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Youtuber interviewen Merkel
Legitim, aber eben auch ein wenig albern

Von vier Youtubern hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel interviewen lassen. Glaubt irgendjemand ernsthaft, der Weg über diese YouTube-Sternchen werde irgendeinen Jugendlichen nachhaltig für Politik interessieren, fragt Stefan Koldehoff. Es sei heute nicht darum gegangen, Wähler zu gewinnen, sondern um Aufmerksamkeit.

Von Stefan Koldehoff |
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht am 16.08.2017 in Berlin mit YouTubern zusammen, nachdem sie in einem Livestream interviewt wurde. L-r.: Lisa Sophie, Mirko Drotschmann, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Moderatorin Lisa Ruhfus und Alexander Böhm.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (3.v.l.), Moderatorin Lisa Ruhfus (2.v.r.) und die vier Interviewer: Lisa Sophie (l.), Mirko Drotschmann (2.v.l.), Ischtar Isik (3.v.r.) und Alexander Böhm (r.) (dpa / Wolfgang Kumm)
    Na klar, kann man machen. Muss man als Politikerin im Wahlkampf wahrscheinlich sogar - schließlich erreichen die Damen und Herren, denen die Bundeskanzlerin heute eine Stunde ihrer Zeit geschenkt hat, zusammen rund drei Millionen Menschen. Und das ist eine Menge: Dafür müssten die Wahlkampfhelfer der CDU viele Luftballons aufpusten.
    Der andere Effekt: Dieselbe Kanzlerin, die noch vor der letzten Bundestagswahl ganz unbedarft ihr Nichtwissen in Sachen Internet bekannt hat: Sie konnte sich heute einem jungen Publikum als Medienkanzlerin präsentieren. Zwar nicht als hip, aber immerhin ist das Internet jetzt auch für sie kein "Neuland" mehr. Also: Es geht um Wahlkampf. Und es ist durchaus legitim, dass sich Angela Merkel dafür andere als die Wege sucht, die es bisher gegeben hat.
    Steuergesetze statt Schnittchen?
    Aber eben auch ein wenig albern. Oder glaubt irgend jemand ernsthaft, der Weg über diese YouTube-Sternchen werde irgendeinen Jugendlichen nachhaltig für Politik interessieren? Auf Kanälen, auf denen die beteiligte Lifestyle-Bloggerin Ischtar Isik in einem sechs Minuten langen Video unter anderem erklärt, dass man hartgekochte Eier prima auf eine Scheibe Toastbrot schneiden und anschließend sogar noch Salz darüber streuen kann. Oder ihre Kollegin mit dem Netznamen "ItsColeslaw" unter anderem über "Peinliche Situationen in der Fahrschule" berichtet?
    Deren Follower sollen sich nun also tatsächlich für Dieselemissionen, Nordkorea und Steuergesetze interessieren - weil die Kanzlerin sich bei ihnen und zwei weiteren Selfmade-Stars jeweils zehn Minuten lang die Ehre gab?
    Und Merkels Lieblings-Emoij?
    Welches denn ihr Lieblings-Emoij sei, lautete eine Frage. Welchen Spruch sie auf ein T-Shirt drucken würde. Das sei ihr erstes Interview gewesen, erzählte Ischtar Isik zum Ende ihrer zehn Minuten. "Was machen Sie denn sonst so?" fragte Angela Merkel einigermaßen perplex. "Nur Selbstdarstellung?"
    Viele Fragen zeigten ernsthaftes Bemühen, viele zeigen aber auch, dass diese Welt der Influencer und Foodblogger und Prankster völlig unpolitisch geblieben ist und wenig Wissen vorhanden war: Die Schulpolitik zum Beispiel, um die es minutenlang ging, ist eben nicht Sache der Bundeskanzlerin, sondern der Länder.
    Aufmerksamkeit als Ziel
    Bei YouTube geht es vor allem um Spaß und Unterhaltung und Konsum. In dieser Welt kann man - selbst als Kanzlerin - vielleicht ein paar Minuten Aufmerksamkeit neben Kosmetiktipps, dem neuen Video von "Kettcar" oder den "Zehn blödesten Filmfehlern" gewinnen - auf keinen Fall aber Wähler.
    Darum ist es aber wohl auch nie ernsthaft gegangen. Dass ein Interview mit Angela Merkel auf YouTube-Kanälen ungefähr dieselbe Nachhaltigkeit hat wie eine Wagner-Übertragung aus der Metropolitan Opera auf RTL II, weiß man auch im Kanzleramt. Es ging heute um Aufmerksamkeit allein durch das Besondere der Aktion.
    Seriöse Medien in der Warteschlange
    "Jedesmal, wenn Frau Merkel mit einem YouTuber spricht, stirbt ein echter Journalist", hat ein Kollege auf Twitter geschrieben. Und da ist etwas dran. Während nämlich viele seriöse Medien mit journalistischem Anspruch manchmal Jahre auf ein Interview mit der Kanzlerin warten müssen, stellt die sich einer Unterhaltungsplattform zur Verfügung.
    Die "Ehe für alle" hatte sie via "Brigitte" kommuniziert, die Forderung nach dem Ende von Verbrennungsmotoren über die "SuperIllu". Wenn aber selbst die Kanzlerin nun dazu übergeht, den politischen Diskurs - der neben dem Parlament bislang aus gutem Grund auch über seriöse Medien und informierte Journalisten stattfand - in Richtung Unterhaltung zu verschieben, dann verhält sie sich nicht anders als Wolfgang Bosbach oder Sahra Wagenknecht, die seit langem Talkshows für das Mittel der Wahl halten.
    Keine Vorabbedingungen
    Wie wenig ernst Angela Merkel selbst den Show-Wahlkampf im Internet nimmt, zeigen schon die Vorbedingungen, die sie pikanterweise über ihren Regierungssprecher verhandeln ließ: Es gab keine. Anders als beim kommenden "TV-Duell" mit Martin Schulz: Da bestand die Kanzlerin darauf, dass es nur ein Duell statt zweien geben solle, kein Publikum, vier Fragesteller. Die beteiligten Sender beugten sich, um keine Absage zu riskieren.
    Dann allerdings geht es auch tatsächlich um etwas: Dann stellen echte Journalisten Fragen. Und dann sehen potenzielle Wählerinnen und Wähler zu - und nicht Teenies, die sich nach Toastbroten mit hartgekochten Eiern und Problemen in der Fahrschule eben auch mal eine Stunde von der Frau in den bunten Blazern unterhalten lassen. Die sieht man sonst ja nur im altmodischen Fernsehen.