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Weltklimakonferenz in Bonn
"Deutschland müsste sehr viel mehr machen"

Verpasste Klimaziele, fehlende Verkehrswende, zu hohe Emissionen: Als Gastgeber der Weltklimakonferenz gibt Deutschland in den Augen von Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ein peinliches Bild ab. Ein Kohleausstieg sei eigentlich kein Problem, denn man habe "im Moment ein Kohleangebot-Überschuss", sagte Kemfert im Dlf.

Claudia Kemfert im Gespräch mit Daniel Heinrich |
    Claudia Kemfert vom DIW
    Claudia Kemfert vom DIW (dpa / picture alliance / Bernd Wüstneck)
    Daniel Heinrich: Am Telefon ist jetzt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Guten Abend, Frau Kemfert.
    Claudia Kemfert: Guten Abend! Ich grüße Sie.
    Heinrich: Weltklimakonferenz in Bonn, Deutschland hält die eigenen Klimaziele nicht ein. Wie peinlich ist das?
    Kemfert: Es ist sehr peinlich, muss man schon deutlich sagen, zumal Deutschland ja gerade im letzten Jahrzehnt als Vorreiter aufgetreten ist, und das kann man auch Deutschland zugutehalten. Es hat eine Vorreiterfunktion, viele Länder schauen auf Deutschland, und es ist ja auch gut gestartet im Jahr 2000 mit der Förderung der erneuerbaren Energien, dass man hier auch einen deutlichen Ausbau erreicht hat, aber auf der anderen Seite es versäumt hat, den Kohlestrom runterzufahren, die Emissionen zu drosseln. Einerseits der Kohlestrom, der zu hoch ist, aber auch die nachhaltige Verkehrswende, die fehlt, wo man gar nichts gemacht hat, wo die Emissionen genauso hoch sind wie vor 20 Jahren, und auch im Gebäudebereich, im Energie-Effizienzbereich viel zu wenig gemacht hat. Das ist schon jetzt vor internationaler Bühne deutlich peinlich.
    Heinrich: Ein Gastgeber, der nicht aufgeräumt hat.
    Kemfert: Der Gastgeber hat nicht gut aufgeräumt. Es ist ziemlich unaufgeräumt. Einerseits können wir schon sagen, ja, wir haben einiges geschafft und wir treten da ja auch souverän auf und mit stolz geschwellter Brust. Auf der anderen Seite muss man aber sagen, wenn man ein bisschen dahinter guckt: Alles ein bisschen hinter den Vorhang gekehrt und da schiebt jetzt mal jemand was vorbei und sieht, da sieht es nicht ganz so gut aus, und da müsste man sehr viel mehr machen, insbesondere was die Emissionen angeht. Im eigenen Land fehlt der Kohleausstieg, es fehlt die nachhaltige Verkehrswende und auch die Energie-Effizienzziele, die nicht erreicht werden.
    Heinrich: Ein, zwei Dinge, die Sie angesprochen haben, Frau Kemfert. Die Treibhausgas-Emissionen, die sind gestiegen seit 1990. Kohlekraftwerke, das ist wohl der größte "Brocken". Was muss passieren?
    "Kohleausstieg so schnell wie möglich anschieben"
    Kemfert: Es muss so schnell wie möglich ein Kohleausstieg angeschoben werden, der in den nächsten zwei Jahrzehnten abgeschlossen wird. Das haben wir vom Sachverständigenrat für Umweltfragen uns mal ein bisschen genauer angeguckt und festgestellt, dass wir im Stromsektor ein Emissionsbudget von 2000 Millionen Tonnen haben, die man dann flexibel auch verteilen kann und den Kraftwerksbetreibern auch die Flexibilität ermöglichen kann. Nur dieses Emissionsbudget sollte nicht überschritten werden. Jetzt geht es darum: Je schneller man beginnt mit einem solchen Kohleausstieg, desto einfacher wird es, desto mehr Flexibilität hat man auch, desto eher ist der Markt auch bereinigt. Die Strompreise reagieren wieder normaler, die Netze sind nicht so stark belastet und all das würde helfen und auch mehr Flexibilität, auch marktbasierte Flexibilität ermöglichen. Das wäre jetzt ein wichtiger Schritt, das heute anzuschieben.
    Heinrich: Desto einfacher wird es, sagen Sie. Dieter Kempf, der Präsident des BDI, würde Ihnen da widersprechen. Der sagt, ein überstürzter Ausstieg aus der Kohle wäre falsch. Die Unternehmer machen sich Sorgen. Nachvollziehbar? Warum sagt er das?
    Kemfert: Nein, es ist überhaupt nicht nachvollziehbar, weil wir haben im Moment einen Kohleangebot-Überschuss, der eher dazu führt, dass die Strompreise an der Börse sehr, sehr niedrig sind und die Kraftwerksbetreiber massive Probleme haben. Wenn wir die ineffizienten und auch sehr emissionsintensiven Braunkohlekraftwerke sofort vom Netz nehmen würden, die alten, die vor 1990 gebaut sind, dann würde man den Markt bereinigen und es würde eher stabilisierend wirken, im Übrigen auch auf den Strompreis. Diese Bedenken, die der BDI da hat, die kommen aus der Vergangenheit, aus dem letzten Jahrhundert, passen aber nicht in die Zukunft. Da würde ich mir wünschen, dass der BDI da auch ein bisschen genauer in die Zukunft guckt, die Innovationen erkennt, die wirtschaftlichen Chancen erkennt und auch nicht so viel Sorge hat. Weil wenn man heute den Kohleausstieg klug begleitet die nächsten zwei Jahrzehnte, entstehen ja mehr Arbeitsplätze und auch viele Chancen für die Industrie.
    Heinrich: Ich versuche es noch mal. Erfüllung Klimaziele ist gleich Abbau Beschäftigung und Wohlstand. So ungefähr kommt das vom BDI. Noch mal die Frage: Warum lässt Herr Kempf so was äußern?
    "Der Klimaschutz schafft wirtschaftliche Chancen"
    Kemfert: Es ist eher umgekehrt, dass gerade der Klimaschutz wirtschaftliche Chancen schafft, auch für die Industrie. Die Sorge ist hier wohl, dass die Energiekosten sehr stark steigen könnten. Das ist aber unbegründet, weil wenn man es klug macht und nicht so wie jetzt, dass man den Strompreis unnötig belastet - und der Kohlestrom belastet eher, als dass er entlastet -, dann kann man auch tatsächlich die Industrie weiter entlasten und hier einen Strukturwandel hervorbringen, der mehr Beschäftigte bringt, und der Klimaschutz bringt mehr Beschäftigte als vorher. Diese Chancen hat man hier offensichtlich nicht wirklich erkannt, und das ist schade, weil ich glaube, dass der BDI da auch wirklich erkennen könnte, welche Risiken und Jobchancen hier zu finden sind.
    Heinrich: Solche Stimmen kommen nicht nur von der Industrie, nicht nur vom BDI, kommen auch aus der Politik. Alexander Graf Lambsdorff, hier am Wochenende bei uns im Programm, sagt: Erfüllung Klimaziele 2020 ist gleich industrieller Selbstmord. Hat der Mann auch Unrecht?
    Kemfert: Ja, er hat leider auch Unrecht, so leid mir das da tut, aber das ist eine sehr rückwärtsgewandte Argumentation, die noch immer so im 20. Jahrhundert verhaftet ist, als man immer behauptete, Kohle und Atom sind billig und schaffen Chancen für die Industrie. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, wenn man heute auch einen Strukturwandel begleitet, wenn man investiert in die neuen Branchen, in den Bereich der erneuerbaren Energien, der Energie-Effizienz oder auch in der nachhaltigen Mobilität. Denken Sie an die Elektromobilität. Da sind riesige wirtschaftliche Chancen und die erkennt man leider nicht, erstaunlicherweise, muss ich sagen, weil hier geht es ja genau darum, dass man jetzt auch im Zuge dieser neuen politischen Ausgestaltung es tatsächlich ermöglicht, dass man diese wirtschaftlichen Chancen auch hebt. Da würde ich mir wünschen, ein bisschen im Hier und Heute anzukommen und auch ein bisschen mutiger in die Zukunft zu gucken.
    Heinrich: Verbaler Gegenspieler von Chancen sind Risiken. Sehen Sie nicht Risiken in der Einführung von neuen Technologien?
    "Man muss sich Schritt für Schritt von der Vergangenheit verabschieden"
    Kemfert: Die Risiken sind ganz sicherlich da. Nur es wird ja nicht leichter. Je länger wir an der Vergangenheit festhalten und je mehr wir immer noch versuchen, die Vergangenheit zu konservieren, desto schwieriger wird es ja. Im Moment halten wir zwei Energiesysteme aufrecht, die parallel laufen. Das macht das Ganze ineffizient und teuer. Man muss sich einfach mal auch dann Schritt für Schritt von der Vergangenheit verabschieden. Das fällt manchen schwer, aber es bringt auch wirklich tatsächlich große Chancen. Die Risiken kann man wirklich minimieren, wenn man es auch klug macht und auch wirklich dann gezielt die Bereiche fördert, die einem wichtig sind.
    Heinrich: Selbst dann, wenn bei Technologiebranchen wie zum Beispiel Wind und Sonne die Energielieferungen noch schwankend sind?
    Kemfert: Die schwanken. Das ist auch in der Natur der Sache. Ich meine, wir haben auch Biomasse und Wasserkraft. Die sind versorgungssicher. Aber die schwankenden Windenergien und die Solarenergie, die kann man und muss man klug miteinander koppeln und auch vor allen Dingen mehr ausbauen, auch dezentral ausbauen und dort auch ein Energie- und Last-Management zulassen und mittelfristig auch mehr Speicher ins System bringen. Dann haben wir eine identische Versorgungssicherheit, als wenn wir jetzt inflexible und behäbige und nicht intelligente Lösungen durch Kohle- und Atomkraftwerke haben, weil die neue Energiewende-Welt ist eben eine andere und sie funktioniert auch ganz anders.
    Heinrich: Die Bundesregierung, Frau Kemfert zum Schluss, hat eine Zeit des Handelns ausgerufen. Glauben Sie das?
    Kemfert: Ich hoffe es, dass die Zeit des Handelns jetzt da ist. Die Chancen wären auf jeden Fall da mit dieser Parteikonstellation, die wir jetzt ja sehen, dass da auch die Chancen ergriffen werden. Wir haben riesige Chancen, wirtschaftliche Chancen für Innovation, für eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, und das wäre jetzt schön, wenn man die auch hebt.
    Heinrich: Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Danke für das Gespräch.
    Kemfert: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.