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Wirtschaftsforscher André Spicer
Arbeit muss keinen Spaß machen

Viele Unternehmen wollen, dass ihre Mitarbeiter Spaß an der Arbeit haben und stellen ihnen deswegen Tischkicker hin und bieten Yogakurse an. Ein gefährlicher Trend, findet Wirtschaftsforscher André Spicer - denn es kann dazu führen, dass man die Arbeit wichtiger nimmt als sein Privatleben.

André Spicer im Gespräch mit Sandra Pfister |
    Eine Kollegin und ein Kollege lachend beim Armdrücken im Büro
    Spicer warnt davor, dass Firmen versuchen, die Familie zu ersetzen. (imago/Westend61)
    Sandra Pfister: Arbeit soll Spaß machen. Das ist das Mantra vieler Firmencoaches, ganze Regalmeter von Büchern wurden darüber geschrieben, und Firmen tun allerhand, um ihren Mitarbeitern das Büro so schmackhaft wie möglich zu machen. Arbeit muss nicht nett sein, sie muss auch keinen Spaß machen, kontert André Spicer, Professor an der City University of London, der lange dazu geforscht hat. Wir hatten vor der Sendung die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.
    Mister Spicer, nehmen wir mal an, Sie wären bei Apple oder Facebook oder Google beschäftigt. Da gibt es Kreativ-Ecken, in denen die Angestellten chillen können, Erwachsenenspielplätze, teilweise sogar mit Rutschen, aber auf jeden Fall stehen Tischtennisplatten und Tischkicker rum, und es gibt Yoga- und Pilateskurse. Warum machen Firmen das?
    André Spicer: Sie glauben an die Idee, dass ein glücklicher Arbeiter ein guter Arbeiter ist. Das lässt sich teilweise auch belegen, ja, es gibt eine Studie, wo man Angestellten eine Zeit lang einen Standup-Comedian vor die Nase gesetzt hat, und nach dieser Zeit sind die tatsächlich etwas produktiver gewesen. Aber wenn man sich all die anderen Forschungsergebnisse ansieht, dann zeigen die eher: Der Zusammenhang zwischen glücklichen Arbeitnehmern und besseren Ergebnissen ist sehr schwach.
    "Ein glücklicher Arbeitnehmer ist nicht unbedingt ein besserer Arbeitnehmer"
    Und es gibt de facto einige Jobs, bei denen man besser arbeitet, wenn man nicht so glücklich ist, sondern eher wütend. Zum Beispiel, wenn Sie Fluglotse sind, und eher ein bisschen nervös sind, dann ist das gut. Oder wenn Sie in Verhandlungen stecken und ein bisschen verärgert sind, dann kriegen Sie meistens bessere Verhandlungsergebnisse. Ein glücklicher Arbeitnehmer ist also nicht unbedingt ein besserer Arbeitnehmer.
    Sandra Pfister: Also scheint es für Unternehmen gar nicht so toll zu sein, wenn sie ihre Mitarbeiter dadurch zu motivieren versuchen, dass sie ihr Arbeitsumfeld etwas angenehmer gestalten. Warum machen die das dann?
    André Spicer: Unternehmen machen halt oft einfach das, was alle anderen auch machen. Sie kopieren einfach, was Google und Apple machen. Und dann stellen sie auch Tischkicker auf. Und das ist für die Leute am Anfang schon ganz nett, aber das steigert deren Produktivität langfristig weit weniger, als die Firmen sich erhoffen.
    Sandra Pfister: Wenn Sie etwas einfachere Dinge nehmen, Yoga-Angebote, viele deutsche Firmen bieten das an, oder Wellness-Angebote, zahlt sich das aus für Firmen aus, ihre Angestellten so bei Laune zu halten?
    André Spicer: Ich glaube, das kann zumindest nicht schaden. Den Angestellten zu ermöglichen, bei der Arbeit ein bisschen Sport zu treiben, ist eine ziemlich gute Sache. Die meisten Leute sind danach auch ein bisschen wacher und aufnahmebereiter. Aber wenn das zur Pflicht wird, wenn alle Angestellten mitmachen sollen, dann wird es gefährlich. Dann benachteiligt die Firma damit Leute, die nicht von sich aus gerne aus sich rausgehen, die nicht ständig glücklich und aufgekratzt sind, es kann auch dazu führen, dass Angestellte glauben, sie müssen eine glückliche Fassade aufsetzen. Und das kann dazu führen, dass schlechte Nachrichten erst gar nicht überbracht werden.
    "Ausgedehnte Arbeitszeiten schaden der Produktivität"
    Das ist bei Nokia 2007 passiert. Zu der Zeit hatte Apple schon das iPhone rausgebracht, Nokia hat noch an seinem eigenen Smartphone gearbeitet. Die Ingenieure bei Nokia wussten, dass das Betriebssystem nicht funktionieren würde, aber niemand traute sich, das dem Top-Management zu beichten. Weil das Top-Management ihnen klar gemacht hatte, dass sie nur gute Nachrichten hören wollen. Die Konsequenz ist, dass Apple und Samsung Nokia bei weitem abgehängt haben und Nokia schlicht und einfach gar keine Smartphones mehr baut.
    Sandra Pfister: Das hört sich so an, als könnte man Leute nur schwer dazu kriegen, Spaß bei der Arbeit zu haben. Aber immerhin bewegt man sie dazu, länger am Arbeitsplatz zu bleiben. Man verwischt die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben.
    André Spicer: Ja, wenn man sich das genauer anschaut, wollen die ja simulieren, dass man gar nicht länger ein Privatleben braucht. Denn eigentlich würde man ja privat vielleicht mal ins Kino gehen oder zum Sport oder irgendwo Spaß haben. Jetzt liefert das die Firma. Man kann einfach weiterarbeiten, all das ist jetzt bei der Arbeit - man muss gar nicht mehr nach Hause gehen. Das Leben auf der Arbeit wirkt dann netter als das außerhalb der Arbeit. Aber das hilft nicht mal der Firma: So ausgedehnte Arbeitszeiten schaden der Produktivität sehr deutlich. Denn man kann nur eine gewisse Zeit lang produktiv sein. Also ist das langfristig schlecht für die Menschen selbst, aber auch für die Firma.
    "Mein Familienleben ist nicht so wichtig, ich liebe meine Arbeit"
    Sandra Pfister: Dann ist also diese Idee, dass wir unsere Jobs lieben sollten, die ja ziemlich modern wirkt, das scheint ja eine Idee zu sein, die Unternehmen bewusst entwickelt haben, um uns länger im Büro zu halten.
    André Spicer: Ja, so ist das. Selbst für Jobs, die nur befristet sind oder ziemlich langweilig, selbst für Fabrikjobs versuchen Firmen so ein romantisches Bild zu kreieren, dass man seinen Job lieben sollte. Und dann sagt man am Ende: Mein Familienleben ist nicht so wichtig, ich liebe meine Arbeit, ich liebe meinen Job. Ob ich eine glückliche, stabile Liebesbeziehung habe, darüber mache ich mir keine Gedanken - mein Job ist alles, was ich brauche. Dadurch wird die Arbeitsbeziehung die wichtigste Beziehung im Leben von Menschen. Das ist eine gefährliche Einstellung in einer Zeit, in der Arbeitsverhältnisse immer brüchiger werden, instabil und kurz. Die Jobs, die wir dann so lieben, die lieben uns aber nicht unbedingt.
    Sandra Pfister: Wenn wir aber unseren Job nicht lieben sollen, welchen Stellenwert soll er in unserem Leben haben?
    André Spicer: Ich glaube, die meisten Menschen haben ein Pflichtbewusstsein. Wenn man 20, 30, 50 Jahre zurückgeht, auch heute gibt es das noch, und wenn man mit Menschen über ihren Job spricht, dann sagen sie: Ich mache das, weil ich mich dazu verpflichtet fühle, ich glaube, dass das, was ich tue, für die Gesellschaft wichtig ist. Das kann ein Lehrer sein, ein Ingenieur in einer Autofirma, ein Banker: Die haben ein Gefühl, dass das, was sie tun, einen Sinn hat. Und ich glaube, es ist wichtig, sich darauf zu besinnen. Diese Zufriedenheit, die können all diese zusätzlichen Dinge, das Drumherum bei der Arbeit, nicht hervorrufen.
    Der durchschnittliche amerikanische Arbeitnehmer verbringt nur 45 Prozent seiner Arbeitszeit mit seiner Kernaufgabe. 55 Prozent der Zeit macht der was ganz anderes. All diese Sache wie Team-Meetings, Strategiebesprechungen und so weiter. Das ist teilweise völlig irrelevant für ihren eigentlichen Job. Ich glaube, wir müssen uns einfach wieder auf den Kern unserer Arbeit besinnen. Und all diesen zusätzlichen Nonsense beiseite schieben. Das würde Menschen bei der Arbeit wieder zufriedener machen, weil sie das Gefühl haben, sie machen ihren eigentlichen Job. Und es würde auch die Arbeitstage verkürzen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.