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Westfälischer Friede für den Nahen Osten?
Giftstoff Religion

Der FAZ-Journalist und Islamwissenschaftler Rainer Hermann vergleicht den Dreißigjährigen Krieg mit gegenwärtigen Konflikten im Nahen Osten. Es würden jeweils religiöse Emotionen eingesetzt, um Menschen zu mobilisieren, sagte Hermann im Deutschlandfunk. Die Region stehe erst am Beginn eines großen Krieges.

Rainer Hermann im Gespräch mit Monika Dittrich |
    Kinder spielen in einem ehemals von Rebellen gehaltenen Stadtteil von Aleppo zwischen zerstörten Häusern und hinter einem Auto, das auf dem Dach liegt.
    Trümmer im syrischen Aleppo - erst der "Beginn eines großen Krieges"? (AFP / Joseph Eid)
    Im Dreißigjährigen Krieg, der 1618 begann, standen sich Katholiken und Protestanten gegenüber. Heute im Nahen Osten sei es ein Konflikt zwischen Saudi-Arabien als Schutzmacht des sunnitischen Islams und dem Iran als Schutzmacht der Schiiten. In beiden Fällen, im Dreißigjährigen Krieg in Europa und im Nahen Osten der Gegenwart, werde Religion funktionalisiert für die politische Macht, so Hermann. Im 17. Jahrhundert sei es um die Vorherrschaft in Europa gegangen, heute gehe es um die Machtfrage zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. "Die Religion ist in diesem Konflikt ein Giftstoff, weil man über Heiliges keine Kompromisse schließen kann", sagte Rainer Hermann im Deutschlandfunk.
    Der Dreißigjährige Krieg ging 1648 mit dem Westfälischen Frieden zu Ende. Die diplomatischen Instrumente, die damals gefunden und genutzt wurden, könnten nach Ansicht des Islamwissenschaftlers Hermann auch für die heutigen Konflikte im Nahen Osten genutzt werden. Nötig sei eine dritte Partei, "die vermittelt", und das könne zum Beispiel Europa sein. Die Konfliktparteien seien allerdings noch lange nicht kriegsmüde. "Wir stehen erst am Beginn eines großen Krieges", so Rainer Hermann.

    Das Interview im Wortlaut
    Monika Dittrich: Der Dreißigjährige Krieg wird heute manchmal als Vergleich herangezogen für die Konflikte und Bürgerkriege, die sich Sunniten und Schiiten liefern. Die Kämpfe in Syrien, im Irak oder im Jemen beispielsweise sind auch Auseinandersetzungen zwischen den beiden wichtigsten islamischen Glaubensrichtungen. Ob die historische Parallele zulässig ist und ob der Nahe Osten so etwas gebrauchen könnte wie den Westfälischen Frieden, darum geht es jetzt im Gespräch mit Rainer Hermann. Der Islamwissenschaftler, langjährige Korrespondent und Nahost-Kenner ist Redakteur bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Ich habe ihn gefragt, ob man den Dreißigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert und die heutigen Kriege im Nahen Osten überhaupt miteinander vergleichen kann.
    Rainer Herrmann: Ich glaube, das kann man schon miteinander vergleichen, denn wir haben eine vergleichbare Konstruktion: Wir haben jeweils drei Grundkonflikte, die ineinander verschwimmen, und einer dieser Grundkonflikte ist ein religiöser Konflikt, der die anderen politischen Konflikte überlagert. Beide Male, im 17. Jahrhundert in Europa und heute im Nahen Osten, werden jeweils religiöse Emotionen eingesetzt, um die Bevölkerung zu mobilisieren. So standen sich im Dreißigjährigen Krieg die Katholische Liga, also der Kaiser, Bayern, Köln und die Protestantische Union gegenüber. Und in der Gegenwart schüren die Kriegsparteien im Nahen Osten mit dem sunnitischen Islam und dem schiitischen Islam die Emotionen. Religion wird also in beiden Fällen funktionalisiert für die politische Macht. Das Problem ist nur, dass sich diese Emotionen dann kaum mehr einfangen lassen.
    "Über Heiliges kann man keine Kompromisse schließen"
    Dittrich: Und was genau ist der Konflikt? zwischen den Schiiten und den Sunniten heute?
    Herrmann: Der Konflikt zwischen den Sunniten und den Schiiten geht zurück auf ein Schisma im siebten Jahrhundert und geht um die Frage, wer die Führung der islamischen Gemeinde haben darf. Die Sunniten argumentieren eher realpolitisch, dass Allah denjenigen auserwählt habe, der faktisch die Führung übernommen hat, denn er sei in der Lage, die Gemeinschaft auch tatsächlich zu führen.
    Auf der anderen Seite argumentieren die Schiiten, dass nur Nachfolger von Mohammed die Führung übernehmen können, weil sie den göttlichen Funken in sich tragen. Und die entscheidende Schlacht fand 680, im siebten Jahrhundert statt, in der eine überlegene Armee des sunnitischen Herrschers Yasid die kleine Heerschaar von Hussein getötet hat. Yasid brachte den Kopf von Hussein nach Damaskus zurück als Trophäe und seither - argumentieren die Schiiten - herrsche in der Welt Unrecht, Ungerechtigkeit. Und Recht könne nur dann wiederhergestellt werden, wenn einer aus der Linie von Hussein die Macht übernimmt. Und das ist der Konflikt heute zwischen zwei verschiedenen politischen Ordnungsvorstellungen, der Sunniten und der Schiiten. Ein Konflikt, der mit der Revolution 1979 im Iran wieder virulent geworden ist.
    Dittrich: Das heißt aber, es ist nicht nur Religion, die hier eine Rolle spielt, sondern - Sie haben das gerade gesagt - es ist auch ein unterschiedliches politisches Weltbild - eine andere Ordnungsvorstellung, haben Sie glaube ich gesagt.
    Herrmann: Genau. Es ist der Konflikt zwischen Saudi-Arabien, der Schutzmacht des sunnitischen Islams, und Iran, der Schutzmacht des schiitischen Islams. Und auch das ist wieder eine Parallele zum Dreißigjährigen Krieg, denn in der nationalen Ebene hatten damals protestantische, böhmische Stände gegen den katholischen Kaiser aufbegehrt und das hat eine Kettenreaktion ausgelöst. Und im Nahen Osten hatten wir 2011 einen Aufstand gegen Machthaber, beispielsweise in Syrien, gegen Baschar al-Assad.
    Und diese erste, nationale Ebene ging jeweils über in eine zweite Ebene, im 17. Jahrhundert, im Kampf um die Hegemonie in Europa, wo sich Schweden, Frankreich und Dänemark zusammengetan haben, um dem Haus Habsburg die Herrschaft in Europa streitig zu machen, und in der arabischen Welt drängen in der Gegenwart in das Vakuum Syrien Saudi-Arabien und Iran ein. Und damit beide Parteien ihre Anhänger mobilisieren können, setzen sie auf die Religion. Religion ist allerdings in diesem Konflikt ein Giftstoff, weil man über Heiliges keine Kompromisse schließen kann. Und deswegen wird dieser Konflikt auch so erbittert geführt.
    "Die Konfliktparteien sind noch lange nicht kriegsmüde"
    Dittrich: Wenn wir die Parallele ziehen zwischen dem dreißigjährigen Krieg und den religiös motivierten Kriegen und Konflikten von heute, dann müssen wir jetzt auch über den Westfälischen Frieden sprechen. Könnte das auch eine Art Modell, eine 'Blaupause' sein für die islamische Welt?
    Herrmann: Nun, eine 'Blaupause' kann es natürlich nicht sein, denn historische Prozesse sind ergebnisoffen. Aber die kanadische Historikerin Margaret MacMillan hat einmal sehr schön gesagt, ein Blick auf historische Prozesse helfe die Fragen zu formulieren, die wir an die Gegenwart stellen. Damals im 17. Jahrhundert wurde der Krieg ja erst beendet, nachdem alle Kriegsparteien erschöpft waren und als 109 Delegationen in Münster und Osnabrück nach einer Lösung gesucht haben. Sie waren drei Jahre beschäftigt, um neue diplomatische Instrumente zu finden, die dann tatsächlich dazu geführt haben.
    Ich glaube, dass wir von diesen Instrumenten einiges lernen können, denn der Dreißigjährige Krieg wurde erst beendet, nachdem sich in Münster und Osnabrück eine sogenannte dritte Partei aus kleinen Reichsständen gebildet hatte. Diese kleinen Reichsstände waren alleine keine kritische Masse, um den Verlauf des Prozesses zu beschleunigen, aber zusammen waren sie diese kritische Masse und sie brachten die großen Parteien aufeinander zu, sie entwickelte neue Instrumente, wie sie einzelne Fragen beilegen. Und die Lehre daraus ist, dass es auch im Nahen Osten heute einer sogenannten dritten Partei bedarf, einer Partei, die vermittelt.
    Dittrich: Wer könnte das sein?
    Herrmann: Europa könnte das beispielsweise sein, denn Europa liegt in der Reichweite des Epizentrums dieses gewaltigen Bebens, und es läge in unserem Interesse, einzugreifen. Die Bundesregierung tut das auch, aber vergessen Sie nicht, die Konfliktparteien sind noch lange nicht kriegsmüde. Die Länder selbst sind zerstört, aber die Konfliktparteien, die von außen den Krieg in diese Länder tragen, sind davon überzeugt, dass ihnen die Fortsetzung des Krieges mehr bringt, als ein Friedensschluss heute. Das heißt, wir müssen weiter vermitteln zwischen Saudi-Arabien auf der einen Seite und zwischen Iran auf der anderen Seite.
    "Wir stehen erst am Beginn eines großen Krieges"
    Dittrich: Das heißt, dieser Konflikt kann erst zu Ende gehen, wenn alle Beteiligten völlig erschöpft sind, ermattet vom Kampf, ausgeblutet?
    Herrmann: Die Syrer selbst sind ausgeblutet, sie sind ermattet, 40 Prozent des Landes sind zerstört, jeder zweite Syrer ist ein Flüchtling, entweder im eigenen Land oder er hat sich ins Ausland abgesetzt. Uns muss es gelingen, dass wir die externen Sponsoren des Krieges zu externen Sponsoren eines Friedens machen und das kann nur ein langfristiger Prozess sein. Vergessen wir nicht, der Westfälische Frieden ist nach 30 Jahren Krieg nicht mit einem großen Universalfrieden zu Ende gegangen. Viele kleine Vorläufer haben dazu geführt, bis dann der Knoten 1648 in Münster und Osnabrück endgültig zerschlagen werden konnte.
    Ich will hier nicht fatalistisch werden, aber wir stehen erst am Beginn eines großen Krieges, und der Blick auf den Dreißigjährigen Krieg sollte eben zeigen, wo die Fragen sind, die die Menschen beschäftigen, wenn die Staaten um sie herum zerfallen, wenn sie sich nach Sicherheit sehnen und dann fragen, wer bin ich, mit wem will ich zusammen eine Gemeinschaft, eine Nation bilden, wie kann aus dieser Nation ein Staat entstehen. Denn nur funktionierende, stabile Staaten bieten die Gewähr für eine Friedensordnung. Das sind die Lehren, die wir aus dem Dreißigjährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden ziehen. Und ich bin fest davon überzeugt, dass wir das auch auf den großen Krieg heute im Nahen Osten anwenden können, ohne eurozentristisch zu werden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.