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Wissenschaftlicher Nachwuchs
Grünen-Politiker Gehring beklagt "miserable Lage"

Die berufliche Lage vieler junger Wissenschaftler in Deutschland ist schwierig. Sie sitzen auf befristeten Verträgen und werden oft hingehalten. Die schwarz-rote Koalition will jetzt das zugehörige Gesetz reformieren. Es müsse nun was passieren, sagte Kai Gehring von den Grünen im DLF. Die miserable Lage der Nachwuchswissenschaftler sei lange von der Union im Bund ignoriert worden. Gehring sieht die Geduld junger Wissenschaftler und der Opposition am Ende.

Kai Gehring im Gespräch mit Kate Maleike |
    Studenten sitzen in einem Hörsaal der Universität Koblenz-Landau
    Studenten sitzen in einem Hörsaal der Universität Koblenz-Landau (picture alliance / dpa / Thomas Frey)
    Kate Maleike: Junge Wissenschaftler in Deutschland, die kennen sich aus, wenn es um das Thema "Warten" geht, denn viele von ihnen verbringen viel Zeit damit. Sie warten auf Zu- oder Absagen bei Projektgeldern oder auf eine Vertragsentscheidung, und gerade warten sie auf lange versprochene politische Reformen, die ihre Karriereperspektiven verbessern sollen und vor allem den Missbrauch von Befristungen etwas entgegensetzen sollen. Die schwarz-rote Regierungskoalition nämlich will das entsprechende Gesetz, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, reformieren und einen Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs starten. Zwischen Wollen und Tun aber hängt man irgendwie, was sich durch öffentliche Anhörungen und Sitzungen heute und morgen hoffentlich ändert.
    Kai Gehring ist Hochschulexperte der Bündnisgrünen im Bundestag und gehört zu den aktivsten Betreibern dieser Reformen. Herr Gehring, denn die Grünen haben ja auch einen eigenen Vorschlag längst als Gesetzesnovelle im Bundestag vorgelegt. Was denken Sie denn, kommen denn jetzt endlich die Reformen?
    Kai Gehring: Es ist dringend notwendig, dass jetzt was passiert. Den vielen Worten auch der Koalition müssen jetzt endlich Taten folgen, denn Nachwuchswissenschaftler sind Ideengeber und auch Quellen künftigen Wohlstandes und deshalb entscheiden ihre Perspektiven maßgeblich mit über die Zukunftsfähigkeit des Wissenschaftsstandortes Deutschlands. Und mich nervt wirklich, dass die Union im Bund zehn Jahre lang die miserable Lage des wissenschaftlichen Nachwuchs ignoriert hat, und Ministerin Wanka und die Koalition müssen jetzt unverzüglich konkrete Initiativen vorlegen. Also nicht nur die Geduld der jungen Wissenschaftler, auch die Geduld der Opposition ist wirklich am Ende, weil Wissenschaft als Beruf nicht weiter an Attraktivität verlieren darf.
    "Endlich einen Durchbruch und eben zusätzliche feste Nachwuchsstellen"
    Maleike: Ich habe es schon gesagt, es gibt diverse Gespräche heute und morgen, öffentliche Anhörungen noch dazu. Welche Chance sehen Sie da wirklich jetzt mal Butter bei die Fische zu bekommen?
    Gehring: Wir brauchen statt Hire and Fire in der Wissenschaft klare Karrierewege, verlässliche Verträge mit Mindeststandards und mehr Dauerstellen für Daueraufgaben, und es muss auch möglich sein, dass man Kind und Wissenschaftskarriere besser miteinander vereinbaren kann. Da gibt es eine Vielzahl an Reformvorschlägen aus der Opposition, wir Grüne haben einen eigenen Gesetzentwurf zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz vor über einem Jahr vorgelegt und auch ein Programm für mindestens 10.000 zusätzliche feste Nachwuchsstellen vom Mittelbau bis zur Tenure-Track-Professur, denn wir brauchen einfach zusätzliche Dauerstellen. Ein solches Programm sollte auf ein Jahrzehnt angelegt werden, damit aktuelle und spätere Nachwuchsgenerationen davon profitieren können.
    Das Ganze wird jetzt blockiert durch die Unbeweglichkeit der Koalition, die streiten sich seit anderthalb Jahren über eine gemeinsame Haltung und deshalb machen wir weiter erheblichen Druck, damit sich die Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses verbessert. Es wäre ein echtes Armutszeugnis und auch unverantwortlich gegenüber jungen Wissenschaftlern, wenn die Koalition vor der Sommerpause keinen Gesetzentwurf mehr zustande bringen würde. Also wenn die immer sagen, der Koalitionsvertrag muss umgesetzt werden, dann müssen sie das gerade auch an dieser Stelle, denn es kann nicht sein, dass wir weiter so viele junge Menschen in Kurzzeit- und Kettenverträgen in der Wissenschaft haben. Und ich finde, wir brauchen jetzt eine Dekade für den wissenschaftlichen Nachwuchs, denn die sind bei den Pakten der großen Koalition nicht anständig mitgedacht und adressiert worden und deshalb braucht man jetzt hier endlich einen Durchbruch und eben zusätzliche feste Nachwuchsstellen.
    Maleike: Der ist ja auch angekündigt, sozusagen als neben der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes eben der Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs, mit dem sollten schon ab 2017 für zehn Jahre ungefähr eine Milliarde Euro in eben die Verbesserung der Karrierechancen fließen. Hören wir aus Ihren Äußerungen, dass das jetzt auch noch mal wacklig ist? Das war doch eigentlich Konsens, oder?
    Gehring: Das Problem ist, dass wir uns bei der Koalition immer nur auf dem Level von Ankündigungen bewegen. Das Ganze muss ja ins Parlament, in den Bundestag, der Haushaltsgesetzgeber ist hier gefragt, es muss mit den Ländern diskutiert und sich verabredet werden, und mir bleibt das alles schleierhaft, was Frau Wanka jetzt eigentlich wirklich will und ab wann es im Gesetzesblatt stehen soll. Und wir haben viel zu viel Zeit schon darüber verloren über die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes zu diskutieren, da sind jetzt viele Worte gewechselt. Wir werden sicherlich in der Anhörung heute auch noch mal weitergehen, darauf Vorschläge hören und dann muss den Worten aber endlich Taten folgen und das heißt für mich, es braucht einen Referentenentwurf, es braucht einen Gesetzentwurf, es braucht einen Kabinettsbeschluss und es muss dann eben entlang der konkreten gesetzlichen Veränderung der Koalitionspartner eine Debatte im Deutschen Bundestag geben. Bisher liegt dem Parlament ein solcher Gesetzentwurf nicht vor, dafür wird es allerhöchste Eisenbahn. Die Zeit zu handeln ist jetzt, damit eben unseren Hochschulen auch als Herzstück des Wissenschaftssystems die kreativen Köpfe nicht verlorengehen.
    Für Gehring ist es höchste Zeit, über einen konkreten Vorschlag der Koalition zu sprechen
    Maleike: Simone Rath, die Hochschulexpertin der SPD, hat angekündigt, dass die Gesetzesnovelle zum Wissenschaftszeitvertragsgesetzes 2016, Anfang 2016 in Kraft treten soll. Ist das für Sie nach den Gesprächen jetzt ein realistischer Starttermin?
    Gehring: Wenn die Koalition zum 1.1.2016 starten will, dann höre ich das als Botschaft gern, aber mir fehlt noch der Glaube, denn das heißt ja, dass so schnell wie möglich, am besten vor der Sommerpause, dann auch ein solcher Gesetzentwurf vorgelegt wird. Wenn ich mir den Grad der Zerstrittenheit der Koalitionspartner bei der Frage Wissenschaftskarrieren so anschaue, dann mache ich mir da weiter große Sorgen, und es wäre den Hochschulen und dem Wissenschaftssystem jetzt nicht besonders zuträglich, wenn man dann erst im Herbst oder im Winter da eine Novelle vorlegt oder fertigstellt und dann innerhalb von weniger Wochen entsprechend diese gesetzlichen Veränderungen auch umgesetzt werden müssen. Deshalb, es wird höchste Zeit, dass wir über einen konkreten Vorschlag der Koalition sprechen können, das sind für mich noch weiter offene Fragen, solange ich da nichts Konkretes vorliegen habe.
    Maleike: Kai Gehring war das, der Hochschulexperte der Bündnisgrünen im Bundestag zu den aktuellen Beratungen in Berlin in Sachen wissenschaftlichen Nachwuchs. Danke schön für das Gespräch!
    Gehring: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.