Archiv

Women20-Gipfel in Berlin
"Überall verdienen Frauen weniger als Männer"

"Frauen müssen konsequenter in den Arbeitsmarkt integriert werden", das forderte Christina Boll vom Hamburger Weltwirtschaftsinstitut im DLF. Anlässlich des Women20-Gipfels, bei dem sich ab morgen Wirtschaftsexpertinnen und Unternehmerinnen aus allen G20 Staaten in Berlin treffen, sagte Boll: Vor allem in Führungspositionen sei die Entwicklung sehr langsam. In Deutschland liege der Frauenanteil in den Unternehmensvorständen gerade mal bei 6,5 Prozent.

Christina Boll im Gespräch mit Britta Fecke |
    Symbolbild Frauen in Führungspositionen
    Britta Fecke: Zwei Zahlen belegen gut, wie es um Chancengleichheit und Lohngerechtigkeit in Deutschland steht: Zwischen Männern und Frauen klafft noch immer eine Lohnlücke von 21 Prozent. Über ihr gesamtes Erwerbsleben gemittelt verdienen Frauen in dieser parlamentarischen Demokratie 50 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen, und für diese enorme Differenz ist nicht allein der schwierige Spagat zwischen Beruf und Kindern, die familienbedingte Auszeit, verantwortlich.
    Ab morgen treffen sich rund 200 Wirtschaftsexpertinnen, Unternehmerinnen aus allen G-20-Staaten in Berlin zum W-20-Gipfel – zum Women 20, an dem auch Angela Merkel und Ivanka Trump teilnehmen werden. Die gleichberechtigte Teilhabe und die wirtschaftliche Stärkung von Frauen sind die erklärten Ziele dieses exklusiven Gipfels. Christina Boll, Forschungsdirektorin am Hamburger Weltwirtschaftsinstitut HWWI hat sich auch in ihrer Promotionsarbeit mit den Gründen für Lohneinbußen der Frauen beschäftigt. Von ihr wollte ich wissen, ob geschlechtsbedingte Einkommensunterschiede nur in bestimmten Berufen auftreten oder ein allgemeines Phänomen sind.
    "Überall verdienen die Frauen weniger als die Männer"
    Christina Boll: Es gibt in allen Berufen Einkommensunterschiede. Wir haben gerade in einer Studie gezeigt, dass aber durchaus auch über den Lebensverlauf hinweg, wenn wir also die Erwerbsbiografie uns anschauen bis zur Rente, es Berufe gibt, wo die Lücke noch größer ist in den angesammelten Lebenseinkommen als in anderen. Zum Beispiel ist sie in Verkaufsberufen größer als beispielsweise in sozial-pflegerischen Berufen oder in nichtakademischen Medizinberufen. Also es gibt da durchaus Unterschiede, aber überall verdienen die Frauen weniger als die Männer.
    Fecke: Einen Grund haben Sie ja schon angeschnitten: die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Was sind andere Gründe?
    Boll: Also wir haben in der Tat noch immer das Problem, dass wir gerade im Ganztagsbereich hinterherhinken, auch im europäischen Vergleich. Wir haben aber natürlich auch immer zu bedenken, dass die Geschlechterrollen eine wichtige Rolle spielen. Wenn Sie sich überlegen, dass 2014 noch 60 Prozent der Deutschen der Meinung waren, dass das Familienleben leidet, wenn die Mutter eine Vollzeitstelle hat, dann kann man sich vorstellen, dass das natürlich eine Bremse ist, die auch eine ausführlichere, intensivere Erwerbstätigkeit von Frauen behindert. Auch da gibt es durchaus Länder, insbesondere die nordeuropäischen Länder, die das etwas lockerer sehen, die vielleicht auch einfach eine längere Tradition schon von höherer Einbindung von Frauen in den Arbeitsmarkt haben und sehen, das klappt wunderbar. Also das Thema Geschlechterrollen ist ein wichtiger, weiterer Punkt, und schließlich kann man auch immer noch den Haushaltskontext ansprechen:
    In Deutschland ist es nach wie vor so – das sehen wir an der Zeitverwendungsstudie 2012, 2013 –, dass Frauen am Tag 165 Minuten mehr Zeit mit Haushalt und Familie verbringen als Männer, und das gilt in Paaren mit Kindern, aber auch in Paaren ohne Kinder sind es 67 Minuten. Also das ist mehr als eine Stunde, und da hat sich auch in den letzten zehn Jahren relativ wenig getan. Für alle Paare ist dieser Gap, dieser Gendergap, in der Zeitverwendung auf Haushalt und Familie gerade mal um 18 Minuten gesunken. Das war 2001, 2002 bis eben jetzt 2012, 13. Also da tut sich auch nur ganz langsam was, und solange das so ist und Frauen da eben einfach den Löwenanteil stemmen müssen, sind sie natürlich auch auf dem Arbeitsmarkt weniger aktiv.
    "Frauen arbeiten in Deutschland zunehmend Teilzeit"
    Fecke: Sie haben gerade den europäischen Vergleich angesprochen: Wo steht Deutschland denn da?
    Boll: Dafür kann man verschiedene Indikatoren ansetzen. Wenn wir uns die Erwerbstätigenquote oder die Erwerbsquote auch anschauen: In beiden Quoten sehen wir deutliche Fortschritte in Deutschland über die letzten Jahre, was natürlich auch die Position Deutschlands im europäischen Vergleich verbessert hat. Bei der Erwerbsquote liegen die deutschen Frauen inzwischen auf Platz 5 im Jahr 2015 mit 73 Prozent, bei der Erwerbstätigenquote auf dem dritten Platz sogar mit 70 Prozent hinter Schweden und Dänemark. Also da haben wir in den letzten Jahren sehr gut aufgeholt, aber wenn wir uns zum Beispiel die Teilzeitquote anschauen, dann sehen wir, dass Frauen in Deutschland eben zunehmend Teilzeit arbeiten und auch die Wochenarbeitszeit in Teilzeit noch mal über die Zeit rückläufig war. Wir sind da inzwischen bei unter 20 Stunden, die teilzeitbeschäftigte Frauen in der Woche arbeiten, wenn sie eben teilzeitbeschäftigt sind, und das führt natürlich dazu, dass Frauen trotz der gestiegenen Zahl an Köpfen, die erwerbstätig sind, nach wie vor eben, was das Arbeitsvolumen angeht, eine größere Rolle spielen können als sie derzeit spielen, und im europäischen Vergleich ist es auch so, dass wir da auf dem dritten Platz liegen bei der Teilzeitquote, hinter den Niederlanden und Österreich. Also da sind wir schon sehr, sehr weit oben, und gerade in Osteuropa beispielsweise ist es eigentlich gar kein Thema, das Thema Teilzeit. Das ist wirklich ein westeuropäisches Thema, und Deutschland ist da sehr weit vorne.
    Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtiger als das Gehalt
    Fecke: Aber selbst wenn Männer und Frauen die exakt gleiche Berufsbiografie haben und auch nicht aussetzen aufgrund von Kindern oder der Pflege von Eltern oder Angehörigen, selbst dann haben Frauen ein deutlich geringeres Einkommen. Woran liegt das?
    Boll: Das liegt an den schon angesprochenen Geschlechterrollen sicherlich. Das liegt an mehreren Gründen, auch daran, dass Frauen möglicherweise noch immer schlechter verhandeln, für sich eben einfach auch nicht das Maximum rausholen, weil ihnen andere Dinge im Job wichtiger sind. Auch da gibt es Studien, die das belegen, dass Frauen Selbst-Identifikation mit Im-Job-anderen-helfen, letztlich auch ein hohes Berufsprestige, wichtiger nehmen, und vor allem auch das Thema Flexibilität und Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das sind Attribute des Jobs, die Frauen sehr hochhängen, die Frauen sehr wichtig sind, und eben, wie man oft sieht, auch wichtiger als das Gehalt, und bei Männern ist die Reihenfolge eben eine etwas andere, auch, was Macht angeht. Das spiegelt sich natürlich dann auch in den Gehältern. Das ist eine Erklärung von vielen möglichen, aber, wie gesagt, man muss immer dazusagen, die Statistiken liefern auch nicht immer das vollständige Bild, weil einfach nicht alles an Unterschieden zwischen Frauen und Männern auch statistisch beobachtbar ist.
    Rollenverständnis ändere sich zunehmend bei Frauen und Männern
    Fecke: Schlägt da nicht auch wieder die Geschlechterrolle bei den Gehaltsverhandlungen ins Minus? Ich bin mir nicht sicher, ob es für Frauen, die viel fordern, nicht eher als dreist ausgelegt wird und als frech und bei Männern als ganz normal, wenn sie ihrem Chef – meist ist der ja doch noch männlich – ihre Gehaltsvorstellungen präsentieren.
    Boll: Ja, das ist sicherlich ein wichtiger Punkt. Also diese Geschlechterrollen sind natürlich sehr verbreitet in der Gesellschaft, und Arbeitgeber sind auch ein Teil der Gesellschaft, und auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind ein Teil der Gesellschaft, das heißt, wir alle werden natürlich geleitet davon, wo wir unsere Rolle sehen, wo wir unsere Funktionen sehen in der Gesellschaft und auch in der Familie. Die Ernährerrolle von Männern ist sicherlich ein Thema, die Männern bei Gehaltsverhandlungen zugutekommt. Auch da tut sich allerdings etwas in den jüngeren Generationen. Wir sehen, dass Frauen zunehmend auch selbstbewusst auftreten, dass sie ihre Rolle auch anders verstehen und dass übrigens auch Männer ihre Rolle anders verstehen und sagen, wir wollen auch mehr für Familie da sein, Job ist nicht alles.
    "Es geht sehr, sehr langsam voran"
    Fecke: Sie haben bei einer Untersuchung herausgefunden, dass bei höher gebildeten Frauen die Nachteile bei den Gehaltsunterschieden noch größer sind. Warum gerade bei den Akademikerinnen?
    Boll: Das hängt auch damit zusammen, dass wir da natürlich uns häufiger im außertariflichen Bereich bewegen, wo einfach mehr Verhandlungsspielraum ist. Das ist sicherlich ein Punkt, und dann ist es natürlich auch so, dass Führungspositionen immer noch sehr viel häufiger von Männern bekleidet werden als von Frauen. Wir haben, trotz der Quote in den Aufsichtsräten von 30 Prozent, jetzt zwar diese 30 Prozent fast erreicht mit 27 Prozent, wo wir 2016 standen – Frauenanteile in den Aufsichtsräten –, aber in den Vorständen haben wir nach wie vor eine sehr, sehr geringe Quote von 6,5 Prozent gehabt Ende 2016, und wenn Sie in die Unternehmen reinschauen, auf die Abteilungsleitungsebenen, dann ist es da nicht sehr viel besser. Da kommen wir gerade bei der ersten Ebene sehr langsam auch nur voran. Es tut sich was, es ist nicht so, dass sich gar nichts tut, aber es geht sehr, sehr langsam voran. Wir sind da wirklich sehr schneckenhaft unterwegs, und der beschäftigte Anteil der Frauen, der spiegelt sich noch lange nicht in dem Anteil der Frauen an den Führungspositionen auf den verschiedenen Ebenen, und solange das so ist, und das ist natürlich auch gerade unter Akademikerinnen und Akademikern ein Thema, die für Führungspositionen natürlich auch noch mal mehr qualifiziert sind und diese öfter bekleiden, solange schlägt sich das natürlich auch im Gehaltsnachteil nieder.
    "Lücke zwischen den Erwerbsquoten von Frauen und Männern zu schließen"
    Fecke: Nach der Finanzkrise hieß es, dass die Eurokrise, die Finanzkrise auch ein Produkt des männlichen Führungsstils, der Risikofreude der Männer sei, und das war eigentlich der Ruf recht laut nach mehr Frauen in Führungspositionen. Ist dieser Ruf jetzt wieder verhallt im Nichts?
    Boll: Ich würde nicht sagen, dass der verhallt ist. Ich halte allerdings nichts davon, nach Krisen insbesondere nach den Frauen zu rufen und in Abwesenheit von Krisen das Thema Frauen dann wieder eher zu begraben. Ich denke, das ist ein Dauerthema, das ist auch ein strukturelles Thema und hat eigentlich auch andere Gründe, weshalb wir die Frauen integrieren müssen. Das hat mit dem demografischen Wandel zu tun, das ist kein Krisenphänomen, das mal kommt und wieder verschwindet, sondern das ist eine absehbare Entwicklung, und wir alle wissen da eigentlich ziemlich genau, was auf uns zukommt.
    Es gibt schöne Studien, die zeigen, dass der Rückgang der Erwerbspersonen – zum Beispiel eine Studie von der OECD –, dass der Rückgang der Erwerbspersonen in Deutschland deutlich abgemildert werden kann, wenn wir es schaffen, die Lücke zwischen den Erwerbsquoten der Frauen und der Männer stärker zu schließen. Das sind einfach Notwendigkeiten, denen wir uns stellen müssen. Ein anderes Thema ist die Fachkräfteknappheit, wo wir einfach wissen, wir haben 2,95 Millionen Frauen 2014 gehabt, die wir nicht genutzt haben am Arbeitsmarkt, ein Großteil darunter in Teilzeitbeschäftigung mit einem Wunsch der Aufstockung der Wochenarbeitszeit. Also wir haben jede Menge ungenutzte Potenziale. Das hat was mit Wettbewerbsfähigkeit und Wachstumschancen auch zu tun, die uns permanent entgehen, und schließlich auch das Thema Altersarmut, Rentenlücke. Auch das ist natürlich eine Herausforderung, die danach verlangt, dass wir die Frauen einfach besser integrieren. Wir müssen unseren Talentpool da besser nutzen, und unabhängig von Krisen, die kommen und gehen, sind das die strukturellen Herausforderungen, die danach verlangen, dass wir die Frauen intensiver am Arbeitsmarkt nutzen.
    Lohnlücke in Ostdeutschland deutlich geringer als in Westdeutschland
    Fecke: Warum sind denn in sozialistischen oder postsozialistischen Ländern Frauen gleichberechtigter, also mehr erwerbstätig und auch häufiger in Führungspositionen?
    Boll: Ja, das liegt einfach auch dort an der Geschichte, also an der Tradition, wie es eben gehandhabt wurde. In sozialistischen Systemen waren Frauen eben einfach Bestandteil des Produktionsapparates genauso wie Männer. Die sind nach der Geburt, ganz ohne, dass es da große Diskussionen gab, sehr schnell wieder zurück in die Arbeit auch beordert worden, und der Staat hatte dafür gesorgt, dass sie das konnten, mit entsprechender Kinderbetreuung auch ganztags. Darüber kann man natürlich lange diskutieren, auch über die Qualität, die diese Betreuung zum Teil hatte, und ob das so sinnvoll war, aber Fakt ist auf jeden Fall, dass damit eine sehr viel intensivere Beteiligung von Frauen am Erwerbsleben einherging über viele Jahre, und das sehen Sie heute in Ostdeutschland noch, dass wir dort noch andere Geschlechterrollen haben, die eher sich mit Werten auch vergleichen lassen, auch das Verhalten, was die Vollzeitquote angeht, beispielsweise vergleichen lassen mit mittel- und osteuropäischen Ländern als es mit Westdeutschland vergleichbar ist.
    Also es sind einfach andere geschichtliche Wurzeln, die sehr, sehr lange nachwirken und in dem Fall den Frauen insofern auch zugutekommen, als dass wir in Ostdeutschland einen sehr viel geringeren Gap bei den Einkommen haben. Wir haben in Ostdeutschland eine Lohnlücke von acht Prozent. In Westdeutschland beträgt sie 23.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.