Archiv

Zeitzeugen-Archiv in Griechenland
Schmerzliche Erinnerungen an die deutsche Okkupation

Vergeltungsmaßnahmen für Partisanenangriffe - das klingt abstrakt. Wenn aber Zeitzeugen ihre Erfahrung während der Zeit der deutschen Okkupation in Griechenland schildern, dann wird Geschichte erlebbar. Im Vorfeld allerdings war viel Überzeugungsarbeit nötig - denn das Online-Archiv wurde von Deutschland mitfinanziert.

Von Christiane Habermalz |
    Efstathios Chaitidis mit seiner Interviewerin Anna Maria Droumpouki
    Efstathios Chaitidis mit seiner Interviewerin Anna Maria Droumpouki (Interview-Archiv "Erinnerungen an die Okkupation in Griechenland")
    Dass Efstathios Chaitidis überlebte, hat er einem letzten Streit zwischen seinem Vater und seiner Oma zu verdanken. Als die Deutschen in sein Dorf Pyrgoi kamen, flehte seine Oma ihren Vater an, das Dorf zu verlassen, denn die Männer wurden immer als erste erschossen. Er wollte aber seine Frau und von seinen fünf Kindern wenigstens einen Jungen und ein Mädchen mitnehmen, doch die Oma wollte sie nicht hergeben, denn sie glaubte nicht, dass den Frauen etwas geschehen würde. Am Ende sagte der Vater: "Dann gib mir wenigsten einen Jungen!" Und griff nach Efstathios' Hand. Seine Großmutter hielt ihn am Fuß fest, doch sein Vater war stärker. Chaitidis erzählt:
    "Wir sind vielleicht einen Kilometer weiter weggegangen. Dann haben die Deutschen auf uns geschossen und es war eine Schlucht, kann man sagen. Und wir sind gerannt, und wurden gerettet. Die übrige Familie, und alle, die ganze Nachbarschaft, haben sie genommen, haben sie ins Dorf geführt, den nächsten Tag haben sie die in eine Kirche eingeschlossen und am zweiten Tag in vier Scheunen gesteckt und dann in Feuer gesetzt. Lebendig."
    Traumatische Erlebnisse eines kleinen Jungen
    Chaitidis war acht Jahre alt. Die Bilder vom Massaker in seinem Dorf, verübt im April 1944 von deutschen Soldaten auf Befehl von SS-Standartenführer Karl Schümers als Vergeltungsmaßnahme für Partisanenangriffe, hat er nie vergessen. Sein Vater, der den Krieg überlebte, wurde 1947 als "Kommunist" (*) erschossen. Er wuchs als Waise auf. So wie Argyris Sfountouris, der mit vier Jahren seine Eltern verlor, als deutsche Soldaten in seinem Heimatdorf Distomo von Haus zu Haus gingen, um die Menschen nach und nach zu erschießen.
    "Vor allem in einem Quartier am unteren Rand wo die Hauptstraße nach der Provinzhauptstadt Livadia führt. Deshalb gab es 32 mit meinem Familiennamen Sfountouris unter den Ermordeten, denn in dieser Gegend wohnten vor allem die Familien Sfountouris."
    Das Massaker von Distomo
    Distomo steht heute für eines der grausamsten Verbrechen der Deutschen in Griechenland. Das Dorf wurde niedergebrannt, 218 Einwohner (**) starben. Allerdings, erzählt er, habe es unter den deutschen Soldaten auch Retter gegeben habe. Das hätten ihm hinterher die Überlebenden, erzählt Argyris Sfountouris.
    "Es gab auch viele, also ich würde sagen 20 oder mehr von diesen 80 oder 88 die das Massaker begangen haben, die Menschen gerettet haben. Das muss man auch sagen. Es haben viele überlebt, weil ein Deutscher oder zwei Deutsche Soldaten ins Haus kamen, haben so gemacht und in die Luft geschossen, die Türe zugemacht und dann gab es Überlebende."
    Zurückhaltung auf griechischer Seite
    Sfountouris und Chaitidis sind zwei von 90 Zeitzeugen, deren Erinnerungen an die deutsche Besatzung in Griechenland nun in einem neuen Online-Archiv festgehalten sind. Das Projekt wurde von der FU Berlin durchgeführt, die schon 2005 das Zeitzeugen-Archiv der Shoah-Foundation von Steven Spielberg nach Deutschland geholt und zugänglich gemacht hatte. Zusammen mit Hagen Fleischer von der Universität Athen war man zu dem Entschluss gekommen, so etwas auch für Griechenland zu machen, erzählt Projektleiter Nicolas Apostolopoulos von der FU Berlin.
    Die Genese war nicht einfach, denn die Vergangenheit ist bis heute Gegenstand von politischem Streit um Reparationszahlungen. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, in der viele Griechen eine Aufrechnung der Schulden mit den nicht gezahlten Entschädigungen für die Massaker des 2. Weltkriegs forderten, hatte es mehrere Jahre gedauert, bis das Auswärtige Amt seine Unterstützung für das Projekt signalisierte. Aber auch die Zeitzeugen hatten zunächst große Bedenken, mitzumachen, erzählt Apostolopoulos:
    "Es ist interessant, dass die griechischen Zeitzeugen durchaus sprechen wollten. Aber sie wollten nicht für ein Projekt sprechen, das von Deutschland finanziert worden ist. Also es war ein Gerücht sozusagen in Griechenland, die Deutschen, wenn Sie so wollen, waschen sich rein indem sie so ein Projekt fördern. Und das haben wir schrittweise auch durch sehr viel Überzeugungsarbeit überwunden"
    Gefördert wird das Projekt nun vom Bundesbildungsministerium, dem Auswärtigen Amt und der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" sowie der griechischen Stavros Niarchos Foundation. Die Video-Interviews sind zweisprachig aufbereitet, sie sollen auch als Unterrichtsmaterial für Schulen in beiden Ländern zur Verfügung gestellt werden. Apostolopolos hofft auf reges Interesse. Denn gerade in Deutschland, sagt er, wisse man viel zu wenig über die eigene dunkle Vergangenheit im beliebten Urlaubsland.
    (*) An dieser Stelle haben wir im Online-Text einen Zusatz entfernt, der unpräzise formuliert war.
    (**) In der ursprünglichen Version des Online-Beitrags und in der Audio-Fassung wurde hier versehentlich eine falsche Zahl genannt.