Es ist ruhig an diesem Vormittag in dem Friseursalon in Rottach-Egern. Zwei ältere Damen sitzen unter der Trockenhaube, blättern in Illustrierten. Elisabeth Spatzier steht neben einer Plastikwanne voll pastellfarbener Lockenwickler und dreht sie einer Kundin routiniert ins Haar.
"Birgit, bringst Du der Frau Pfeiffer einen Kaffee bitte."
Elisabeth Spatzier kennt ihre Kundinnen. Seit über 15 Jahren arbeitet sie in dem Salon. Eigentlich wäre für sie schon letztes Frühjahr Schluss gewesen, da ist sie 65 Jahre alt geworden. Zeit, um den Ruhestand zu genießen. Doch für Elisabeth Spatzier ist noch nicht Schluss - jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Rund 860 Euro Rente bekommt die Friseurin im Monat. Zu wenig, um damit den Lebensabend zu genießen. Miete, Strom, Telefon, Versicherungen - nachdem all das bezahlt ist, bleibt Elisabeth Spatzier kaum noch etwas übrig.
"Dann hast Du vielleicht 100 Euro im Monat zum Leben. Und da kann man keine großen Sprünge machen. Da können Sie nicht mal zum Kaffee trinken gehen oder in ein Museum, weil sie kein Geld haben, um den Eintritt zu zahlen. Und dann wird man auch ganz schnell ausgegrenzt von der Gesellschaft."
Dass es ohne Arbeit im Alter nicht gehen wird, war für Elisabeth Spatzier früh klar. Ihre Rentenbescheide haben sie regelmäßig daran erinnert.
"Mit Vorsorge, das ist natürlich bei uns im Beruf nicht ganz einfach. Denn wir haben ja von Haus aus wenig Gehalt und da können sie mit dem Gehalt nicht groß vorsorgen, das ist einfach nicht drin. Und wenn sie dann noch ein Kind alleine aufziehen und sie sind geschieden, dann bleibt unterm Strich einfach nichts hängen."
Der 65-Jährigen ist modisch gekleidet. Jeans, heller Rollkragenpullover, darüber rotkarierte Weste, passende rote Ohrringe, blonde kurze Haare. Mit leichten Schritten läuft sie durch den Raum, schiebt die Wägelchen mit Scheren, Fön und Bürsten hin und her. Noch ist sie fit. Doch der Beruf ist anstrengend.
"Er geht auf die Gelenke. Arm-, Schulterbereich. Man steht. Ist alles ein Verschleiß und das merkt man auch. Man muss nur hoffen, dass man gesund bleibt."
50 Jahre hat Elisabeth Spatzier in ihrem Beruf gearbeitet, fast immer Vollzeit. Nur fünf Jahre war sie in Teilzeit beschäftigt. In die Rentenkasse hat sie in der Zeit immer eingezahlt. Heute verdrängt sie den Gedanken, dass sie trotz allem irgendwann den Staat um Hilfe bitten muss. Es ist kein schönes Gefühl.
"Wenn man krank wird, dann wird es so sein, dass man dann auch irgendwann staatliche Hilfe in Anspruch nehmen muss, weil es dann einfach nicht mehr geht."
Wer alleine ist, eine kleine Rente kriegt und in einer der teureren Regionen Deutschlands lebt, hat es schon heute schwer, über die Runden zu kommen. Da bleibt oft nichts anderes übrig als einfach weiterzuarbeiten.
Arbeiten im Alter - das ist längst keine Seltenheit mehr. Seit dem Jahr 2000 stieg die Zahl der Minijobber im Rentenalter um knapp 60 Prozent. Insgesamt verdienen sich heute über eine Dreiviertel Million Senioren mit einem 450-Euro-Job noch etwas dazu. Mehr als 160.000 arbeiten sogar Vollzeit und haben einen regulären Arbeitsplatz. Doch das Bild ist nicht so eindeutig, wie es scheint. Nicht alle treibt die pure Not.
Teewasser blubbert in der Küchennische einer Münchner Internetfirma. Vier Mal die Woche sitzt Gustel Braun hier an ihrem Schreibtisch, kümmert sich um Personalfragen, Abrechnungen, die Post. Eben alles, was anfällt. Und das tut sie gern.
"Also, ich bin mit 60 in Rente gegangen, genauso wie mein Mann. Wir haben beide beschlossen, so jetzt ist Schluss. Waren aber damals sehr fit. Und haben uns überlegt, man kann doch nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen."
Kurze Zeit später gründete ihr Enkel ein Flirtportal im Internet. Mit der technischen Seite kannte er sich aus, aber Buchhaltung, Steuern, Personalwesen - da brauchte er Hilfe. Die Oma sprang ein und genießt jetzt den Wiedereinstieg.
"Ich muss sagen, ich fühle mich heute sehr viel besser als in meinem Berufsleben. Weil ich heute die Freiheit habe zu sagen, Mensch, heute habe ich Kopfschmerzen, heute bleib ich mal zu Hause. Dann mach ich eben das, was heute anfällt morgen. Das kann ich jederzeit tun."
Die 72 Jahre alte Buchhalterin hat das Gefühl, gebraucht zu werden. Die Arbeit hält sie fit.
Ihr Mann schaut regelmäßig im Büro vorbei und packt ein bisschen mit an. Auch er ist noch aktiv, wenn gleich in einem ganz anderen Bereich.
"Ich mach zu Hause in unserem Zweipersonenhaushalt überhaupt nichts mehr. Das macht alles mein Mann. Und macht das auch mit Freude. Wir sind also alle beide beschäftigt, obwohl wir alle beide Rentner sind."
Gustel Braun und ihr Mann haben Glück. Sie arbeiten nur, weil sie Spaß daran haben. Von ihren Renten könnten beide eigentlich wunderbar leben. Glaubt man den Zahlen, geht das den meisten Rentnern so. Sie können nicht klagen. Das ist der Stand heute - doch in Zukunft wird Altersarmut ein größeres Thema werden als bisher.
München. Das Büro von Rentenberater Harald Teschner liegt direkt gegenüber vom Deutschen Museum, an einer kleinen befahrenen Straße an der Isar. Hier beschäftigt er sich täglich damit, die Renten seiner Mandanten zu optimieren.
In Zukunft werden viele Rentner sehr genau rechnen müssen, vermutet Harald Teschner. Denn das Niveau der gesetzlichen Rente wird sinken. Und zwar von derzeit rund 50 Prozent auf 43 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens im Jahr 2030. So sehen es jedenfalls die beschlossenen Reformen vor.
"Der Wandel ist im Prinzip in den Gesetzen ja vorprogrammiert. Es steht so drin, es ist geplant und das muss auch so sein letzten Endes, weil man mit dem Geld, was man hat, irgendwie haushalten muss. Und entweder man erhöht den Preis, sprich den Beitragssatz, oder man dreht an der anderen Stellschraube, sprich Rente, und fährt da einfach da die Leistungen runter."
An diesem Nachmittag wartet ein junger Webdesigner vor Harald Teschners Büro. Mit seiner Rente hat sich der Selbstständige bisher kaum beschäftigt.
Harald Teschner:
"Gut, dass es geklappt hat, nehmen Sie Platz. Das, was Sie in der gesetzlichen Rentenversicherung haben beziehungsweise nicht haben weiß ich, was haben Sie darüber hinaus noch gemacht?"
Mandant:
"Ehrlich gesagt, relativ wenig, eigentlich nichts. Ich bin ein unbeschriebenes Blatt."
Harald Teschner:
"Auch keine beruflichen ... ?"
Mandant:
"Nein, ich hab bis jetzt keine Versicherungen gemacht."
Harald Teschner:
"Okay, also das sollte man ändern, am besten gestern."
Die beiden sprechen verschiedene Optionen durch, schließlich greift der Berater zu seinem Taschenrechner, tippt Zahlen ein, kalkuliert, was der 33-jährige Webdesigner an Rente erwarten könnte - würde ihn jetzt die Künstlersozialkasse aufnehmen,
Harald Teschner:
"Wenn Sie ein Jahr lang einzahlen, haben Sie eine monatliche Rente von 16, 50 Euro. Ja? Wir haben jetzt noch 32 Jahre, ja 32 Jahre. Dann haben wir eine monatliche Rente von 544 Euro. Ja, also das ist zu wenig. - Definitiv."
Dass die Rente niedrig ausfällt, ist keine große Überraschung. Trotzdem eine gewisse Ernüchterung. Ein Webdesigner:
"Sorge habe ich nicht, aber ich werde mir überlegen müssen, wie ich das in Zukunft so anpasse, damit ich dann auch im Alter mir keine Sorgen machen muss."
Der junge Mann greift nach seinem großen schwarzen Rucksack, zieht die Mütze über den Kopf und verabschiedet sich.
Dann ist Harald Teschner wieder alleine in seinem Büro. Was meint er: Können wir das Rentensystem auch in Zukunft stabil halten?
"Also, ich glaube schon, dass wir es stabil halten können. Die Weichen sind eigentlich so gestellt. Das Problem ist halt das Niveau. Und wenn wir eine planmäßige Niveauabsenkung haben, dann haben wir irgendwann mal das Problem, wenn dieses Niveau nicht mehr dazu reicht, ganz normal zu haushalten als Rentner. - Das heißt, ohne private Vorsorge wird es nicht mehr gehen. - Genau, aber ich hoffe, das ist heute jedem klar."
Klar ist das sicher vielen. Doch ob es auch allen möglich ist, das ist eine andere Frage. Mit der Absenkung des Rentenniveaus hat die Politik auch die staatlich geförderte Riester-Rente eingeführt. Eigentlich ein Anreiz zur privaten Vorsorge. Doch lange nicht jeder schließt eine solche Zusatzversicherung ab.
München Bogenhausen. Sylvia R. hat die Jacke hochgeschlagen. Es ist kalt. Rund um die Einkaufszeile türmen sich Schneehaufen. Die junge Frau marschiert auf eine Bäckerei zu, an ihrem rechten Arm baumelt der Einkaufskorb.
Auch Sylvia R. arbeitet in einer Bäckerei. Sie mag die Arbeit, den Kontakt mit den Kunden, auch die Kollegen sind nett. Doch mit einer Sache hadert sie. 1200 Euro netto bekommt sie am Ende des Monats.
"Man verdient so wenig. Also, die, die gerade nicht studiert haben, die nur ganz einfache Berufe haben."
Die 33-Jährige sitzt an dem runden Esstisch in ihrem Einzimmerappartement. Das Thema Altersvorsorge beschäftigt sie. Private Altersvorsorge, ja, darüber hat sie auch schon nachgedacht. Aber das ist schwierig, meint sie.
"Ich glaube, ich kann mir das gar nicht so leisten. Mein Essen ist drin, der Strom ist noch da. Und, ja ... Wenn ich ehrlich bin, ich bin ständig im Minus auf meinem Bankkonto."
Die 33-Jährige greift in ein Regal des riesigen Einbauschranks im Flur und holt einen dicken, weißen Ordner heraus. Irgendwo da drin befindet sich ihr Rentenbescheid.
"So, was ich bis jetzt da einbezahlt habe. Das ist ein Witz, da muss ich immer lachen."
Momentan kommt sie gerade einmal auf 107,56 Euro, so steht es auf dem Papier der Deutschen Rentenversicherung. Wenn sie weiter so wenig verdient, wird sie im Alter auf staatliche Unterstützung angewiesen sein, die sogenannte Grundsicherung.
"Ich hab Angst, alt zu werden, wenn ich ganz ehrlich bin. Angst, ob ich überhaupt so viele Jahre irgendwo arbeite. Das weiß man noch nicht."
Im Gewerkschaftshaus an der Schwanthaler Straße in München kennt man diese Sorgen nur zu gut. Beim DGB sieht man die Zukunft der Rente düster. Der Grund dafür liegt für Christiane Berger - stellvertretende Vorsitzende des DGB Bayern - auf der Hand.
"Sei´s Minijob, sei´s Leiharbeit, sei´s Scheinselbstständigkeit, häufige Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit und eine grottenschlechte Bezahlung sogar in Teil von regulärer Beschäftigung, das sind aus Sicht des DGB die Hauptursachen für dieses Rentendebakel, das wir haben."
Christiane Berger hat klare Vorstellungen, wo die Politik ansetzen müsste. Da wäre eben der Arbeitsmarkt, der aus Sicht der Gewerkschafterin reguliert werden sollte. Und dann sollten alle Bürger in eine gemeinsame Rentenkasse einzahlen. Also auch Beamte und Selbstständige. Bürgerversicherung, nennt Christiane Berger das. Bei der Frage nach der Lebensleistungsrente - dem Konzept von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen - lächelt sie nur müde. Die Voraussetzungen für den staatlichen Rentenzuschuss sind realitätsfremd, schimpft Berger: 40 Beitragsjahre - das muss man erst mal schaffen. Und dann noch eine private Altersvorsorge. Christiane Berger:
"Wie kann man das nennen? Das ist ein gigantisches Förderprogramm für die Finanzwirtschaft. Was anderes ist das nicht."
Die Rente - ein großes Thema. Vor allem jetzt im Wahljahr. Das Schreckgespenst der Altersarmut ist allgegenwärtig. Auch in der Politik, die eilig ihre Rentenkonzepte vorlegt. Während Arbeitsministerin Ursula von der Leyen von der Lebensleistungsrente spricht, wirbt die SPD für die Solidarrente; Garantierente heißt der Vorschlag der Grünen. Klangvolle Namen, die im Grunde alle eines gemeinsam haben: Versicherte, die lange in die Rentenkasse eingezahlt haben, sollen auf ein Mindestniveau von 650 bis 850 Euro im Alter kommen.
In seinem großen, hellen Büro am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik nimmt sich Professor Axel Börsch-Supan Zeit für ein Interview. Ein ruhiger Mann, der die Dinge gern sachlich betrachtet - ohne aufgeregte Polemik. Seiner Ansicht nach setzen all diese Konzepte an der falschen Stelle an:
"Wir haben ja eine Grundsicherung im Alter und die verhindert ja gerade Armut im Alter. Diejenigen Menschen, die die sogenannte Lebensleistungs- oder Garantie- oder Solidarrente - da gibt es ja verschiedene Namen - haben wollen, die wenden sich an Menschen, die relativ lange gearbeitet haben. Und die Problemfälle, die wir im Moment haben, erfüllen gar nicht die Anspruchsvoraussetzungen der Lebensleistungsrente. Insofern hat die mit Altersarmut nichts zu tun."
Als Problemfälle sieht er vor allem alleinerziehende Mütter und Väter, die heute schon oft von Armut bedroht sind. Genauso wie junge Migranten, die häufig am Rand der Gesellschaft stehen.
"Diese Menschen fangen ihr Erwerbsleben mit der Arbeitslosigkeit schon an. Die haben überhaupt keine Chance, die Anspruchsvoraussetzungen jemals zu erfüllen. Um die muss man sich kümmern. Mehr Integration, bessere Bildung für diese Menschen, damit die einen vernünftigen Job bekommen."
Die Botschaft von Axel Börsch-Supan ist klar: Um Armut im Alter zu verhindern, muss die Politik viel früher ansetzen.
"Eine Rentenpolitik als Armutsbekämpfung kann nicht funktionieren, weil diese Menschen schon ein Leben lang arm gewesen sind. Und so weit darf man es gar nicht kommen lassen. Deswegen muss man die Menschen, die keine Chance haben, außer einem Minijob was zu bekommen, besser ausbilden, denen mehr helfen, denen während des Erwerbslebens helfen. Und nicht erst anschließend."
Um Anpassungen im Rentensystem komme die Politik allerdings auch nicht herum - da ist sich der Wirtschaftswissenschaftler sicher. Das Rentenniveau bei rund 50 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens beizubehalten - wie es die SPD derzeit verspricht - ist seiner Ansicht nach illusorisch.
"Wir können nicht, wenn wir doppelt so viele Rentner haben pro Erwerbstätige, so tun, als ob wir das Rentenniveau so lassen können wie jetzt. Das bedeutet also für die jungen Leute, dass sie deutlich mehr Beiträge zahlen müssen. Die ja im Übrigen auch von der SPD eingeführte Reform 2004 hat es versucht auf beide Generationen zu verteilen und das halte ich für wesentlich gerechter, als nur die Jungen zahlen zu lassen. Und den Älteren eine Garantie zu geben, die - wenn der demografische Wandel Fahrt aufnimmt - nicht zu halten ist. Das ist verlogen."
Warmes Licht schimmert an diesem grauen Wintertag durch die Scheiben des Vereins "Lichtblick Seniorenhilfe". Ein älterer Herr drückt die Glastür auf, blickt sich suchend um, lächelt ein wenig verlegen. Das Ladenbüro ist Zuflucht und Anlaufstelle, für diejenigen, die im Alter jeden Cent zusammenkratzen müssen. Und bei denen es am Ende doch nie reicht. Nicht mal mehr für eine Hose.
Lydia Staltner:
"Herr Hauptmann, wollen Sie lieber beim C&A oder Kaufhof eine Hose kaufen?"
Rentner:
"Das wird ja gleich sein."
Lydia Staltner:
"Ja, aber das müssen Sie mir jetzt sagen, jetzt kriegen Sie einen Gutschein von mir, dass Sie sich eine Hose kaufen können, entweder beim C&A oder beim Kaufhof."
Rentner:
"Dann geh ich zum C&A."
Lydia Staltner:
"Und was kostet die Hose ungefähr?"
Rentner:
"60, 70 Mark."
Vor zehn Jahren hat Lydia Staltner den Münchner Verein gegründet. Eine Herzensangelegenheit, für die sie anfangs eher belächelt als beklatscht wurde. Tatsächlich kamen erst nur drei Rentner im Monat zu ihr und baten um Hilfe, dann waren es drei in der Woche, jetzt sind es fünf am Tag.
"Weil, es gibt diese versteckte Armut von Leuten, die zum Beispiel nicht einmal Schuhe haben, die also bei schlechtem Wetter nicht aus dem Haus gehen, weil sie keine Schuhe haben, wo es nicht nass reingeht. Und die sind so stolz, die gehen auch nicht zum Sozialamt oder zu den Sozialbürgerhäusern, die bleiben einfach zu Hause."
In München sind etwa doppelt so viele Menschen von Altersarmut betroffen wie im Bundesdurchschnitt. Hier sind es vor allem die hohen Mieten, die die Renten auffressen. Auch die von dem älteren Herren, der jetzt die Gutscheine vor sich liegen hat. 800 Euro Rente kriegt er. 600 gehen davon allein für seine Zweizimmerwohnung drauf. Er nestelt an den Kleidungsbons, die vor ihm liegen. Eine Sache liegt ihm noch am Herzen.
"Ich geh auf die 80 zu - bald hab ich Geburtstag. Und weil ich bloß noch fünf Euro hab, kann ich da ein paar Mark haben, das ich mir was zum Essen Gescheites kaufen kann? Geht das noch? - Ja, ja."
Lydia Staltner nickt, verschwindet im Büro und kommt mit einem Geldschein wieder, den sie dem Herrn in die Hand drückt. Der bedankt sich, rückt seinen Filzhut zurecht und geht langsam zur Tür.
"Also, man erlebt, dass immer mehr kommen, weil es hinten und vorn nicht mehr geht. Und nicht wegen großen Sachen. Sie haben es ja gerade mitgekriegt, wegen 20 Euro, weil es einfach zum Essen nicht mehr reicht."
Mit ihrem Verein will Lydia Staltner armen Rentnern schnell und unbürokratisch helfen - ohne Hürden und hohe Hemmschwellen. Sie denkt praktisch, organisiert Patenschaften, damit die alten Menschen 35 Euro im Monat als kleine Hilfe zugeschossen bekommen. Sie sorgt dafür, dass die Rentner einmal in der Woche ein warmes Mittagessen in einem Münchner Wirtshaus kriegen, wenn sie wollen. Und sie lädt zu Ausflügen und Theaterbesuchen ein - alles ausschließlich über Spenden finanziert. Lydia Staltner:
"Ich krieg nur mit, dass wenn sie mit uns wegfahren, dass sie sagen, das war das Schönste in diesem Monat, Gottseidank bin ich mal rausgekommen, Gottseidank hab ich mal mit jemandem reden können. Weil die Leute so einsam sind."
In drei Stunden wird auch Elisabeth Spatzier den Friseursalon in Rottach-Egern verlassen. Im Alter auf fremde Hilfe und Unterstützung angewiesen zu sein, das ist für die 65-Jährige eine grausige Vorstellung. Lieber arbeitet sie zwei bis drei Mal die Woche und bedient weiter Stammkunden. Der Friseurberuf macht ihr noch heute Spaß. Von dem was sie sich jetzt dazu verdient, mag sie aber nichts mehr abgeben.
"Jetzt arbeite ich nur noch für den Freibetrag, der mir zusteht. Und mehr nicht. Weil jetzt noch mal Steuern zahlen, da habe ich keine Lust dazu."
Jetzt bleibt wenigstens so viel, dass sie mit Freunden Kaffee trinken gehen oder sich mal einen Kinobesuch leisten kann. Nach einem Leben voller Arbeit mag sie auf das bisschen Luxus nicht verzichten.
"Birgit, bringst Du der Frau Pfeiffer einen Kaffee bitte."
Elisabeth Spatzier kennt ihre Kundinnen. Seit über 15 Jahren arbeitet sie in dem Salon. Eigentlich wäre für sie schon letztes Frühjahr Schluss gewesen, da ist sie 65 Jahre alt geworden. Zeit, um den Ruhestand zu genießen. Doch für Elisabeth Spatzier ist noch nicht Schluss - jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Rund 860 Euro Rente bekommt die Friseurin im Monat. Zu wenig, um damit den Lebensabend zu genießen. Miete, Strom, Telefon, Versicherungen - nachdem all das bezahlt ist, bleibt Elisabeth Spatzier kaum noch etwas übrig.
"Dann hast Du vielleicht 100 Euro im Monat zum Leben. Und da kann man keine großen Sprünge machen. Da können Sie nicht mal zum Kaffee trinken gehen oder in ein Museum, weil sie kein Geld haben, um den Eintritt zu zahlen. Und dann wird man auch ganz schnell ausgegrenzt von der Gesellschaft."
Dass es ohne Arbeit im Alter nicht gehen wird, war für Elisabeth Spatzier früh klar. Ihre Rentenbescheide haben sie regelmäßig daran erinnert.
"Mit Vorsorge, das ist natürlich bei uns im Beruf nicht ganz einfach. Denn wir haben ja von Haus aus wenig Gehalt und da können sie mit dem Gehalt nicht groß vorsorgen, das ist einfach nicht drin. Und wenn sie dann noch ein Kind alleine aufziehen und sie sind geschieden, dann bleibt unterm Strich einfach nichts hängen."
Der 65-Jährigen ist modisch gekleidet. Jeans, heller Rollkragenpullover, darüber rotkarierte Weste, passende rote Ohrringe, blonde kurze Haare. Mit leichten Schritten läuft sie durch den Raum, schiebt die Wägelchen mit Scheren, Fön und Bürsten hin und her. Noch ist sie fit. Doch der Beruf ist anstrengend.
"Er geht auf die Gelenke. Arm-, Schulterbereich. Man steht. Ist alles ein Verschleiß und das merkt man auch. Man muss nur hoffen, dass man gesund bleibt."
50 Jahre hat Elisabeth Spatzier in ihrem Beruf gearbeitet, fast immer Vollzeit. Nur fünf Jahre war sie in Teilzeit beschäftigt. In die Rentenkasse hat sie in der Zeit immer eingezahlt. Heute verdrängt sie den Gedanken, dass sie trotz allem irgendwann den Staat um Hilfe bitten muss. Es ist kein schönes Gefühl.
"Wenn man krank wird, dann wird es so sein, dass man dann auch irgendwann staatliche Hilfe in Anspruch nehmen muss, weil es dann einfach nicht mehr geht."
Wer alleine ist, eine kleine Rente kriegt und in einer der teureren Regionen Deutschlands lebt, hat es schon heute schwer, über die Runden zu kommen. Da bleibt oft nichts anderes übrig als einfach weiterzuarbeiten.
Arbeiten im Alter - das ist längst keine Seltenheit mehr. Seit dem Jahr 2000 stieg die Zahl der Minijobber im Rentenalter um knapp 60 Prozent. Insgesamt verdienen sich heute über eine Dreiviertel Million Senioren mit einem 450-Euro-Job noch etwas dazu. Mehr als 160.000 arbeiten sogar Vollzeit und haben einen regulären Arbeitsplatz. Doch das Bild ist nicht so eindeutig, wie es scheint. Nicht alle treibt die pure Not.
Teewasser blubbert in der Küchennische einer Münchner Internetfirma. Vier Mal die Woche sitzt Gustel Braun hier an ihrem Schreibtisch, kümmert sich um Personalfragen, Abrechnungen, die Post. Eben alles, was anfällt. Und das tut sie gern.
"Also, ich bin mit 60 in Rente gegangen, genauso wie mein Mann. Wir haben beide beschlossen, so jetzt ist Schluss. Waren aber damals sehr fit. Und haben uns überlegt, man kann doch nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen."
Kurze Zeit später gründete ihr Enkel ein Flirtportal im Internet. Mit der technischen Seite kannte er sich aus, aber Buchhaltung, Steuern, Personalwesen - da brauchte er Hilfe. Die Oma sprang ein und genießt jetzt den Wiedereinstieg.
"Ich muss sagen, ich fühle mich heute sehr viel besser als in meinem Berufsleben. Weil ich heute die Freiheit habe zu sagen, Mensch, heute habe ich Kopfschmerzen, heute bleib ich mal zu Hause. Dann mach ich eben das, was heute anfällt morgen. Das kann ich jederzeit tun."
Die 72 Jahre alte Buchhalterin hat das Gefühl, gebraucht zu werden. Die Arbeit hält sie fit.
Ihr Mann schaut regelmäßig im Büro vorbei und packt ein bisschen mit an. Auch er ist noch aktiv, wenn gleich in einem ganz anderen Bereich.
"Ich mach zu Hause in unserem Zweipersonenhaushalt überhaupt nichts mehr. Das macht alles mein Mann. Und macht das auch mit Freude. Wir sind also alle beide beschäftigt, obwohl wir alle beide Rentner sind."
Gustel Braun und ihr Mann haben Glück. Sie arbeiten nur, weil sie Spaß daran haben. Von ihren Renten könnten beide eigentlich wunderbar leben. Glaubt man den Zahlen, geht das den meisten Rentnern so. Sie können nicht klagen. Das ist der Stand heute - doch in Zukunft wird Altersarmut ein größeres Thema werden als bisher.
München. Das Büro von Rentenberater Harald Teschner liegt direkt gegenüber vom Deutschen Museum, an einer kleinen befahrenen Straße an der Isar. Hier beschäftigt er sich täglich damit, die Renten seiner Mandanten zu optimieren.
In Zukunft werden viele Rentner sehr genau rechnen müssen, vermutet Harald Teschner. Denn das Niveau der gesetzlichen Rente wird sinken. Und zwar von derzeit rund 50 Prozent auf 43 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens im Jahr 2030. So sehen es jedenfalls die beschlossenen Reformen vor.
"Der Wandel ist im Prinzip in den Gesetzen ja vorprogrammiert. Es steht so drin, es ist geplant und das muss auch so sein letzten Endes, weil man mit dem Geld, was man hat, irgendwie haushalten muss. Und entweder man erhöht den Preis, sprich den Beitragssatz, oder man dreht an der anderen Stellschraube, sprich Rente, und fährt da einfach da die Leistungen runter."
An diesem Nachmittag wartet ein junger Webdesigner vor Harald Teschners Büro. Mit seiner Rente hat sich der Selbstständige bisher kaum beschäftigt.
Harald Teschner:
"Gut, dass es geklappt hat, nehmen Sie Platz. Das, was Sie in der gesetzlichen Rentenversicherung haben beziehungsweise nicht haben weiß ich, was haben Sie darüber hinaus noch gemacht?"
Mandant:
"Ehrlich gesagt, relativ wenig, eigentlich nichts. Ich bin ein unbeschriebenes Blatt."
Harald Teschner:
"Auch keine beruflichen ... ?"
Mandant:
"Nein, ich hab bis jetzt keine Versicherungen gemacht."
Harald Teschner:
"Okay, also das sollte man ändern, am besten gestern."
Die beiden sprechen verschiedene Optionen durch, schließlich greift der Berater zu seinem Taschenrechner, tippt Zahlen ein, kalkuliert, was der 33-jährige Webdesigner an Rente erwarten könnte - würde ihn jetzt die Künstlersozialkasse aufnehmen,
Harald Teschner:
"Wenn Sie ein Jahr lang einzahlen, haben Sie eine monatliche Rente von 16, 50 Euro. Ja? Wir haben jetzt noch 32 Jahre, ja 32 Jahre. Dann haben wir eine monatliche Rente von 544 Euro. Ja, also das ist zu wenig. - Definitiv."
Dass die Rente niedrig ausfällt, ist keine große Überraschung. Trotzdem eine gewisse Ernüchterung. Ein Webdesigner:
"Sorge habe ich nicht, aber ich werde mir überlegen müssen, wie ich das in Zukunft so anpasse, damit ich dann auch im Alter mir keine Sorgen machen muss."
Der junge Mann greift nach seinem großen schwarzen Rucksack, zieht die Mütze über den Kopf und verabschiedet sich.
Dann ist Harald Teschner wieder alleine in seinem Büro. Was meint er: Können wir das Rentensystem auch in Zukunft stabil halten?
"Also, ich glaube schon, dass wir es stabil halten können. Die Weichen sind eigentlich so gestellt. Das Problem ist halt das Niveau. Und wenn wir eine planmäßige Niveauabsenkung haben, dann haben wir irgendwann mal das Problem, wenn dieses Niveau nicht mehr dazu reicht, ganz normal zu haushalten als Rentner. - Das heißt, ohne private Vorsorge wird es nicht mehr gehen. - Genau, aber ich hoffe, das ist heute jedem klar."
Klar ist das sicher vielen. Doch ob es auch allen möglich ist, das ist eine andere Frage. Mit der Absenkung des Rentenniveaus hat die Politik auch die staatlich geförderte Riester-Rente eingeführt. Eigentlich ein Anreiz zur privaten Vorsorge. Doch lange nicht jeder schließt eine solche Zusatzversicherung ab.
München Bogenhausen. Sylvia R. hat die Jacke hochgeschlagen. Es ist kalt. Rund um die Einkaufszeile türmen sich Schneehaufen. Die junge Frau marschiert auf eine Bäckerei zu, an ihrem rechten Arm baumelt der Einkaufskorb.
Auch Sylvia R. arbeitet in einer Bäckerei. Sie mag die Arbeit, den Kontakt mit den Kunden, auch die Kollegen sind nett. Doch mit einer Sache hadert sie. 1200 Euro netto bekommt sie am Ende des Monats.
"Man verdient so wenig. Also, die, die gerade nicht studiert haben, die nur ganz einfache Berufe haben."
Die 33-Jährige sitzt an dem runden Esstisch in ihrem Einzimmerappartement. Das Thema Altersvorsorge beschäftigt sie. Private Altersvorsorge, ja, darüber hat sie auch schon nachgedacht. Aber das ist schwierig, meint sie.
"Ich glaube, ich kann mir das gar nicht so leisten. Mein Essen ist drin, der Strom ist noch da. Und, ja ... Wenn ich ehrlich bin, ich bin ständig im Minus auf meinem Bankkonto."
Die 33-Jährige greift in ein Regal des riesigen Einbauschranks im Flur und holt einen dicken, weißen Ordner heraus. Irgendwo da drin befindet sich ihr Rentenbescheid.
"So, was ich bis jetzt da einbezahlt habe. Das ist ein Witz, da muss ich immer lachen."
Momentan kommt sie gerade einmal auf 107,56 Euro, so steht es auf dem Papier der Deutschen Rentenversicherung. Wenn sie weiter so wenig verdient, wird sie im Alter auf staatliche Unterstützung angewiesen sein, die sogenannte Grundsicherung.
"Ich hab Angst, alt zu werden, wenn ich ganz ehrlich bin. Angst, ob ich überhaupt so viele Jahre irgendwo arbeite. Das weiß man noch nicht."
Im Gewerkschaftshaus an der Schwanthaler Straße in München kennt man diese Sorgen nur zu gut. Beim DGB sieht man die Zukunft der Rente düster. Der Grund dafür liegt für Christiane Berger - stellvertretende Vorsitzende des DGB Bayern - auf der Hand.
"Sei´s Minijob, sei´s Leiharbeit, sei´s Scheinselbstständigkeit, häufige Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit und eine grottenschlechte Bezahlung sogar in Teil von regulärer Beschäftigung, das sind aus Sicht des DGB die Hauptursachen für dieses Rentendebakel, das wir haben."
Christiane Berger hat klare Vorstellungen, wo die Politik ansetzen müsste. Da wäre eben der Arbeitsmarkt, der aus Sicht der Gewerkschafterin reguliert werden sollte. Und dann sollten alle Bürger in eine gemeinsame Rentenkasse einzahlen. Also auch Beamte und Selbstständige. Bürgerversicherung, nennt Christiane Berger das. Bei der Frage nach der Lebensleistungsrente - dem Konzept von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen - lächelt sie nur müde. Die Voraussetzungen für den staatlichen Rentenzuschuss sind realitätsfremd, schimpft Berger: 40 Beitragsjahre - das muss man erst mal schaffen. Und dann noch eine private Altersvorsorge. Christiane Berger:
"Wie kann man das nennen? Das ist ein gigantisches Förderprogramm für die Finanzwirtschaft. Was anderes ist das nicht."
Die Rente - ein großes Thema. Vor allem jetzt im Wahljahr. Das Schreckgespenst der Altersarmut ist allgegenwärtig. Auch in der Politik, die eilig ihre Rentenkonzepte vorlegt. Während Arbeitsministerin Ursula von der Leyen von der Lebensleistungsrente spricht, wirbt die SPD für die Solidarrente; Garantierente heißt der Vorschlag der Grünen. Klangvolle Namen, die im Grunde alle eines gemeinsam haben: Versicherte, die lange in die Rentenkasse eingezahlt haben, sollen auf ein Mindestniveau von 650 bis 850 Euro im Alter kommen.
In seinem großen, hellen Büro am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik nimmt sich Professor Axel Börsch-Supan Zeit für ein Interview. Ein ruhiger Mann, der die Dinge gern sachlich betrachtet - ohne aufgeregte Polemik. Seiner Ansicht nach setzen all diese Konzepte an der falschen Stelle an:
"Wir haben ja eine Grundsicherung im Alter und die verhindert ja gerade Armut im Alter. Diejenigen Menschen, die die sogenannte Lebensleistungs- oder Garantie- oder Solidarrente - da gibt es ja verschiedene Namen - haben wollen, die wenden sich an Menschen, die relativ lange gearbeitet haben. Und die Problemfälle, die wir im Moment haben, erfüllen gar nicht die Anspruchsvoraussetzungen der Lebensleistungsrente. Insofern hat die mit Altersarmut nichts zu tun."
Als Problemfälle sieht er vor allem alleinerziehende Mütter und Väter, die heute schon oft von Armut bedroht sind. Genauso wie junge Migranten, die häufig am Rand der Gesellschaft stehen.
"Diese Menschen fangen ihr Erwerbsleben mit der Arbeitslosigkeit schon an. Die haben überhaupt keine Chance, die Anspruchsvoraussetzungen jemals zu erfüllen. Um die muss man sich kümmern. Mehr Integration, bessere Bildung für diese Menschen, damit die einen vernünftigen Job bekommen."
Die Botschaft von Axel Börsch-Supan ist klar: Um Armut im Alter zu verhindern, muss die Politik viel früher ansetzen.
"Eine Rentenpolitik als Armutsbekämpfung kann nicht funktionieren, weil diese Menschen schon ein Leben lang arm gewesen sind. Und so weit darf man es gar nicht kommen lassen. Deswegen muss man die Menschen, die keine Chance haben, außer einem Minijob was zu bekommen, besser ausbilden, denen mehr helfen, denen während des Erwerbslebens helfen. Und nicht erst anschließend."
Um Anpassungen im Rentensystem komme die Politik allerdings auch nicht herum - da ist sich der Wirtschaftswissenschaftler sicher. Das Rentenniveau bei rund 50 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens beizubehalten - wie es die SPD derzeit verspricht - ist seiner Ansicht nach illusorisch.
"Wir können nicht, wenn wir doppelt so viele Rentner haben pro Erwerbstätige, so tun, als ob wir das Rentenniveau so lassen können wie jetzt. Das bedeutet also für die jungen Leute, dass sie deutlich mehr Beiträge zahlen müssen. Die ja im Übrigen auch von der SPD eingeführte Reform 2004 hat es versucht auf beide Generationen zu verteilen und das halte ich für wesentlich gerechter, als nur die Jungen zahlen zu lassen. Und den Älteren eine Garantie zu geben, die - wenn der demografische Wandel Fahrt aufnimmt - nicht zu halten ist. Das ist verlogen."
Warmes Licht schimmert an diesem grauen Wintertag durch die Scheiben des Vereins "Lichtblick Seniorenhilfe". Ein älterer Herr drückt die Glastür auf, blickt sich suchend um, lächelt ein wenig verlegen. Das Ladenbüro ist Zuflucht und Anlaufstelle, für diejenigen, die im Alter jeden Cent zusammenkratzen müssen. Und bei denen es am Ende doch nie reicht. Nicht mal mehr für eine Hose.
Lydia Staltner:
"Herr Hauptmann, wollen Sie lieber beim C&A oder Kaufhof eine Hose kaufen?"
Rentner:
"Das wird ja gleich sein."
Lydia Staltner:
"Ja, aber das müssen Sie mir jetzt sagen, jetzt kriegen Sie einen Gutschein von mir, dass Sie sich eine Hose kaufen können, entweder beim C&A oder beim Kaufhof."
Rentner:
"Dann geh ich zum C&A."
Lydia Staltner:
"Und was kostet die Hose ungefähr?"
Rentner:
"60, 70 Mark."
Vor zehn Jahren hat Lydia Staltner den Münchner Verein gegründet. Eine Herzensangelegenheit, für die sie anfangs eher belächelt als beklatscht wurde. Tatsächlich kamen erst nur drei Rentner im Monat zu ihr und baten um Hilfe, dann waren es drei in der Woche, jetzt sind es fünf am Tag.
"Weil, es gibt diese versteckte Armut von Leuten, die zum Beispiel nicht einmal Schuhe haben, die also bei schlechtem Wetter nicht aus dem Haus gehen, weil sie keine Schuhe haben, wo es nicht nass reingeht. Und die sind so stolz, die gehen auch nicht zum Sozialamt oder zu den Sozialbürgerhäusern, die bleiben einfach zu Hause."
In München sind etwa doppelt so viele Menschen von Altersarmut betroffen wie im Bundesdurchschnitt. Hier sind es vor allem die hohen Mieten, die die Renten auffressen. Auch die von dem älteren Herren, der jetzt die Gutscheine vor sich liegen hat. 800 Euro Rente kriegt er. 600 gehen davon allein für seine Zweizimmerwohnung drauf. Er nestelt an den Kleidungsbons, die vor ihm liegen. Eine Sache liegt ihm noch am Herzen.
"Ich geh auf die 80 zu - bald hab ich Geburtstag. Und weil ich bloß noch fünf Euro hab, kann ich da ein paar Mark haben, das ich mir was zum Essen Gescheites kaufen kann? Geht das noch? - Ja, ja."
Lydia Staltner nickt, verschwindet im Büro und kommt mit einem Geldschein wieder, den sie dem Herrn in die Hand drückt. Der bedankt sich, rückt seinen Filzhut zurecht und geht langsam zur Tür.
"Also, man erlebt, dass immer mehr kommen, weil es hinten und vorn nicht mehr geht. Und nicht wegen großen Sachen. Sie haben es ja gerade mitgekriegt, wegen 20 Euro, weil es einfach zum Essen nicht mehr reicht."
Mit ihrem Verein will Lydia Staltner armen Rentnern schnell und unbürokratisch helfen - ohne Hürden und hohe Hemmschwellen. Sie denkt praktisch, organisiert Patenschaften, damit die alten Menschen 35 Euro im Monat als kleine Hilfe zugeschossen bekommen. Sie sorgt dafür, dass die Rentner einmal in der Woche ein warmes Mittagessen in einem Münchner Wirtshaus kriegen, wenn sie wollen. Und sie lädt zu Ausflügen und Theaterbesuchen ein - alles ausschließlich über Spenden finanziert. Lydia Staltner:
"Ich krieg nur mit, dass wenn sie mit uns wegfahren, dass sie sagen, das war das Schönste in diesem Monat, Gottseidank bin ich mal rausgekommen, Gottseidank hab ich mal mit jemandem reden können. Weil die Leute so einsam sind."
In drei Stunden wird auch Elisabeth Spatzier den Friseursalon in Rottach-Egern verlassen. Im Alter auf fremde Hilfe und Unterstützung angewiesen zu sein, das ist für die 65-Jährige eine grausige Vorstellung. Lieber arbeitet sie zwei bis drei Mal die Woche und bedient weiter Stammkunden. Der Friseurberuf macht ihr noch heute Spaß. Von dem was sie sich jetzt dazu verdient, mag sie aber nichts mehr abgeben.
"Jetzt arbeite ich nur noch für den Freibetrag, der mir zusteht. Und mehr nicht. Weil jetzt noch mal Steuern zahlen, da habe ich keine Lust dazu."
Jetzt bleibt wenigstens so viel, dass sie mit Freunden Kaffee trinken gehen oder sich mal einen Kinobesuch leisten kann. Nach einem Leben voller Arbeit mag sie auf das bisschen Luxus nicht verzichten.