Es fing mit geschmacklosen Scherzen an in der Klasse von Emilia, die ein Gymnasium in Dresden besucht. Scherze allerdings, über die die 15-Jährige nicht lachen konnte – und die rechtswidrig waren.
"In meiner Klasse wurde es nach und nach zum Trend, das Leute den Hitlergruß zeigen, wenn sie in die Klasse kommen, oder 'Heil Hitler' rufen oder 88 Prozent Handyladung mit einem Hitlergruß unterstreichen und es witzig finden."
"Absurdes Zeug hat er dann gekontert"
Die Zahl 88 ist unter Neonazis eine Chiffre für "Heil Hitler". Emilia war zunehmend unwohl bei der Sache. Als ein Mitschüler in einem Gruppenchat der Klassenkameraden bei Whatsapp antisemitische Bilder postete, hatte sie genug.
"Das schlimmste, was mir jetzt so einfällt, war ein Foto von einer Rauchwolke, unter der 'jüdisches Familienfoto' stand."
Emilia stellte den Mitschüler zur Rede.
"Daraufhin habe ich halt geschrieben: Lass das mal mit dem Nazi-Gehabe, das ist überhaupt nicht witzig. Und daraufhin meinte er sowas wie: 'Hast wohl zu viele tote Juden eingeatmet' oder 'Wander doch nach Polen aus, wenn es Dir hier nicht gefällt'. Also, so ein absurdes Zeug hat er dann gekontert."
Emilia sprach mit ihren Eltern über den Fall und gemeinsam beschlossen sie, den Mitschüler anzuzeigen. Für ihr Eingreifen wurde Emilia nun mit dem Preis für Zivilcourage gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus ausgezeichnet, der gestern zum achten Mal in Berlin vergeben wurde. Er wird vom Förderkreis Denkmal für die Ermordeten Juden Europas gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin vergeben und ist mit 2.000 Euro dotiert. Die Organisationen wollen damit Menschen ehren, die durch ihr öffentliches Engagement beeindruckt haben. Die Vorsitzende des Förderkreises, Lea Rosh, war beeindruckt, als sie von Emilia hörte:
"Dass dieses Mädchen sich dagegen wehrt, als einzige in der Klasse, ziemlich alleine gelassen von den Mitschülern, dann ist sie zur Polizei gegangen, hat den Jungen angezeigt, das ist weiß Gott Zivilcourage."
Die Lehrer reagierten verhalten
Emilia will, um sich zu schützen, ihren Nachnamen und den Namen ihrer Schule nicht nennen. Lea Rosh kritisierte, dass zunehmend von antisemitischen und rassistischen Angriffen und Beleidigungen auf Schulhöfen berichtet werde, und forderte Lehrer und Schulleiter auf, dagegen vehement vorzugehen. Im Fall von Emilia reagierten die aber verhalten, als ihre Eltern sie auf das Vorgehen an der Schule ansprachen, wie Emilias Vater berichtet.
"Wir haben zwei E-Mails geschrieben, die recht gehaltvoll waren und wir haben eine Mail zurückgekriegt, in der es hieß, das Thema werde im Geschichtsunterricht bearbeitet."
Die Eltern hakten noch einmal nach, erhielten darauf aber bis heute keine Antwort. Dass Schulleiter, Lehrer und Polizei nicht entscheiden auf antisemitisches und rechtsradikales Auftreten an Schulen reagierten, komme leider häufig vor, sagte Marina Chernivsky. Sie leitet das Kompetenzzentrum Prävention und Empowerment der Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland. Die Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, Opfer und Zivilgesellschaft im Umgang mit Antisemitismus und Diskriminierung zu beraten.
"Schule ist ein Sozialisationsort, an dem viele verschiedene Menschen aufeinandertreffen, sowohl Jugendliche als auch Erwachsene. Wenn wir feststellen, dass so ein Phänomen wie Antisemitismus in der Gesamtgesellschaft Platz hat, dann können wir die Schule nicht ausnehmen."
Sie stelle fest, dass in vielen Fällen die deutsche Vergangenheit auch heute keineswegs aufgearbeitet sei, sagte Chernivsky. Stattdessen führe sie, wie in diesem Fall, immer wieder zu aggressivem Abwehrverhalten.