"Finnland war ja nun gerade ein Land, das überhaupt keine Aggressionen gegenüber der Sowjetunion hatte und das gar kein Interesse daran haben konnte, den großen Nachbarn zu provozieren."
Erklärt der Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski von der Berliner Humboldt-Universität. Trotzdem überfielen sowjetische Truppen am 30. November 1939 Finnland. Erleichtert hatte dieses militärische Vorgehen der kurz zuvor geschlossene Hitler-Stalin-Pakt.
"Nach einem freundlichen Empfang fuhr der Minister zur deutschen Botschaft und begab sich später in den Kreml, wo in Anwesenheit Stalins der Nichtangriffs- und Konsultationspakt unterzeichnet wurde."
In einem geheimen Zusatzprotokoll wurden Estland und Lettland sowie Finnland als sowjetisches Interessengebiet definiert - eine Einladung für den sowjetischen Diktator Josef Stalin, das bis 1917 zu Russland gehörende Finnland zurückzugewinnen und in das eigene Imperium einzugliedern.
"Polen wurde aufgeteilt, die baltischen Republiken annektiert, und er merkte, dass er bekam, was er haben wollte. Finnland war einfach nur der konsequente weitere Schritt, es einfach zu probieren."
Vorwand, die diplomatischen Beziehungen abzubrechen
Am 5. Oktober erhielt die finnische Regierung ultimativ die Anweisung, zu Verhandlungen in Moskau zu erscheinen. Die russische Seite forderte unter anderem den Abschluss eines militärischen Beistandspaktes, die Abtretung mehrerer Inseln und die Verschiebung der Staatsgrenze ins Landesinnere. Bedingungen, die für die finnische Delegation unannehmbar waren. Der sowjetische Außenminister Wjatschetslaw Molotow drohte daraufhin:
"Wir, die Zivilisten, scheinen nichts in der Sache tun zu können: Jetzt müssen die militärischen Kreise ihr Wort sprechen."
Ein angeblich von finnischer Seite provozierter Grenzzwischenfall am 25. November diente der Sowjetunion als Vorwand, die diplomatischen Beziehungen abzubrechen. Am 30. November überfiel die Rote Armee mit einem massiven Aufgebot von Panzern, Flugzeugen und Bodentruppen das scheinbar hoffnungslos unterlegene Nachbarland, weshalb die sowjetische Militärführung einen raschen Sieg erwartete; ein Trugschluss, wie sich herausstellte.
Invasion schlecht vorbereitet
Denn das Offizierskorps, geschwächt durch die großen Säuberungswellen Stalins in den Jahren zuvor, hatte die Invasion schlecht vorbereitet. Der Vormarsch der Roten Armee blieb bei eisiger Kälte im meterhohen Schnee stecken.
"Im Grunde hatten die roten Kommandeure überhaupt keine Taktik und keine Strategie als den Frontalangriff. Und das war in einem Gebiet, in dem sich die finnischen Einheiten gut verteidigen konnten, in dem sie in kleinen Einheiten operierten und beweglich waren, fatal."
Die finnischen Partisanen waren in ihren weißen Schneehemden kaum zu erkennen. Im Dunkeln glitten sie auf ihren Skiern lautlos heran, warfen einfache Brandsätze, die sie in Anspielung auf den sowjetischen Außenminister Molotow-Cocktails nannten, und zerrieben die feindlichen Truppen.
"Damals standen vier Millionen gegen 180 Millionen. Trotzdem erlitten die Sowjettruppen schwerste Verluste.
Finnland konnte seine politische Souveränität bewahren, musste aber größere Gebiete abtreten
Berichtete die deutsche Wochenschau über den sowjetisch-finnischen Winterkrieg. Erst im Februar 1940 gelang der Roten Armee ein entscheidender Durchbruch, woraufhin sich die finnische Regierung zu Waffenstillstandsverhandlungen und einem Friedensschluss am 13. März gezwungen sah. Finnland konnte seine politische Souveränität bewahren, musste aber größere Gebiete abtreten. Dazu erklärte der frühere Außenminister Eljas Erkko:
"Der Frieden ist also zurückgekehrt in unser Land. Doch ist dieses Land noch das alte? Die alten Grenzen sind verschoben worden, uns sind wichtige Industrie- und Landwirtschaftsgebiete verloren gegangen."
Nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 kämpften finnische Soldaten an der Seite der Wehrmacht im sogenannten Fortsetzungskrieg gegen die Rote Armee. Als aber 1944 infolge des deutschen Rückzugs erneut eine sowjetische Invasion drohte, schlossen die Finnen einen Separatfrieden mit Moskau und verfolgten anschließend eine konsequente Neutralitätspolitik.
Trotz 25.000 toten Finnen, einer halben Million Flüchtlinge und 125.000 toten Rotarmisten verblasste der finnisch-sowjetische Winterkrieg zu einer Marginalie des Zweiten Weltkriegs. Der Osteuropa-Experte Jörg Baberowski:
"Der schreckliche Vernichtungsfeldzug der Nazis in der Sowjetunion, der Holocaust, angesichts dessen ist das für die Historiker und für das Gedächtnis, ist das eine Randnotiz. Wenn man das aus der finnischen Perspektive sieht, ist es das natürlich nicht. Das spielt eine große Rolle im kollektiven Gedächtnis der Finnen."