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Zu wenig Priester-Nachwuchs
Laien an die Macht

Wie sollen die Bistümer auf den Priestermangel reagieren? Die meisten legen immer mehr Pfarreien zusammen, die dann von einem Priester geleitet werden. Viele sind damit unzufrieden. Neue Wege gehen nun zwei Diözesen: In Osnabrück und München dürfen künftig auch Laien Pfarreien leiten.

Von Michael Hollenbach |
    Mangelware Priester - Diakonweihe in München
    Möglich ist dieses Laien-Modell aufgrund eines Kirchengesetzes von 1983. (imago/Reinhard Kurzendörfer)
    Das Bistum Osnabrück hat das Startsignal gegeben. In den kommenden Monaten sollen die ersten nicht-priesterlichen Pfarrbeauftragten die Leitung von Gemeindeverbünden übernehmen. Daniela Engelhard hat als Leiterin des Seelsorgeamtes das Konzept maßgeblich erarbeitet:
    "In diesem neuen Modell, das das Kirchenrecht ermöglicht, gibt es einen Pfarrbeauftragten, der vor Ort die Leitung wahrnimmt in der Pfarreiengemeinschaft, und der auch die Dienstvorgesetzten-Rolle wahrnimmt für das Personal, aber er nimmt die Rolle wahr mit einem moderierenden Priester, der die Pfarrei begleitet."
    Chefs innerhalb eines Teams - das können auch Frauen sein - sind dann Laien mit einer theologischen Ausbildung wie zum Beispiel Pastoralreferenten oder Gemeindereferenten. Im Prinzip sind sie dann auch die Vorgesetzten des Priesters.
    "Es gibt aber Aufgaben im sakramentalen Bereich oder im gottesdienstlichen Bereich, die dem Priester vorbehalten sind", sagt Engelhard.
    Bewährtes Modell aus Lateinamerika
    Diese moderierenden Priester können pensionierte Pfarrer oder auch Schul- oder Klinikseelsorger sein, können in der Kirchenverwaltung arbeiten und müssen nicht in der Pfarrei wohnen. Möglich ist dieses Modell aufgrund eines Kirchengesetzes von 1983, dem Kanon 517,2. Thomas Schüller, Professor für Kirchenrecht an der Universität Münster:
    "Dahinter stecken konkrete lateinamerikanische Kirchenerfahrungen. Derjenige, der als Kardinal für die Erstellung des Kodex zuständig war, hat aus Venezuela berichtet, dass dort Ordensfrauen und von Bischöfen betraute andere Seelsorge wahrnehmen, wo ein Priester nicht mehr hinkommt. Das habe sich bewährt. Und er hat es geschafft, Papst Johannes Paul II. zu überzeugen, trotz Widerstände in der Kurie diesen Kanon neu in das kirchliche Gesetzbuch aufzunehmen."
    Prof. Dr. Thomas Schüller (Theologe und ehemaliger Berater im Bistum Limburg) in der ARD-Talkshow Anne Will
    "Alle Gläubigen sind gefordert, dass Kirche weiterlebt. Da liegt ein Paradigmenwechsel vor", sagte Kirchenrechtler Thomas Schüller im Dlf. (imago stock&people/Müller-Stauffenberg )
    Mittlerweile gibt es weltweit 3.500 bis 4.000 Pfarreien, die von einem Laien geleitet werden. Die meisten davon in Lateinamerika, Afrika oder auch in Russland. Doch wegen des akuten Priestermangels müssen sich auch die Diözesen in Deutschland überlegen, welchen Weg sie beschreiten wollen:
    "Es gibt zwei Antworten darauf: das eine war in den letzten zwei Jahrzehnten, das man einfach die Zahl der Pfarreien so angepasst hat auf die zukünftig leitungsfähigen Priester", sagt Schüller.
    "Automatismus in Frage stellen"
    Das bedeutet, dass die Pfarreien immer größer werden; ein Pfarrer für immer mehr Mitglieder zuständig ist. So hat beispielsweise das Erzbistum Hamburg die Anzahl von 174 Pfarreien vor 20 Jahren auf demnächst 28 sogenannte "pastorale Räume" reduziert. Dabei muss ein Pfarrer an der Spitze dieses Verbundes stehen. Einen ähnlichen Weg wie das Bistum Osnabrück beschreiten die Münchener.
    "Das heißt konkret, dass wir hier im Erzbistum überlegen, in einer Erprobungsphase auch kollegiale Leitungsmodelle auszuprobieren, also wenn es keinen letztverantwortlichen Priester mehr gibt, dann ein kollegiales Leitungsteam aus Haupt- und Ehrenamtlichen zu bilden. Und damit dafür zu sorgen, dass Kirche vor Ort bleiben kann und wir nicht Strukturfragen immer mehr zum Problem der Gläubigen machen."
    Robert Lappy ist im Erzbistum München zuständig für Strategie- und Organisationsentwicklung. Er betont, man wolle nicht noch mehr Pfarreien zusammenlegen. Darunter leide die Nähe zu den Menschen. Das Besondere an dem Münchener Modell: Man verzichtet auf der Ebene des Pfarreiverbundes auf eine einzelne Leitungsperson:
    Wir sagen jetzt: Wir wollen erproben, ob es nicht auch möglich ist, dass ein Team kollegial gemeinsam Leitungsverantwortung wahrnimmt, ohne dass es in diesem Team einen Letztverantwortlichen gibt", sagt Lappy.
    Diese Entwicklung sei natürlich auch dem Priestermangel geschuldet, räumt Robert Lappy ein. Allerdings: "Es ist auch ein Wechsel in der Sichtweise darauf, welche Kirchenbilder haben wir, welche Leitungsbilder haben wir, und bisher haben wir diese sehr deutliche Zuspitzung zu sagen: Leiten tun Priester. Und das ist so ein Automatismus. De facto muss man diesen Automatismus in Frage stellen."
    Gemischte Reaktionen
    Ab Herbst will man in einer dreijährigen Erprobungsphase nun mit dem neuen Modell Erfahrungen sammeln. Nicht alle Priester sind begeistert von dem neuen Konzept:
    "Das gibt von zustimmenden Reaktionen bis zu sehr skeptischen reservierten und ablehnenden, erlebe ich da alles. Kann man ganz offen sagen, dass wir damit auch ein gängiges Priesterbild in die Diskussion bringen", so Lappy.
    Wie den Münchener legen auch die Osnabrückern besonderen Wert darauf, die Zahl der bislang fusionierten 70 Pfarreien nicht weiter zu reduzieren, betont die Leiterin des Seelsorgeamtes Daniela Engelhard:
    "Es ist uns wichtig, dass wir nahe bei den Menschen bleiben, und das geht unserer Einschätzung nach nur in überschaubaren Räumen. Wir wollen, dass auch Seelsorge weiter möglich ist nahe bei den Menschen, dass Seelsorger auch in einen guten Kontakt zu den Menschen vor Ort stehen können, und in sehr großen Einheiten besteht die Gefahr, dass die Seelsorge sich in der Anonymität auflöst."
    Schon in den 90er-Jahren gab es in einigen deutschen Bistümern Ansätze, zumindest auf Gemeindeebene, Laien die Leitung zu übertragen. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller hat die Erfahrungen im Bistum Limburg wissenschaftlich ausgewertet und Gemeindemitglieder befragt:
    "Ein Satz, der mir sehr einprägsam war: Es ist ein gutes Gefühl, wenn ich seelsorglichen Beistand brauche und ein Licht im Pfarrhaus brennt."
    "Alle Gläubigen sind gefordert, dass Kirche weiterlebt"
    Insgesamt sei die Praxis der Gemeindeleitung durch Laien auf eine hohe Akzeptanz gestoßen. Doch dieser Prozess ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten wieder zurückgedrängt worden. Fast alle Bistümer haben auf die Zusammenlegung von Pfarreien gesetzt. In Osnabrück geht man nun aber einen Schritt weiter als in den 90er-Jahren. Nicht nur die Gemeinde, sondern ganze Pfarreigemeinschaften mit bis zu 8.000 Gemeindemitgliedern und zahlreichen Mitarbeitenden sollen künftig von Laien geleitet werden.
    "Das ist ein weiterer Meilenstein, der auch Rollenveränderungen mit sich bringt und auch für Gemeinden eine Umstellung erfordert", sagt Daniela Engelhard.
    Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller erwartet, dass das Osnabrücker Modell auch in anderen Bistümern Nachahmung finden wird. Denn bei der Ausdehnung der Pfarreien sei die Schmerzgrenze längst erreicht:
    "Die Bischöfe haben in dem Papier 'Gemeinsam Kirche sein' schon deutlich signalisiert: Die Zeit, dass man sich allein auf Kleriker bezieht, die Zeiten sind endgültig vorbei. Alle Gläubigen sind gefordert, dass Kirche weiterlebt. Da liegt ein Paradigmenwechsel vor."