Archiv

WM 2018
Syrisches Fußballmärchen

Syrien steckt im Krieg, doch die eigene Fußballnationalmannschaft eilt von Sieg zu Sieg. Das bringt Freude und Hoffnung für die geplagte Bevölkerung. Doch nicht alle Syrier hoffen auf die WM-Qualifikation.

Von Tom Mustroph |
    Die Spieler der syrischen Nationalmannschaft jubeln über ein Tor in der WM-Qualifikation. Foto: Zhong Zhenbin/Imaginechina/dpa
    Spieler der syrischen Nationalmannschaft jubeln über ein Tor in der WM-Qualifikation. (dpa / picture alliance / Zhong Zhenbin)
    So feierten syrische Fans den Treffer zum 3:1-Sieg ihres Teams über Katar. Damit hat Syrien gute Aussichten auf die Teilnahme an der WM-Endrunde in Russland. Bei einem Sieg am Dienstag in Teheran ist die Qualifikation für zwei Playoff-Runden sicher. Verliert der aktuelle Gruppenzweite Südkorea, ist das direkte Ticket gelöst.
    "Es ist ein historischer Moment. Vielleicht können wir in zehn, ja in 20 Jahren nicht so etwas erreichen. Aber unter diesen schwierigen Bedingungen haben wir ein solch gutes Ergebnis. Vor dem Krieg hätten wir von einem solchen Erfolg kaum zu träumen gewagt. Deshalb sind wir jetzt einfach nur glücklich", sagt Tarek Al Jabban, Assistenztrainer und langjähriger Kapitän des Teams.
    Teilweise nur 13 Spieler zur Verfügung
    Allein die organisatorischen Schwierigkeiten sind beachtlich. Zum ersten Trainingsspiel eine Woche vor dem Match gegen Katar kamen nur 13 Spieler, die Hälfte davon vom Olympiateam. Die Reisen zu buchen ist schwer. Es fehlt an Geld, auch wegen der Sanktionen.
    Aber wo Sanktionen sind, gibt es immer auch Auswege. In diesem Fall leistet der asiatische Verband Hilfe, erzählt Generalsekretär Dakouri."Sie schicken uns nicht direkt die finanzielle Unterstützung. Aber die AFC bezahlt davon Unterkunft und Flugtickets, auch die Ausrüstung. Das Geld wird von der AFC an diese Unternehmen überwiesen. Ein gewisser Betrag muss auch an Jako gehen."
    Heimspiele in Malaysia
    Jako ist der deutsche Ausrüster der syrischen Nationalmannschaft, die ihre Heimspiele in Malaysia austrägt. Und weil Syrer wegen des Krieges mittlerweile überall auf der Welt zu finden sind, gibt es dort sogar eine echte Fanbasis.
    Die gesamten 90 Minuten über unterstützten etwa 300 Fans im ansonsten komplett leeren Stadion Hang Jebat in Malakka ihre Mannschaft lautstark. Optisch ein Geisterspiel wurde es dank ihnen akustisch zum echten Fußballereignis.
    Flüchtlinge unter den Fans
    Unter den Fans waren Geflüchtete, aber auch Studenten und Geschäftsleute, die unabhängig vom Krieg nach Malaysia kamen. Selbst Frauen und Kinder waren da.
    "Ich bin zum Urlaub in Malaysia, seit zwei Monaten. Jetzt sind wir zum Spiel gekommen. Nächste Woche gehen wir zurück nach Syrien, weil nächsten Monat dort die Schule beginnt", erzählt Marwa, eine Bankangestellte aus Damaskus.
    Spielbetrieb in der syrischen Liga läuft
    Zeichen überraschender Normalität. Auch der Fußball hat sich berappelt. Die syrische Premier League wurde über die kompletten Kriegsjahre ausgetragen, eine Zeitlang nur in Damaskus und Latakia, inzwischen auch wieder in anderen Städten.
    "Wir haben drei Stadien in Damaskus, eines in Hama, eines in Homs, in Latakia haben wir zwei, in Jabla eines, in Aleppo haben wir auch eines. Und die Zuschauer kommen zurück in die Stadien", versichert der Generalsekretär des Verbands.
    Nur Show für das Assad-Regime?
    Nach Europa geflüchtete Gegner der syrischen Regierung halten den wieder besser funktionierenden Fußball allerdings vor allem für eine politische Show.
    "Zu zeigen, dass es da eine Liga gibt, dass da ein Nationalteam spielt und siegt, hilft dem Regime. Sie wollen das Bild vermitteln, es ginge alles gut in Syrien. Wir spielen Fußball, wir haben Spaß. Ich will davon aber kein Teil sein", erzählt Usama.
    Usama war bis 2011 Fans des Klubs Al Karameh in Homs. Die dortige Fanszene war das Herzstück der Ultrabewegung im Lande, mit Gesängen, mit Pyrotechnik.
    "Will nicht, dass das Team an WM teilnimmt"
    So klang der Hexenkessel von Homs einst, wenn er mit 40.000 Mann gefüllt war. Viele Ultras waren dann bei den Demonstrationen aktiv. Dann mussten sie flüchten, wie Usama, der jetzt in Berlin ist. Spiele der heimischen Liga gucken die meisten von ihnen nicht mehr, erzählt Usama. Die der Nationalmannschaft auch nicht.
    "Ich schaue sie mir nicht an. Ich empfinde sie nicht als mein Team. Und ich will nicht, dass sie an der WM-Endrunde teilnehmen. Ich sage das, ohne mich zu schämen. Denn an der WM in Russland teilzunehmen ist ein Sieg für das Regime."
    Bekennende Oppositionelle kehren ins Team zurück
    Einige der Fans in Malaysia versuchten, zwischen dem Team und zwischen der Regierung zu unterscheiden. Die Spieler, manche von ihnen vor einigen Jahren durchaus mit Sympathien für die Opposition, sehen sich als Symbolfiguren für ein geeintes Volk.
    "Darüber rede ich mit Omar Al Soma. Wir wollen, dass alle Syrer wieder zusammenkommen und unser Land aufbauen", sagt Firas Al Khatib, Star und Kapitän der Mannschaft. 2012 bekannte er sich zur Opposition. Vier Jahre spielte er nicht im Nationalteam. Jetzt gab er den entscheidenden Pass für die 1:0-Führung gegen Katar. Der von ihm erwähnte Omar Al Soma ist der zweite prominente Rückkehrer.
    Der tiefe Graben wird wohl bleiben
    Ob es das der Auftakt einer Versöhnung sein kann, ist völlig ungewiss. Die Skepsis bei den Syrern in der europäischen Diaspora ist groß.
    Der Jubel von Melaka bedeutet noch nicht, dass alle Syrer jubeln. Auch das ist eine Folge des Krieges, eine kleine nur. Aber eine, die auf die tiefen Gräben aufmerksam macht, die auch dann da sein werden, wenn der letzte Schuss auf dem Schlachtfeld längst verhallt ist.