Archiv

"Zement" am Maxim Gorki Theater
Retro-Revolution für oder gegen Heiner Müller?

Von Karin Fischer | 17.01.2015
    Man könnte viel Gutes über diese Inszenierung sagen: Die kraftvolle Sprache Heiner Müllers ist musikalisch rhythmisiert, von treibenden oder blubbernden Elektro-Klängen untermalt, wirkt wie ein lautmalerisches Poem.
    Die Bühne bietet, auf grauen Stellwänden, Spektakuläres fürs Auge: Bilder und bunte Videos im Retro-Design wie einen Comic im Stil des russischen Futurismus oder einen Engel der Verzweiflung, der schwarz-weiß als Projektion über der letzten Szene thront. Es gibt ein großes Papp-Maschinengewehr und eine riesige Litfaßsäule mit dem russischen Wort "Pläne" - wegen der neuen ökonomischen Politik -, einen Hubschrauber, zumindest akustisch, überhaupt jede Menge akustischer Ironie-Signale.
    Eine überbordende Zeichenhaftigkeit prägt Inszenierung von Sebastian Baumgarten. Es ist laut, lärmend, lustig, voll losgelassener Spielfreude und absurder Komik. Man gibt Heiner Müller ziemlich originalgetreu und hat ein paar andere Müller-Texte eingestreut. Aber: Man hält ihn sich so auch maximal auf Abstand.
    Eine glänzende Idee ist es, die Oberteile, T-Shirts und Hemden der Kommunisten und Arbeiter ihnen auf den Körper nur zu malen, das macht sie schutzlos, bedeutet halbe Nacktheit oder – das wäre auch richtig – nackte Halbheit.
    Denn der Kampf des Sozialismus gegen die Bourgeoisie schlug sehr bald in den Kampf gegen die eigenen Leute um. Wer das mittragen wollte, brauchte ein zwiegespaltenes Bewusstsein. Nach einer Stunde ist auf der Bühne jedenfalls die Farbe und der Lack der Revolution ab von den Körpern, auch wegen der erhitzenden Stepptanzeinlage von Thomas Wodianka, dem Vorsitzenden des Exekutivkomitees; und noch später wirken alle nur noch wie ferngesteuerte Hampelmänner der Revolution, die am Schluss mit dem Geräusch einer Klospülung in die Grube fahren, die sich vor ihnen auftut.
    "Im Namen der Werktätigen fordern wir euch auf, eure Kräfte der Sowjetrepublik zur Verfügung zu stellen."
    Nun stellt sich aber die Frage, was Sebastian Baumgarten mit all dem will. Macht es Spaß, Heiner Müllers "Zement" als Revolutionskitsch zu diffamieren, indem man die Zumutungen des Textes als grelle Show inszeniert? Soll die ganze Revolution in den Orkus der Geschichte befördert werden? Und kann man wirklich als Beweis dafür den Autor selbst zitieren, wie ganz zu Beginn, mit dessen Abstandsnahme zum stalinistischen Terror?
    "Ich konnte mich mit diesem Staat von Anfang an nicht bruchlos identifizieren. Ich konnte mich identifizieren mit dem ideologischen Gegenentwurf zur Nazi-Diktatur, nicht mit dem Terror der sowjetischen Besatzungsmacht, mit dem mein Vater schon als SPD-Mitglied konfrontiert war. Andererseits konnte mir nicht entgehen, dass dieser Terror nicht revolutionär war, sondern bürokratisch, das heißt, blind war; dass er nicht auf Geschichte, das heißt, Zukunft, sondern befangen auf Statistik orientiert."
    Nur die Szenen zwischen Sesede Terziyan als Dascha und ihrem Mann lassen echte Verzweiflung, echte Dringlichkeit erkennen. Peter Jordan spielt Tschumalow, der aus dem russischen Bürgerkrieg 1921 nach Hause kommt.
    - "Unser Heim war mein Gefängnis, ich bin keine Braut mehr."
    - "Bist du noch ein Weib? Soll ich dir zeigen, wozu Gott dich gemacht hat?"
    - "Langsam, Genosse, die Sowjetmacht hat ihn liquidiert, deinen Gott."
    - "Bist du noch meine Frau?!"
    - "Besitzer gibt es nicht mehr."
    – "Ich werde ihn dir zeigen, den Besitzer!"
    Am Ensemble liegt es wirklich nicht, das brennt auch für das Ideenfeuerwerk Sebastian Baumgartens. Nur: Diese Inszenierung ist so geschichtsfern wie sie überdreht ist, und deshalb fahrlässig. Man kann in ihr Heiner Müller nicht finden, nicht das Abarbeiten an der eigenen Geschichte, nicht das Ringen um die Frage nach den Tätern oder Opfern, nicht den Preis, den wirkliche Menschen für diese Revolution gezahlt haben und denen Müller auch ein Denkmal gesetzt hat.
    Die Zumutungen der Geschichte werden comichaft überzeichnet - die Zumutungen der Gegenwart finden gar nicht erst statt. Wie viele gescheiterte Revolutionen haben wir in den vergangenen Jahren nicht in der Welt gesehen? Und wo überall hilft der Westen beim Wiederaufbau nach dem Krieg und kämpft gegen Feinde, die sich dort gegen eine nur vermeintlich kommende bessere Welt stellen? Müller wäre vermutlich sogar anschlussfähig. Baumgarten hat eine, wenn auch kunstvolle, Zirkusnummer aus ihm gemacht.