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Wolfgang Thierse
"Rechtsextremismus ist auch eine Herausforderung für die Medien"

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hält das NPD-Verbotsfahren vor dem Bundesverfassungsgericht für richtig. Einerseits müsse ein Zeichen gegen Rechtsextremismus gesetzt werden. Andererseits müsse auch die Finanzierung der NPD unterbunden werden, sagte er im Deutschlandfunk.

Wolfgang Thierse im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) spricht am 27.01.2016 auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in München (Bayern).
    Wolfgang Thierse: "Der Rechtsextremismus ist eine Herausforderung für Politik, Zivilgesellschaft und Medien" (dpa / picture-alliance / Andreas Gebert)
    Wenn die Partei nicht verboten würde, wäre das ein Triumph für die Rechten, sagte der SPD-Politiker. Damit würde der Eindruck erweckt, deren Gewaltbereitschaft wäre legal. "Der Rechtsextremismus ist eine Herausforderung für Politik, Zivilgesellschaft und Medien", betonte er. Zugleich bemängelte Thierse, dass die Zivilgesellschaft nicht aktiv genug sei.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Mitgehört hat ein Mann, der den zweiten Anlauf für ein NPD-Verbotsverfahren für sinnvoll hält: der frühere Vizepräsident des Bundestages, der SPD-Politiker Wolfgang Thierse. Guten Morgen.
    Wolfgang Thierse: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Die Republik spricht heute wieder über die NPD. Ist das gut?
    Thierse: Das ist gut, weil man über die Gefahren für die Demokratie sprechen muss. Allerdings nicht nur über die NPD, sondern man muss auch über Pegida, über AfD, über die rechtsextreme Szene insgesamt sprechen.
    Schulz: Ja. Wir haben aber auch die Stimme gehört von dem NPD-Anwalt Peter Richter. Der bedankt sich schon mal für die, so hat er es genannt, "unbezahlbare Wahlwerbung" knapp zwei Wochen vor den Landtagswahlen in drei Bundesländern. Die Gefahr, dass die NPD das einfach als Aufmerksamkeit für sich nutzt, die sehen Sie gar nicht?
    "Beschweigen hat noch nie etwas geholfen"
    Thierse: Wissen Sie, beschweigen hat noch nie etwas geholfen. Das kann man in Sachsen sehen. Da hat die sächsische Landesregierung, die CDU die Gefahr des Neonazismus lange beschwiegen und beschönigt, und wir sehen, welche Ergebnisse das zeitigt.
    Schulz: Aber die Partei, die NPD, die kommt bundesweit im Moment ja auf minimale Zustimmung. Bei der letzten Bundestagswahl waren es, glaube ich, gut ein Prozent. Wenn die Länder jetzt diese Riesen-Kraftanstrengung machen, die es ja ist, was ja auch das erste Verbotsverfahren gezeigt hat, das gescheitert ist, um diese Partei verbieten zu lassen, verkämpfen die sich da nicht auch am falschen Thema?
    Thierse: Ach wissen Sie, das ist ein Argument gegen Verbote generell, wenn man sagt, das Verbot wertet etwas auf, ein Verbot wird sowieso übertreten. Stellen Sie sich vor, das Bundesverfassungsgericht sagt Nein zum Verbot der NPD. Was wäre das? Das wäre geradezu ein Triumph der ganzen rechtsextremen Szene. Es würde den öffentlichen Eindruck erwecken, dass Rassismus, Antisemitismus, Demokratiefeindschaft legal seien. Ich möchte mir das nicht vorstellen, was in einer Situation passiert, wo wir ohnehin erleben, dass auf der rechtsextremen Seite die Aktivitäten, die Menschenfeindschaft, die Gewaltbereitschaft zunimmt. Und wenn dann ein Bundesverfassungsgericht sagt, wir verbieten nichts, dann wird unmittelbar der Eindruck erweckt, das alles sei legal. Ich fände das furchtbar.
    Schulz: Das kann man jetzt fast auch als Argument dafür werten, wofür es jetzt natürlich zu spät ist, dieses Verfahren gar nicht erst anzustrengen. Wie sehen Sie denn die Chancen jetzt, dass ein Verbot kommt?
    "Es gibt Grenzen der Meinungsfreiheit"
    Thierse: Ich bin kein Jurist, ich kann das nicht beurteilen. Ich stecke auch nicht in den Köpfen der Verfassungsrichter. Das eigentliche Motiv war ja und das bleibt ja auch richtig ein doppeltes. Erstens, es müsse ein Zeichen gesetzt werden, der demokratische Staat zeigt, bis hierher und nicht weiter. Es gibt Grenzen der Meinungsfreiheit, auch Menschen der Parteifreiheit. Und das zweite Motiv war, der demokratische Staat sollte nicht auch noch seine Feinde finanzieren. Mich hat als Bundestagspräsident immer geärgert, dass ich nach dem Parteiengesetz für eine legale zugelassene Partei auch noch Geld zur Verfügung zu stellen habe. Das ist absurd, das sollte der demokratische Staat sich nicht bieten lassen.
    Schulz: Die NPD war und ist am stärksten ja in Ostdeutschland. In Mecklenburg-Vorpommern ist sie jetzt auch immer noch vertreten im Landesparlament, im Landtag. Warum ist das so?
    Thierse: Es gibt viele Gründe dafür, dass in Ostdeutschland ein Teil der Bürger gefährdet sind durch die Angebote der einfachen radikalen Botschaften. Je größer die Angst vor einem Problemberg ist, je größer die soziale, ökonomische Unsicherheit, umso empfänglicher werden Menschen für die einfachen radikalen Botschaften. Und man muss auch sich daran erinnern, dass die rechtsextremistischen Ideologen der NPD und anderer Formationen sich ausdrücklich Ostdeutschland als Betätigungsfeld ausgesucht haben in der sicheren Erwartung, dort könnten sie erfolgreicher sein als in der alten Bundesrepublik mit ihren demokratischen Erfahrungen.
    Schulz: Aber warum haben die etablierten Parteien nach wie vor keine plausiblen Antworten?
    "Rechtsextremismus ist eine Herausforderung für die Zivilgesellschaft"
    Thierse: Sie haben plausible Antworten. Aber wenn in einem Teil Deutschlands die Zahl derer, die sich demokratisch engagieren, ihre Haut zum Markte tragen, die sich in den mühseligen Alltag der demokratischen Politik begeben, zu gering ist, die Zivilgesellschaft also nicht aktiv genug gewesen ist, dann ist das das Problem. Deswegen ist der Rechtsextremismus, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit eine Herausforderung von Politik und Staat, aber mindestens so groß eine Herausforderung für die Zivilgesellschaft, die Medien eingeschlossen.
    Schulz: Warum wird die AfD jetzt stark?
    Thierse: Aus denselben Gründen. Die Angst vor den Ausländern, vor Ausländern, vor Überfremdung ist offensichtlich da besonders groß, wo die Zahl der Ausländer geringer ist und die Erfahrung im alltäglichen Umgang mit zu uns kommenden auch geringer ist. Denn man lernt durch Erfahrung, durch gemeinsames Leben und baut Vorurteile und Ängste dadurch ab.
    Schulz: Der frühere Vizepräsident des Bundestages, der Sozialdemokrat Wolfgang Thierse heute Morgen hier bei uns in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Danke Ihnen ganz herzlich.
    Thierse: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.