Im Wolfsburger Stadtteil Laagberg rollen schwere Laster, Bagger heben Baugruben aus, Gehwegplatten werden verlegt. Nur ein kleiner Bereich der etwa zwei Fußballfelder großen Fläche ist eingezäunt – hier sind Teile des Bodens mit dicker schwarzer Kunststofffolie abgedeckt, darunter zeichnen sich die Reste alter Zementfundamente ab, die letzten Spuren des Außenlagers Laagberg des KZ Neuengamme.
"Links von den Barackenresten befand sich eine weitere Baracke, und dann noch drei weitere bis hinunter zu der Tankstelle, die man ganz klein im Hintergrund sieht. Und wir stehen genau an dem Platz, an dem auch der Appellplatz und von der Seite der Eingang zu dem Lagergelände war."
Rund 800 KZ-Häftlinge im Lager Laagberg während des Zweiten Weltkriegs
Mechtild Hartung von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) hält nichts davon, die Überreste der Baracken auszugraben und an anderer Stelle gemeinsam mit einem Dokumentations- und Bildungszentrum zum Lager Laagberg wieder aufzubauen. Rein physisch gehe es zwar tatsächlich nur um schlecht erhaltene Reste von Zementfundamenten:
"Aber wenn man weiß, was an eben diesem Ort geschehen ist, dann kann man nicht sagen: ‘Das sind irgendwelche Betonfundamente, die kann man entweder wegbaggern, damit da eine Tiefgarage gebaut werden kann.’ Man kann sie meiner Meinung nach auch nicht an einen anderen Ort versetzen."
Rund 800 KZ-Häftlinge hatten im Lager Laagberg während des Zweiten Weltkriegs unter erbärmlichen Zuständen für das damalige Werk des KdF-Wagens geschuftet – Überlebende haben vor allem den Appellplatz bei der gerade freigelegten Baracke als einen der schlimmsten Orte des Lagers in Erinnerung, erzählt Mechthild Hartung.
"Es gibt Berichte, in denen Überlebende gesagt haben, dass sie tote Häftlinge zwischen sich aufrecht halten mussten, so lange, bis sie mehrmals gezählt waren und die ursprüngliche Zahl ‘stimmte’ in Anführungsstrichen, dass eben man wusste, keiner ist entflohen."
Und weil eben der Fundort der "authentische" geschichtliche Ort der Erinnerung sei, dürfe man die Fundamente nicht einfach verlegen, so Mechthild Hartung. Wolfsburgs Stadtbaurat Kai-Uwe Hirschheide hält dagegen: Es sei so gut wie unmöglich, die Fundamente vor Ort zu erhalten, erläutert er.
"Wenn sie jetzt freigelegt werden, müssen sie dezidiert geschützt werden, man kann sie so freiliegend nicht behalten, die müssen einen Schutz bekommen, weil die würden verwittern und die Gedenkstätte, die man sich vielleicht wünschen würde, oder auch die Anschauungsstätte wäre dann da nicht vorhanden."
Es sei also notwendig – und auch durchaus nicht unüblich, die Fundamente zu verlagern, betont die Leiterin des Instituts für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation der Stadt Wolfsburg, Anita Placenti-Grau. Auch im Konzentrationslager Neuengamme zum Beispiel stehe eine Baracke, die aus einem Industriegebiet auf das ehemalige Lagergelände gebracht worden sei. Und in Wolfsburg wolle man schließlich innerhalb der Grenzen des ehemaligen Lagers, also am historischen Ort bleiben.
"Wir haben einen Ort anvisiert, an dem genau die gleiche Baracke quasi stand, da stand auch ein Wachturm. Wir hätten da auch noch mal die Möglichkeit, das Ganze - authentisch ist immer ein schwieriger Begriff - aber wir könnten da dieses Thema ordentlicher aufarbeiten mit sehr, sehr viel Freiraum, und wir könnten da diese Bereiche Forschung, politische Bildung, historische Aufklärung ganz toll verbinden in Form einer Gedenk- und Bildungsstätte."
Ein Konzept für eine Erinnerungs- und Bildungsstätte muss erst noch erarbeitet werden
Eine Gedenk- und Bildungsstätte zwischen einer Tankstelle und einem Lidl-Parkplatz – Manfred Grieger findet das reichlich befremdlich. Man mache es sich damit etwas zu bequem, kritisiert der ehemalige Chef-Historiker des VW-Konzerns die Pläne der Stadt.
"Eine groß angelegte Gedenk- und Erinnerungsstätte und Bildungsstätte zu etablieren als Ersatz für eine ortsbezogene Erinnerung erscheint mir denkwürdig gegenwartsbezogen. Das darf man sicherlich moralisch machen – es zeigt nur, dass man sich selbst meint und nicht die Betroffenen, die an diesen Orten mal sozusagen mit dieser Baracke verbunden waren."
Die Diskussion über den Umgang mit den Zeugnissen des KZ-Außenlagers Laagberg steht in Wolfsburg noch am Anfang. Ein Konzept für eine Erinnerungs- und Bildungsstätte muss erst noch erarbeitet werden und auch über den Umgang mit den Fundamenten der KZ-Baracke muss der Rat der Stadt im Juni noch beraten und beschließen - vielleicht ja doch zugunsten eines Erhalts am Fundort, der authentisch Zeugnis ablegen kann über die Opfer der Nazi-Herrschaft in Wolfsburg, hofft Mechthild Hartung.
"Wir haben eine große Spur der Täterseite – das ist das Volkswagenwerk und die Porschestraße zum Beispiel, aber KZ-Häftlinge haben – außer einem Erinnerungsstein – keine authentischen Zeugnisse ihres Leidens hier."