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Zukunft der CDU
"In den nächsten vier Jahren kann sich jeder profilieren"

Günther Oettinger sieht Angela Merkel nach den Koalitionsverhandlungen unverändert stark. Die Kanzlerin habe sich kompromissbereit gezeigt, um Neuwahlen entgegen zu wirken, sagte der CDU-Politiker im Dlf. In den nächsten vier Jahren werde Merkel ihre Nachfolge einleiten: Jeder Minister habe eine Chance.

Günther Oettinger im Gespräch mit Sandra Schulz |
    EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) in einer Gesprächssituation.
    EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU): "Die Kanzlerin sagt indirekt, in vier Jahren kann ein anderer, kann eine andere zeigen, dass sie oder er den Kanzlererwartungen gerecht wird." (imago / Horst Galuschka)
    Sandra Schulz: Die Einigung auf einen Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD steht seit der vergangenen Woche, aber sichtlich zur Ruhe gekommen sind Union und SPD seitdem nicht - vielleicht, wenn man mal von der ja sehr zufrieden wirkenden CSU absieht. Die Sozialdemokraten versuchen, sich zu sortieren nach diesen holprigen Tagen, und bei der CDU ist von einem Brodeln die Rede, seitdem die Verabredung auf einen Koalitionsvertrag steht, seitdem ja klar ist, dass die CDU das Finanzressort an die SPD abgeben wird und das Innenressort an die CSU. Und neben dem Kanzleramt keines der klassischen starken Ministerien an die CDU! Unter anderem zu diesem Grummeln hat sich gestern Abend Angela Merkel im ZDF erklärt, in einem ausführlichen Interview.
    SPD und CDU Ringen um Führung und Zukunft
    Es sind also viele spannende Fragen, die sich da jetzt stellen, und weitere Antworten erhoffen wir uns in den nächsten Minuten von dem Mann, der vor Jahrzehnten zu den jungen Wilden der CDU gehört hat, der Ende der 80er-Jahre bundesweit für Aufsehen gesorgt hat, weil er den Rücktritt des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl gefordert hat, damals als JU-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg - am Telefon ist Günther Oettinger, CDU, heute Haushaltskommissar in Brüssel. Schönen guten Morgen!
    Günther Oettinger: Guten Morgen!
    Schulz: Herr Oettinger, Sie haben damals ja Führungsschwäche und Konzeptionslosigkeit von Helmut Kohl kritisiert und haben damit auch Ihre Rücktrittsforderung untermauert. Erleben Sie Angela Merkel denn im Moment als führungsstark und erkennen Sie Ihr Konzept?
    Oettinger: Wir hatten ja nach der Bundestagswahl eine schwierige Lage, in der der Mehrzahl der Parteien gar nicht regieren will. Und ich finde von daher die CDU und auch die CSU sehr verantwortlich, indem sie anderen Parteien auch entgegenkommen, um eine Regierung und damit die Handlungsfähigkeit in Deutschland herzustellen. Nein, ich finde sie ist unverändert stark. Und gerade auch gestern Abend im Fernsehen, im ZDF, habe ich sie als ruhig, gelassen empfunden. Und ich bin mir sicher, sie wird die Erwartungen unserer Partei und auch die der Öffentlichkeit in den nächsten Tagen erfüllen.
    "Nicht Neuwahlen provozieren"
    Schulz: Aber Herr Oettinger, woran lesen Sie diese Stärke, von der Sie sagen, dass Sie sie sehen, ab? Wir sprechen über das schlechtestes Bundestagswahlergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik, das Merkel eingefahren hat, wir sprechen von komplett ins Aus moderierten Sondierungen bei Jamaika und wir sprechen jetzt über eine Koalitionsverabredung, über die die CDU schäumt, unter anderem weil das Finanzressort an die SPD gegangen ist. Woran lesen Sie die Stärke ab?
    Oettinger: Das Ressort war auch schon 2005 bei Herrn Steinbrück und wir haben vier Jahre mit ihm eine sehr gute Finanz- und Haushaltspolitik machen können.
    Schulz: Ja, da hatte die SPD aber auch ein deutlich stärkeres Ergebnis.
    Oettinger: Ja, und wir auch, wir waren auch etwas stärker gewesen. Nein, ich finde, wenn man genau merkt, dass der mögliche Partner sehr geschwächt ist und sehr unsicher ist, dann kann man heute Morgen auch entgegenkommen, um vier Jahre eine Regierung zu bilden.
    Und hinzu kommt aus europäischer Sicht, ich habe Donnerstagabend mit Herrn Barroso lange gesprochen, der sagt mir: Menschenskind, im 13. Jahr Kanzlerin, wiedergewählt, wenn auch geschwächt wiedergewählt, ihr habt in Deutschland Glück! In allen anderen europäischen Ländern haben wir weit mehr Instabilität. Wir leben in einem Zeitraum der Unruhe, der Abwahl von Regierungen, Populisten von rechts und links werden stärker, auch Deutschland hat dies etwas erfasst, mit der Linken seit Jahren, mit der AfD seit einiger Zeit, dafür haben wir trotzdem noch eine halbwegs stabile Lage. Und die muss man jetzt auch nutzen, nicht durch Neuwahlen provozieren, sondern durch eine gelassene, kompromissbereite Position eine Regierung bilden, um Deutschland in dieser Zeit stabil zu führen und damit Europa zu helfen. Wir erwarten dringend in Brüssel eine handlungsfähige europäische Regierung.
    "Kanzlerin wird in diesen vier Jahren die Nachfolge einleiten"
    Schulz: Ja, also, Günther Oettinger, da verstehe ich Sie richtig, Sie sehen das Verhandlungsergebnis aus der vergangenen Woche als positiv und alle Kritiker wie der Mittelständler Linnemann, der jetzt davon spricht, das könnte der Anfang vom Ende der Volkspartei CDU sein, Friedrich Merz, der scharfe Kritik geübt hat, auch Roland Koch, der jetzt sagt, na ja, da muss man sich mal überlegen, wie man den Wandel gestalten kann, auch personell, die haben alle unrecht?
    Oettinger: Ich sehe das Ergebnis als akzeptabel. Wenn man weiß, was der Koalitionsverhandlungspartner erwartet hat, dann kann ich damit leben. Und ich glaube, entscheidend ist, dass jetzt Vertrauen einkehrt zwischen Frau Nahles und der Kanzlerin, zwischen dem möglichen Bundesfinanzminister Olaf Scholz und unserer Partei. Und dann sehe ich kein Ende der Volkspartei CDU/CSU, sondern dann glaube ich, dass man daraus eine stabile Regierung bilden kann, Deutschland gut regieren kann und in vier Jahren gestärkt daraus hervorgeht.
    Dass die Kanzlerin in die letzte Periode geht, ist doch allen klar. Und ich halte sie für so klug und so erfahren, dass sie Fehler der Vergangenheit wie Helmut Kohl nicht wiederholen wird, sondern in geschickter Weise in diesen vier Jahren die Nachfolge einleiten wird. Die muss ja nicht in zwei Jahren geschehen, die kann auch in vier Jahren geschehen, aber sie wird mit Sicherheit geordnet sich vollziehen. Und da sind diese mahnenden Stimmen hilfreich und ich glaube, die Kanzlerin hört sie auch, siehe gestern Abend, und wird entsprechend handeln.
    "Jeder Minister, jeder Staatssekretär hat die Chance"
    Schulz: Das heißt, potenzielle Nachfolger müssten ins Kabinett, übersetzt: Jens Spahn muss ins Kabinett?
    Oettinger: Kann ins Kabinett, muss nicht ins Kabinett. Der Jens kann in einem starken Ressort Staatssekretär werden, er kann auch Generalsekretär werden. Aber man braucht auch nicht zwingend ein herausragendes Amt, um dann für eine Partei der Spitzenkandidat zu sein, siehe Herr Lindner. Das heißt, ich glaube, wir haben ein Potenzial von Leuten, Regierungschefs in deutschen Ländern, mögliche Minister und Staatssekretäre, die, wenn es gilt, in drei Jahren benannt werden und dann in vier Jahren für uns antreten.
    Schulz: Ja, Herr Oettinger, ich weiß, dass das immer nicht so einfach ist, Namen zu nennen, aber damit die Diskussion, die wir hier führen, konkreter wird, an wen denken Sie? Kramp-Karrenbauer, Klöckner, was sind die Köpfe, an die Sie jetzt denken?
    Oettinger: Jeder Regierungschef in einem deutschen Land hat die Befähigung, auch Deutschland zu regieren. Armin Laschet, Frau Kramp-Karrenbauer, Herr Günther, andere, jeder Minister, jeder Staatssekretär hat die Chance. Und wenn er oder sie dann Spitzenkandidat ist, hat er die öffentliche Aufmerksamkeit und hat dann im Wahlkampf die Chance, sich bekannt zu machen und Deutschland zu regieren. Das heißt, ich glaube nicht, dass wir jetzt schon wissen, wer es wird. Wir haben ein Potenzial, von dem ich eigentlich sehr, sehr positiv überzeugt bin.
    "Einige Frauen und Männer in der CDU und CSU sehr befähigt"
    Schulz: Aber wie soll dieser Erneuerungsprozess denn jetzt laufen, wenn die Kanzlerin ankündigt, ich bleibe Kanzlerin bis zum Ende der Legislaturperiode, ich bleibe übrigens bis dahin auch CDU-Vorsitzende, ich mache da keine halben Sachen? Wer soll sich denn da auf halber Strecke profilieren?
    Oettinger: Nicht auf halber Strecke, in den nächsten vier Jahren kann sich jeder profilieren. In seinem Land, in seinem Amt, in seiner Funktion. Entscheidend ist doch, dass die Kanzlerin sagt, sie macht die vier Jahre, und damit indirekt sagt, in vier Jahren kann ein anderer, kann eine andere zeigen, dass sie oder er den Kanzlererwartungen gerecht wird. Und dafür halten wir einige Frauen und Männer in der CDU und CSU für sehr, sehr befähigt.
    Schulz: Der EU-Haushaltskommissar, der CDU-Politiker Günther Oettinger heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk, ganz herzlichen Dank!
    Oettinger: Ich danke auch, guten Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.