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Zartes und Krasses

Es gibt diesen Mann. Ich halte ihn für impotent, aber das soll nicht weiter stören. Weil er abends zu wach ist und ich zu müde bin, und er morgens zu müde und ich zu munter, treffen wir uns mittags im Bett. Die Kinder träumen von Mittagsschäfchen und wir tatschen unsere Hintern an, erst hinten, dann vorne. Wir beflüstern uns, da ruft Kind 4, es hat Durst, ich hole Milch aus dem Kühlschrank, wir fangen wieder beim Hintern an, Kind 3 ruft lullern und steht mit der Windel in der Hand neben uns, pullert, ich nehme eine Seidenunterhose zum Aufwischen, trage das Kind auf Zehenspitzen in sein Bett und mich zurück in unser Bett und wir fangen wieder -. Eine Tasse fliegt gegen die Tür, man hört die Milch patschen. Ein Kind hat die Windel voll, es riecht bis ins Schlafzimmer und es riecht nach Durchfall von Kind 5. Kind 2 braucht ein Pflaster, weil seine Oberlippe beim Sprung aus dem Bett Schaden genommen hat.

    Spar deinen Wein nicht auf für morgen, flüstere ich diesem Mann zu, ich will ihm Mut machen, die Mittagsruhe ist gleich vorbei und wir schließen unsere Augen und lassen vor ihnen alles, was weiß ist, vorüberfließen: Weißwein, Löwenzahnmilch, Kefir, Lymphe, Bohremulsion und geschmolzenes Speiseeis.

    "Es gibt diesen Mann" behauptet Anna Kaleri in ihren 60 Geschichten und diese Eingangsformel wirkt wie eine Initialzündung für die kurzen Texte. Und von vielen Männern ist die Rede: Sie bauen Häuser, haben einen Vogel oder ein Loch im Bauch, sie sind Väter, katholisch, sie sind ersetzbar. Einer "verbreitet … einen lasziven Hunger zwischen den Beinen", ein anderer will nicht küssen. Aber alle Männer werden belebt und angetrieben vom Blick der Ich-Erzählerin. Und die sieht genau hin. Mal analytisch, mal verträumt oder ins Phantastische überzeichnet. Auf einmal verliert sich das Komplexe an Beziehungen und der groteske Schmelz unserer alltäglichen Zwänge und Banalitäten wird sichtbar. Die Komik daran geht nie auf Kosten der Figuren.

    Spielerisch kombiniert Anna Kaleri in den erzählerischen Miniaturen Zartes mit Krassem, amüsant geht es zu, skurril, auch brutal; Körpernähe entpuppt sich als menschlicher Abgrund, während eine surreale Szene sehr erotisch sein kann. Ihr Grundton ist lyrisch. Das bringt Ruhe in die vielen Episoden und bindet die Spitzen und die nicht selten überraschende Dramaturgie. Deutlich ist die Kraft des eigenen Tons zu hören. Und wenn die spürbar ironische Erzählhaltung eine kleine Philosophie durchscheinen lässt, bleiben die Texte dennoch erfrischend leicht; sie klingen gut und nach Lebensfreude, die weiß, dass es schwierig ist.

    Am Ende der inspirierenden Blicke auf das andere Geschlecht gelingt ein Staunen und Schmunzeln über das eigene Spiegelbild - man wird neugierig auf den Roman der jungen Autorin, Absolventin des Leipziger Literaturinstituts, im nächsten Jahr soll er erscheinen.

    Anna Kaleri: Es gibt diesen Mann. Erzählungen
    Luchterhand Literaturverlag, 141 S., EUR 15,-