Ein Regentag in Praia de Mira, einem kleinen Strandort zwischen Lissabon und Porto. Ein paar Fischrestaurants, zwei Campingplätze, eine Handvoll Hotels. Kein Ort für Massentourismus. Die lange Strandpromenade oberhalb des Sandstrands ist verwaist. Die Parkplätze leer. Bis auf zwei Wohnmobile, deutsches Kennzeichen.
In einem sitzt Eberhard, 77 Jahre alt, Rentner aus Norddeutschland. "Unterwegs seit ich im Ruhestand bin: Camper mit Herz und Seele."
Eberhard hat keine Wohnung mehr in Deutschland. Er ist immer unterwegs. Zusammen mit seiner Freundin. Die allerdings ihr eigenes Wohnmobil hat. "Ich habe meine Bekannte vor zehn Jahren hier in Portugal kennengelernt, da kam sie angefahren mit ihrem und ich mit meinem. Und seitdem fahren wir fahren treu und brav hintereinander her. Und sie selber ist schon seit 24 Jahren unterwegs."
Seine Bekannte parkt direkt nebenan. Sie sind gerade angekommen in dem portugiesischen Fischerörtchen. Sie kommen aus dem Süden, haben auf den Kanaren überwintert, zum dritten Mal schon – und fahren jetzt die portugiesische Küste ab. In Praia de Mira sind sie zum ersten Mal. Eberhard sitzt im Fahrersitz und blickt auf die Wellen vor seinem Fenster. Er überlegt, ob er heute Nacht hier stehen bleiben kann, auf diesem Strandparkplatz. Der Campingplatz in der Nähe kommt nicht in Frage.
Manchmal gibt es Frischwasser, selten sogar Strom
"Auf jeden Fall reizt es uns nicht, auf einem Campingplatz zu stehen, jeder holt Tisch und Stühle raus und dann sitzt man mit 20 Leuten in einer Reihe. Das ist so gar nicht unser Ding. Wir haben es lieber, wenn wir uns irgendwo hinstellen, nicht unbedingt allein. Wenn da ein, zwei, drei dabei sind, ist auch gut, von da aus machen wir unsere Fahrradtouren. Das ist das, was uns gefällt."
Eberhard steht meist auf offiziellen oder geduldeten Stellplätzen. Sie kosten in Portugal ein paar Euro pro Nacht oder sind kostenlos, manchmal gibt es Frischwasser und eine Stelle, um das Wohnmobilklo zu entleeren, selten sogar Strom. Auf dem letzten Stellplatz in Praia de Lavos weiter südlich wollte das Paar eigentlich nur zwei Tage lang bleiben. Am Ende wurden es 18. "Da hat die Gemeinde, nicht nur die Gemeinde, die Einwohner des kleinen Ortes, hat man uns erzählt, haben diesen Platz in Gang gebracht. Platz für vielleicht 100 Mobile. Mit Wasser und Entsorgung und Versorgung und Müll sowieso und liegt herrlich am Meer und kostet keine müde Mark. Und das ist ein Faktor für uns, wenn man die Wahl hat, das dann zu nehmen."
Manchmal steht der 77-Jährige aber auch einfach irgendwo – auf keinem offiziellen Wohnmobilstellplatz. Bis auf eine Ausnahme hat bislang alles geklappt. Einmal wurden er und viele andere Wohnmobilisten von der portugiesischen Polizei weggeschickt, erzählt der 77-Jährige – und das, obwohl sie für die Übernachtung gezahlt hatten.
Selbst auf deutsches Fernsehen muss man nicht verzichten
"Hinten ein Schlafplatz und vorn für zwei, riesengroß, den Tisch kann man drehen und so. Und hier meine Küche." Zu eng wird es Eberhard in seinem sieben Meter langen Wohnmobil nicht. Er kann regelmäßig warm duschen und hat alles, was er braucht. Es ist nicht groß, sagt er, aber dafür muss er eben auch nicht viel putzen. Und die Wäsche?
"Da haben wir unsere Wäschereien, wo wir das hinbringen, da ist zum Beispiel in Armacao eine wunderbare Wäscherei, die macht das so picobello, dass wir Umwege fahren, um da hinzukommen. Das ist ganz herrlich."
Und selbst auf deutsches Fernsehen muss der Rentner nicht verzichten. Neben der Tür hängt ein kleiner Fernseher. "Da muss ich dann die Antenne rausstellen, die sucht dann alleine, ein paar Knopfdrücke, dann fährt sie mir das Bild hier rein, dann haben wir oben Solar, Photovoltaik und die laden uns die Batterien auf und da habe ich noch keine Probleme gehabt." Heute Abend will Eberhard Fußball schauen. Vorsichtshalber fährt er ein paar Meter weiter – auf einen großen unbefestigten Platz hinter den Dünen. Der nächste Tag ist ein Feiertag, das Wetter soll gut werden, der Parkplatz könnte voll werden.
Portugal ist ein Paradies für alle, die wild campen. An einsamen Buchten oder belebten Surfstränden – vor allem in der Nebensaison stehen Luxusliner neben alten Bullis. Aus Frankreich, Spanien, Deutschland, selten Italien oder Nordeuropa.
Ein paar Kilometer südlich von Mira. Am Praia do Norte in Nazare. Eine schmale Straße führt hinunter ans Meer, unterhalb einer Festung, abseits des Ortes, der gern auch von großen Touristenbussen angefahren wird. Der Wind pfeift über die lange Bucht. Keine Bar, kein Hotel, keine Promenade. Die Wellen hier können extreme Höhen erreichen. 2011 hat der US-Amerikaner Garrett McNamara hier eine 23-Meter hohe Welle gesurft. Weltrekord.
Beliebtes Ziel bei Surfern
Der unbefestigte Parkplatz ist klein. Ein roter Bulli steht neben einem Wohnmobil und einem Auto. Surfboards auf den Dächern. Eine Gruppe Anfang-20-Jähriger kommt gerade aus dem Wasser. Sie campen wild, sie kennen sich aus dem Kreis Bremen und surfen alle. Ihr Lager haben sie in der Nähe aufgeschlagen, wo es etwas windgeschützter ist. Und versteckter.
"Wir stehen so ein bisschen weiter im Norden, da sind so ein paar Windräder, da haben wir uns einen Platz im Wald gesucht, haben unser Camp aufgebaut, unser Equipment rausgeholt, zwei Zelte gibt’s, den T3 hier, Feuerstelle, das Grillrost darf nicht fehlen, dann haben wir Planen drübergelegt, schönen Tisch aus Europaletten, die haben wir recycelt, vom Strand zusammengebaut."
Die jungen Bremer brauchen nicht viel. Aber das, was sie brauchen, finden sie hier: gute Wellen, einen abgeschiedenen Platz zum Übernachten, ein bisschen Infrastruktur im Ort. Keine Toilette, keine Dusche. "Wir duschen nicht. Wir haben zwei Campingduschen, das sind so 20-Liter-Teile, schön schwarz, dass das mit UV warm gemacht wird, haben wir bisher noch nicht benutzt. Wir stinken vor uns hin sind jeden Tag im Wasser und das ist das beste Naturpeeling."
Die Jungs meiden Campingplätze. Für die Azubis und Studenten eine Kostenfrage – obwohl die portugiesischen Campingplätze vor allem in der Nebensaison oft nicht besonders teuer sind. Aber selten liegen sie auch direkt am Meer.
Die portugiesische Polizei ist meist sehr wohlwollend mit Campern, die sich einfach irgendwo hinstellen. Selten stellen Gemeinden Verbotsschilder für Wohnmobile auf. Denn Camper bringen Umsatz.
Ein Supermarkt bietet auch eine Waschmaschine und einen Trockner
So sieht es auch Daniel Caterino. Er ist Kellner in einer Strandbar kurz vor Peniche. Der Ort ist bekannt für seine Sardinenfabriken und seine steilen Klippen, die ins Meer fallen. Und für seine hervorragenden Surfwellen, die Surfer aus aller Welt anziehen. Daniel Caterino trägt ein Tablett mit Burgern und Pommes auf die Terrasse.
"Hier gibt es immer gute Wellen, das ist ein guter Surfspot, inzwischen kommen die Surfer über das ganze Jahr verteilt, von überall."
Auf dem Strandparkplatz neben der Bar stehen auch einige Wohnmobile, Bullis und sogar ein ausgebauter LKW. Es ist kein offizieller Übernachtungsplatz, Caterino stört das nicht. Auch nicht, wenn die Camper die Bartoilette benutzen.
"Ich würde dasselbe machen, wenn ich einen Bus hätte – wild campen. Ich kenne ein paar Leute, die stört das, sie sagen, die Camper zahlen für nichts. Ich sehe das anders: Sie müssen essen und trinken und wenn sie eine Woche lang hier stehen, geben sie auch Geld aus."
Auch ein Supermarkt hat das erkannt. Ein paar Kilometer entfernt, neben einem befestigten Stellplatz am Ortsrand von Peniche, gibt es eine Wasserstelle für Wohnmobile, eine Waschmaschine und einen Trockner. Wer einkauft, kann direkt waschen und das Wohnmobil wieder auffrischen.
Neben der Bar auf dem Strandparkplatz. Es ist früher Vormittag. Unter der Windschutzscheibe einiger Wohnmobile steckt ein Werbeflyer einer Wäscherei. Aus einem hellblauen Alpha-Romeo-Bus klettert eine junge Frau. Rechts in der Hand eine Wasserflasche, links eine Zahnbürste. Zwei Straßenhunde jagen sich über den Platz. In einem blassgelben VW-Bus, T3, frühstückt ein junges Paar aus Wien. Beide in Jogginganzug. Auf dem Tisch – dampfende Tassen mit Tee und Kaffee.
Einen verrosteten Bus umgebaut
"Das war mal ein Neunsitzerbus, und der wurde von uns gemeinsam ausgebaut, also wir haben einen verrosteten Bus genommen mit dieser Campingausstattung haben die aufgemöbelt und in einem Monat Schweißarbeit eingebaut. Das ist die Küchenzeile mit Spüle – die Bank und das Besondere ist, dass es ein Schiebebett ist – und das ziehst du ganz einfach nach vorn."
Anders als in vielen Wohnmobilen fehlt den beiden eine Toilette. Andreas lacht, ein Klo findet man immer, sagt er. Die beiden nutzen Strandbars oder gehen einfach irgendwo ins Gebüsch. "Man gibt der Natur etwas zurück", sagt Andreas. Fürs Waschen nutzen sie Strandduschen. "Oder wenn wir mal nichts finden, schlafen wir mal eine Nacht auf dem Campingplatz." "Und und und, wir haben eine Außendusche, obwohl es nicht so ausschaut, wir haben einen 40-Liter-Wassertank, und an den Wasserhahn können wir einfach einen Duschschlauch anstecken und dann kann man aus dem Fenster raus im Freien duschen."
Andreas und Tanja fahren die portugiesische Küste Richtung Süden ab – immer auf der Suche nach guten Wellen. Beide surfen. An Surfstränden kann man auch gut übernachten, sagt Tanja und zeigt auf ein Buch, das auf dem Vordersitz liegt. Es listet die wichtigsten Surfspots in Portugal auf. So finden die zwei ihre Stellplätze. Und sie nutzen einen Führer, eine Wohnmobiltour durch Portugal. Eine App, von denen es einige gibt, nutzen sie nicht. Ist wild campen nur etwas für junge Menschen? Die Österreicher schütteln den Kopf.
"In Griechenland, wo wir wild gecampt sind, da war alles quer durchmischt, da waren Italiener mit riesigem Schiff, einer aus Luxemburg mit so einem riesigen Teil, wo Du alles ausfahren kannst, piep piep piep. In Albanien haben wir ein altes Rentnerehepaar getroffen, die habe ihre Firma verkauft und haben sich ein Schiff gekauft, das war irre, ein umgebauter Reisebus in der Größe. Und wir haben sie gefragt, ob sie auch im Winter fahren, die haben alles mit, das ist unser Haus – und dann hat Tanja gefragt, wo ward ihr eigentlich? Und dann hat er ein Bubengrinsen aufgesetzt und hat gesagt, fragt uns besser, wo wir noch nicht waren."
Packen ist wie Tetris spielen
Tanja und Andreas packen zusammen, sie wollen weiter Richtung Süden, bis nach Sagres. Dort, wo die portugiesische Küste karger wird – wo felsige Buchten mit feinen Sandstränden die Dünenlandschaft ablösen.
Ein paar Meter weiter auf dem Parkplatz bei Peniche kämpft ein anderes Paar mit einem Überwurf. Sie haben das Sonnensegel an ihrem Kombi befestigt und bauen es wieder ab – es ist zu windig. Die zwei hatten auf ein bisschen Windschutz gehofft, vergebens. Es sollte eine Art Vorzelt sein für den Kombi, in dem sie schlafen, mit dem sie fahren und hinter dem sie kochen.
"Also es ist immer wie ein bisschen Tetris spielen, dann muss man immer die Sachen vom Kofferraum in den Fußraum packen, da ist kein System drin, man sucht eigentlich immer etwas." Die beiden Studenten versuchen kostengünstig zu reisen. Trotzdem – manchmal wird ihnen das Auto auch zu klein. "Ich muss schon sagen, ich werfe immer mal wieder neidvolle Blicke auf die WoMos, die hier rumstehen. Gestern wurden wir von einer Italienerin eingeladen in ihren Bulli, weil sie gesehen hat, wie wir mit dem Sonnensegel gekämpft haben – und sie meinte, wenn wir wollen, sind wir herzlich eingeladen, in ihrem Bus zu kochen. Und dann haben wir das wahrgenommen, ist schon eine andere Nummer. Gemütlicher."
Vielleicht rüsten die zwei irgendwann auf. Ferienwohnungen oder Hotels kommen aber trotzdem nicht in Frage. Die zwei lieben das Campen. "Das ist vererbbar. Familienurlaub in Frankreich immer mit dem Wohnmobil und wenn man das so kennt, dass man immer weiterfahren kann, wenn es einem nicht gefällt, wenn man neugierig auf was Neues ist, dann macht Campen einfach Sinn." Und in Portugal sei das besonders reizvoll, sagt die junge Frau mit den zurückgebundenen Haaren und schaut aufs Meer. "Und Portugal einfach, weil es die schönste Küste Europas ist. Und wenn man dann noch surfen möchte, findet man hier so viele Spots und kleine Buchten und Strände, das ist einfach perfekt."