"Sonntag, den 11. Oktober bekam ich aus wien einen anruf: konrad ist tot. gestern hatte er in wien sein leben durch gas selbst beendet."
Die Nachricht vom Selbstmord des österreichischen Schriftstellers Konrad Bayer am 10. Oktober 1964 hat damals nicht nur seinen Freund Gerhard Rühm tief betroffen gemacht. Sofort befragte man sein Werk und fand Stellen wie diese:
"Es gibt nichts, was zu erreichen wäre außer dem Tod."
Dabei wirkte Bayer innerhalb der sogenannten "Wiener Gruppe", die sich in den 1950er-Jahren um Hans Carl Artmann scharte und zu der neben Bayer und Rühm Oswald Wiener und Friedrich Achleitner gehörten, nach außen als einer der Unternehmungslustigsten und Provokativsten. Eine Prozession der Gruppe in den Straßen Wiens konzipierte er so:
"Die damen und herren der prozession mögen in absolut schwarzer kleidung und wohl auch mit weißgeschminktem gesicht erscheinen. Während der prozession werden die weißen blumen einer subtilen morbidität vor sich getragen wie auch herbstlich und ultimativ brennende lampions und candelabres. Die melancholie eines flötenspielers geleitet den mit feierlichkeit und tiefer stille schreitenden zug."
Das Wiener Publikum fand solche Aktivitäten gar nicht komisch und hielt die Gruppe für "gemeingefährlich". Die Aufnahme in Deutschland war offener und neugieriger. 1963 las Konrad Bayer in Saalgau vor der Gruppe 47:
"Franz goldenberg kam zur tür herein und gab mir die hand. ich gab dr. ertel die hand. dr. ertel gab marion bembe die hand. marion bembe gab dr. aust die hand. dr. aust gab dr. herbert krech die hand. dr. herbert krech gab fräulein gisela lietz die hand ..."
"Der Witz und das Grauen hängen sehr eng zusammen"
Eine schier endlose Aufzählung von Personen, die sich allesamt zur Begrüßung die Hand gaben. Das klang zwar parodistisch und unterhaltsam, aber der damals zur Gruppe 47-Tagung angereiste Philosoph Ernst Bloch wusste sofort, worum es ging:
"Um eine Form von Heimatlosigkeit und eine Sprengung des Verabredeten, und zwar bezeichnenderweise mit Witz. Der Witz und das Grauen hängen sehr eng zusammen."
Es war das Erschrecken vor einer misslingenden Kommunikation, das in Konrad Bayers Texten die inneren Erdbeben auslöste. Schreiben zudem als Inszenierung von Fluchtversuchen aus allen Formen von Konventionalität, die ihn früh eingeschränkt hatten.
"1932 in wien geboren ... ich werde 7 jahre gezwungen, das geigenspiel zu lernen. Ich verdiene zusätzliches taschengeld mit anwerben für lesezirkel, pokern etc. ich schreibe gedichte wie jeder, ich liebe trakl. Ich zeichne, der surrealismus hat mich ungeheuer beeindruckt ... mein vater ist sehr unzufrieden und verschafft mir eine anstellung in einer bank. 6 jahre arbeite ich in dieser bank."
Die Begegnung mit Hans Carl Artmann war für Bayer dann "Anschauung und Beweis" ...
"... dass die existenz des dichters möglich ist..."
... und solche Existenz wusste er leicht und mit dandyhaften Zügen öffentlich zu inszenieren. Er spielte auch wieder Musik, Banjo in einem Wiener Nachtlokal, trat in einigen Experimentalfilmen von Ferry Radax in der Hauptrolle auf und schrieb Gedichte und Prosa. Zum Beispielfolgende Szene in einem Wirtshaus, von Konrad Bayer selbst gelesen:
"Dort drüben läutet jemand mit einer kleinen Tischglocke. Er hat also durch besondere Handbewegungen den Klöppel und der Klöppel die elastische Stahlglocke in Schwingungen versetzt, und ich höre die Schwingungen als hellen Glockenton: dort die Glocke, hier ich – wie kommen die Schwingungen in mein Ohr?"
Schreiben als Instrument zur Gedankenanalyse
Das Geräusch in der Außenwelt löste nun eine Reise tief hinein in die Innenwelt aus. Oswald Wiener hat in diesem Vorgang Bayers zentralen Schreibansatz erkannt:
"Das Schreiben ist nicht Mittel künstlerischer 'Darstellung' gewesen, sondern ein Instrument zur Untersuchung von Denkvorgängen und für den Schreibenden ein natürlicher Hebel zum Hinausschieben seiner im Schreiben ihm merkbar werdenden Vorstellungsschranken."
Um diese Grenzen zu überschreiten, hat Bayer viel ausprobiert, sich zum Beispiel in dem Prosastück "vitus behring oder die theorie der schiffahrt" einer ausgeklügelten Montagetechnik bedient. Das Buch erschien erst nach seinem Tod. 1964 signalisierten dem 32-jährigen Konrad Bayer einige Vertragsabschlüsse zwar, dass seine öffentliche Anerkennung bevorstand, aber, erinnerte sich Gerhard Rühm später als Herausgeber des nachgelassenen Werks:
"Konrad bayer strahlte eine steigende unruhe aus ... (und) ... litt immer häufiger unter der vorstellung der sinnlosigkeit von allem."