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Zehn Jahre nach der Elbe-Flut

Solidarität, Spenden und Nachbarschaftshilfe unter anderem daran erinnert sich Georg Milbradt (CDU), der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen beim Thema Elbe-Flut. Hochwasser könnten auch in Zukunft nicht vermieden, die Schäden aber verringert werden.

Georg Milbradt im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Dobovisek: … aber die Kommunikation kann verbessert werden …

    Milbradt: …, dass die Schäden daraus diese Höhe wie damals haben

    Mario Dobovisek: Brücken wurden weggerissen, Straßen unterspült, Häuser überflutet und schwer beschädigt, die Strom- und Telefonversorgung brach teilweise zusammen, ganze Dörfer wurden evakuiert oder waren von der Außenwelt abgeschnitten. 21 Menschenleben forderte die sogenannte Jahrhundertflut 2002 in Sachsen. Mit der Flut brach damals eine unbeschreibliche Welle der Solidarität über die Betroffenen herein, jeder wollte anpacken, mithelfen, spenden. Die Menschen rückten zusammen, um Freunden zum Beispiel Obdach zu gewähren. Am Telefon begrüße ich Sachsens CDU-Ministerpräsidenten Georg Milbradt, guten Morgen, Herr Milbradt!

    Georg Milbradt: Guten Morgen!

    Dobovisek: Auch bei den Milbradts wurde es damals etwas enger, denn der Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz wohnte bei Ihnen. Wie kam es dazu, Herr Milbradt?

    Milbradt: Ja, er war ja auch abgesoffen und deswegen ist er zu uns gekommen. Das war, glaube ich, eine schöne Zeit insoweit, als wir von ihm natürlich immer hautnah mitbekamen, was in seinem Haus passierte. Ich war ja immer unterwegs und wenn wir uns dann trafen, war es dann etwas konkreter.

    Dobovisek: Als die ersten Meldungen von überfluteten Straßen, vor allen Dingen im oberen Erzgebirge, eintrafen: Wann war Ihnen das drohende Ausmaß der Katastrophe klar?

    Milbradt: Am Montagmittag und frühen Nachmittag. Ich bekam Meldungen aus einem Tal in der Nähe von Marienberg im oberen Erzgebirge, wo einige Jahre zuvor schon eine sehr örtlich begrenztes Flutereignis gewesen war, was auch Menschenleben gekostet hatte. Und die Schäden, die mir berichtet wurden, waren ziemlich dieselben, die ich damals selber gesehen hatte. Nur war es jetzt nicht ein kleines Tal, sondern eine … 100 Kilometer vom Vogtland bis in die Sächsische Schweiz. Und damit war klar, dass uns eine größere Katastrophe bevorstand. Ich habe am Montagnachmittag eine Pressekonferenz gemacht in Dresden. Es hat zwar geregnet, die Journalisten sind gekommen, aber die wenigsten haben geglaubt, was passierte. Und dann in der Nacht kam es ja dann in Dresden zur Überschwemmung und am frühen Dienstag dann an den Flussläufen der Mulde zu katastrophenartigen Zuständen, zum Beispiel in Grimma.

    Dobovisek: Auch in Berlin hat man anfangs gezögert. Hat die Bundesregierung die Lage unterschätzt?

    Milbradt: Ja, natürlich. Sie konnte sich das auch nicht vorstellen, das war aber nicht weiter verwunderlich, weil man ja gar nicht die konkreten Informationen hatte und vielleicht auch geglaubt hatte, dass das eine oder andere in der Hektik übertrieben worden ist. Es kam dann sehr schnell Bundesinnenminister Schily, er war selber betroffen durch Schäden, die beim Bundesgrenzschutz, heute Bundespolizei, entstanden waren. Und er hat sehr schnell gemerkt, dass das, was die Bundesregierung zunächst an Hilfe angeboten hat – ein […] Programm auf Kredit –, überhaupt nicht angemessen war. Er hat dann seinem Chef, Schröder, Bundeskanzler, gesagt, er solle kommen, er ist dann am nächsten Tag da gewesen, hat sich die Situation in Grimma angesehen. Dadurch, durch die Bilder, die dann auch um die Welt gingen und in die deutsche Politik hinein, dass man etwas ganz anders machen musste als normalerweise. Man hatte ja ein Hochwasser auch vorher gehabt an der Oder, die Schäden waren aber überhaupt nicht vergleichbar, da hat es sich um ein paar hundert Häuser gehandelt, örtlich sehr begrenzt. Und jetzt war es ja im Grunde genommen der gesamte Elbelauf, nicht nur in Sachsen, sondern später auch in Sachsen-Anhalt und bis Niedersachsen sind ja dann die Schäden entstanden. Die Entscheidung, die damals getroffen worden war, war, eine Steuersenkung, die den Bürgern schon angekündigt war, zu verschieben, und dadurch Geld freizubekommen, was neben den riesigen Spenden, die auch gekommen sind, uns geholfen haben. Aber was man auch hinzufügen muss: Die menschliche Solidarität hat sich ja nicht nur in den Spenden niedergeschlagen und in Notquartieren wie bei mir, sondern vor allen Dingen: Viele, viele Menschen sind gekommen und haben uns geholfen …

    Dobovisek: … geholfen haben ja auch die vielen ehrenamtlichen Einsatzkräfte zum Beispiel vom Technischen Hilfswerk oder den anderen Hilfsorganisationen, auch den Feuerwehren. Ich erinnere mich selbst noch an die Situationen, in denen dringend benötigte Hilfskräfte an einem Ort nicht zur Verfügung standen, dafür aber an einem anderen in Bereitschaft, wie es damals hieß, von den Landräten und Bürgermeistern zurückgehalten wurden. Offenbarte die Elbflut die großen Unzulänglichkeiten des Katastrophenmanagements in Deutschland?

    Milbradt: Ich glaube, das kann man so nicht formulieren. Was sie deutlich gemacht hat, ist, dass der moderne Mensch – das sind nicht nur die Behörden, sondern vor allen Dingen auch die Bürger – einer Illusion erlegen sind, dass sie nämlich meinen, sie hätten mittlerweile so viel Kenntnis über die Natur, dass sie sie beherrschen können und sozusagen jedes Naturereignis auch kontrollieren können. Das ist falsch. Hochwasser kommen immer wieder vor und sie werden auch in Zukunft nicht vermieden werden. Was man vermeiden kann, ist …

    Dobovisek: … aber die Kommunikation kann verbessert werden …

    Milbradt: …, dass die Schäden daraus diese Höhe wie damals haben. Und das hat auch was mit der Lebensweise der Menschen zu tun, dass wir eben in die Täler gegangen sind, dass wir zum Beispiel in den flutgefährdeten Gebieten Öltanks in die Keller getan haben und Ähnliches. Das hat die Sache ja erst richtig zu einer finanziellen und materiellen Katastrophe werden lassen.

    Dobovisek: Jochen Flasbarth, der Präsident des Umweltbundesamtes, kritisiert den unzureichenden Hochwasserschutz. Zu wenige Deiche wurden seit 2002 zurückverlegt, sagt er, es fehlen wichtige Überschwemmungsgebiete und die seien damals auch der Grund für die Schwere der Schäden gewesen, sagt er. Wäre Sachsen heute genau so von der Flut getroffen, wenn sie käme?

    Milbradt: Nein. Ich glaube, das ist auch in dieser Schärfe unzulässig. Man kann nicht beliebig wieder einen Urzustand herstellen. Aber man kann zum Beispiel die Nutzungen in den Flutbereichen verändern. Man muss nicht unbedingt die Keller mit wertvoller Elektronik füllen oder mit Öltanks, das kann schon eine ganze Menge bewirken. Man kann zum Beispiel heute durch Computerprognosen und gute Meldeketten die Bürger früher warnen, das heißt, sie können einen Teil ihrer Habe oder die Unternehmen ihre Maschinen noch retten. Das heißt also, dadurch werden die Schäden geringer. Wenn man im Gebirge Regenrückhaltebecken hat, wird zwar die Flut nicht verhindert, aber verzögert, und vor allen Dingen, der Flutkamm wird reduziert. Das Wasser läuft also über eine längere Zeit ab. Das führt schon dazu, dass man erheblich die Schäden reduzieren kann. Aber man kann nicht wieder einen Urzustand haben wie im Mittelalter oder davor, dass also die Flüsse sich ungedehnt ausdehnen können. Wir sind ein dicht besiedeltes Land, da muss man sicherlich in dem einen oder anderen Fall was tun, das ist auch geschehen. Wir haben Deiche zurückgebaut, aber in Sachsen speziell, vor allen Dingen dort, wo das Gebirge ist, können Sie das ja gar nicht machen. Wenn Sie in der Sächsischen Schweiz sind, da ist nichts zurückzuverlegen, da sind sofort die Berge. Und deswegen, glaube ich, muss man alle Maßnahmen, die möglich sind – von den Verhaltensänderungen über die Meldeketten, über natürliche Ausweichmöglichkeiten für das Wasser, Regenrückhaltebecken, Nutzungsänderungen – zusammen machen und dann wird man ein vernünftiges Ergebnis bekommen.

    Dobovisek: Sie waren auch über zehn Jahre lang Finanzminister in Sachsen. Und während Sie gegen Wasserfluten später kämpften, kämpfen die Politiker in Berlin jetzt momentan gegen Schuldenfluten. Welchen Tipp haben Sie für Angela Merkel, was sollte sie machen?

    Milbradt: Ja, man muss die Ausgaben in der Kontrolle haben. Das ist historisch und auch in Deutschland immer wieder der Fall: Wenn man zu viel ausgibt, wenn man mehr ausgibt als man einnimmt, hat man Schulden und man kommt mit den Einnahmen gar nicht so schnell hoch. Vor allen Dingen: Wenn man die Einnahmen erhöht, wachsen die Begierden auf der Ausgabenseite wieder. Und das heißt Disziplin und ich glaube, …

    Dobovisek: … befindet sie sich auf dem richtigen Weg? …

    Milbradt: … das ist auch mittlerweile begriffen worden, dass man sich da anders verhalten muss als die Jahrzehnte zuvor.

    Dobovisek: Sachsens früherer Ministerpräsident Georg Milbradt über die Elbeflut vor zehn Jahren und die aktuelle Schuldenkrise. Ich danke Ihnen, Herr Milbradt!

    Milbradt: Danke!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.