren in vieler Hinsicht wichtiger als die geschäftlichen.

    So dachten die drei ernannten ‚Weinführer' gar nicht daran, ihren Nazivorgesetzen blind zu behorchen. Überzeugt davon, dass der Krieg eines Tages vorbei sein würde und nicht die Deutschen die Sieger blieben, suchten sie ihre französischen Freunde und Handelspartner zu schützen. Sie scheuten nicht einmal davor zurück, die Nazis zu betrügen, so Don Kladstrup über Bordeaux's Weinführer Heinz Bömers, einen Bremer Weinhändler, dessen Familie einst Weinberge im Bordeaux besessen hatte und glänzende Kontakte zu den Weinproduzenten vor Ort besaß:

    Es gibt eine sehr amüsante Geschichte darüber, wie Heinz Bömers versuchte, seine Bosse in Berlin auszutricksen, vor allem Feldmarschall Göring. Der war ein Liebhaber von großem Bordeaux und eines Tages bekam Bömers von Görings Büro die Anweisung, dem Feldmarschall einige Kisten Château Mouton-Rothschild zu schicken. Da Bömers, dessen Familie Göring verachtete, meinte, dass Mouton-Rothschild für so jemanden wie Göring viel zu gut sei, rief er im Château an und bat darum, ihm einige ihrer Etiketten zu schicken. Die klebte er dann auf Flaschen mit billigem, wirklich schlechtem Wein und schickte das Göring. Glücklicherweise beschwerte sich Göring nie oder hatte nie Zeit, ihn zu trinken. Das hätte Bömers mächtig Ärger einbringen können.

    Bei allem Geschick konnten die ‚Weinführer' nicht verhindern, dass Frankreich Weinbestände dennoch systematisch dezimiert wurden. Allein aus der Champagne gingen jeden Monat über 2 Millionen Flaschen Champagner nach Deutschland, vor allem an die Luftwaffe und die Marine. Insgesamt wurden während der Besatzung jedes Jahr rund 320 Millionen Flaschen Wein ins Reich geschickt. Keine Wunder, dass immer weniger für die Franzosen selbst übrig blieb und sich immer mehr Widerstand regte. Anfangs hatten viele Winzer noch zu Petain, dem Chef der Kollaborationsregierung gehalten, geglaubt, der greise Marschall würde sie vor dem schlimmsten bewahren. Doch je massiver die Weinbestände geplündert wurden, desto gezielter suchte man Kontakte zur Résistance, unterlief man mit zahlreichen kleinen und großen Tricks die Ablieferung. Die beliebteste Methode bestand darin, in den geräumigen Kellern einzelne besonders wertvolle Weinpartien einzumauern. Zur Tarnung setzen manche sogar Spinnweben auf das frische Mauerwerk. Auch das Pariser Spitzenrestaurant Tour d'Argent, berühmt für sein Essen wie für seine alten Weine, dachte gar nicht daran, den Nazis seine Schätze kampflos auszuliefern:

    Als der 2. Weltkrieg ausbrach, hatten sie mehr als 100 000 Flaschen, von denen die wertvollsten aus dem 19. Jahrhundert stammten. Als klar war, dass die Deutschen bald Paris erreichen würden, nahm sich der Sohn des Besitzers, der in der französischen Luftwaffe diente, sechs Stunden Urlaub, flog nach Paris, versteckte im hinteren Teil des Kellers 20 000 der wertvollsten Flaschen, zog hastig eine Mauer davor, die mit einer wunderschönen Weinglasskulptur aus altem Familienbesitz geschmückt wurde. Als die Deutschen nun in Paris ankamen, begab sich ein persönlicher Vertreter Görings direkt ins Tour d' Argent und sagte: 'Ich bin hier, um Ihren Wein, insbesondere den aus dem 19. Jahrhundert für den Feldmarschall abzuholen.' Der Geschäftsführer des Restaurants antwortete: ‚Es tut mir leid, aber diese Weine sind ausgegangen. Sie wurden geordert und getrunken. Wir haben keine mehr.' Der Deutsche: ‚Das ist unmöglich.' Daraufhin der Geschäftsführer: ‚ Sie können das gerne überprüfen. Wir würden uns glücklich schätzen, Ihnen unseren Weinkeller zu zeigen.' So fuhren sie mit dem Fahrstuhl die fünf Stockwerke runter in den Keller und dort überprüften sie die 80 000 Flaschen, die dort lagerten. Sie sahen in jeder Ecke nach, öffneten jede Kiste: nichts. Der Mann war wütend. Als er ging, sagte er: ‚Ich konfisziere den gesamten Weinkeller. Alles gehört dem 3. Reich' und damit stürmte er davon.

    Viele Winzer und Weinhändler beließen es aber nicht nur beim passiven Widerstand, sondern halfen der Résistance ganz direkt. Sie verfügten dafür über ideale Möglichkeiten, denn sie besaßen viele Gebäude und riesige Keller, in denen Waffen gelagert und Leute versteckt werden konnten. Sie waren ständig unterwegs, konnten leicht Botschaften überbringen, Kontakte halten, kreuzten häufig die Demarkationslinien.

    Doch es gab auch Kollaboration. Darüber allerdings mag man in Frankreich bis heute nur höchst ungern reden, wie Petie und Don Kladstrup bei ihren Recherchen feststellten, und das lag auch daran, daß die Grenzen fließend waren. Die Weinproduzenten mussten mit den Deutschen zusammenarbeiten. Sie hatten keine Wahl. Mancher jedoch ging weiter über das Notwendige hinaus, wie z.B. der Bordeauxer Weinhändler Louis Eschenauer:

    Er bemühte sich, mit den Deutschen gut Freund zu werden und Teil ihrer sozialen Kreise. Das war nicht schwer, denn er kannte die meisten von ihnen, stand dem Oberkommando sehr nahe, hatte für Ribbentrop Champagner geliefert, war ein Cousin des Hafenkommandeurs von Bordeaux. Eschenauer nutzte diese Kontakte, um persönlich Profit zu machen. Das führte zu einem Prozeß und seiner Verurteilung. Er verlor seine Staats-bürgerrechte und durfte nicht mehr im Bordeaux leben.

    Der Fall Eschenauer war eine Ausnahme. De Gaulle bemühte sich, möglichst rasch das unangenehme Thema der Kollaboration zu begraben und wenn es nach dem Willen vieler Winzer geht, soll es auch dabei bleiben, zumal der Krieg um den Wein letztlich aus französischer Sicht ein gutes Ende nahm: die besten Partien konnten gerettet und das Weinjahr des Sieges, der Jahrgang 1945 wurde zu einem der besten seit Menschengedenken. So hat Frankreich die Schlacht um seinen größten Reichtum letztlich doch gewonnen. Nicht alle Kriegsgeschichten kennen einen so glücklichen Ausgang. Und nicht alle sind so amüsant und unterhaltsam zu lesen wie Petie und Don Kladstrups Bericht ‚Wein & Krieg'.