Schreiben war ihr Sinn des Lebens, ihre Befreiung, ihr Glück. Eine Droge. Ihre autobiografischen Romane befreiten auch die Leser, denn Angelika Schrobsdorff formulierte fast schmerzhaft ehrlich, was in den 60er- oder 70er-Jahren niemand zu denken wagte: Tabus wie die Anbetung ihrer eigenen Schönheit vor dem Spiegel, Hunderte von Affären oder die Lächerlichkeit ihres ersten Ehemannes, eines Amerikaners. "Merkwürdige Männer, die tragen einen tatsächlich auf Händen. Und das geht einem über die Hutschnur nach einer gewissen Zeit", sagte Schrobsdorff einmal. "Wenn sie finden, die Schuhe müssten mal geputzt werden, dann putzen sie mir die Schuhe. Ich finde, sie hätten mir einen Tritt geben müssen mit den Schuhen."
Als Tochter aus großbürgerlichem Hause, die Mutter Jüdin, der Vater ein Preußischer Junker, hat sie bis zur Nazizeit eine behütete Kindheit in Berlin verlebt. Sie habe in Berlin gelebt, nicht in Deutschland, sagte sie einmal. Sie habe das alles sehr geliebt, so zum Beispiel den Wannsee. "Aber es ist nicht frei von Ängsten gewesen", so Schrobsdorff. Sehr bewusst seien die Ängste gewesen, auch schon in der Kindheit.
Flucht vor dem Holocaust nach Bulgarien
Mit ihrer Mutter floh sie nach Bulgarien, wo sie den Holocaust überlebte. Ihre jüdische Identität in Kombination mit ihren freigeistigen Amouren hat sie in ihrem ersten Roman "Die Herren" thematisiert, ein Skandal, der 1962 dazu führte, dass dieses Buch in Bayern nicht verkauft werden durfte. Nach einigen Jahren in München besuchte Schrobsdorff 1961 das erste Mal Israel. Sie, die den Begriff Heimat grauenvoll unanständig fand, fühlte sich erstmals zu Hause, auch wenn sie sich ihrer selbst dort nicht sicherer war. "Ich wusste nicht, wie ich mich nennen sollte", erzählte Angelika Schrobsdorff später im Interview. "Ich konnte mich doch nicht selbst Mischling ersten Grades nennen, oder?", fragte sie und lachte. Also habe sie Halbjüdin gesagt. "Da hat man mich angeschrien in Israel: 'Das gibt es nicht!'".
Die Magie der Stadt Jerusalem, das Licht und die Menschen haben Angelika Schrobsdorff immer begleitet. Mit 44 Katzen lebte sie in ihrer Wohnung nahe der Altstadt, es besuchten sie viele jüdische und palästinensische Freunde. Ihre Bücher "Du bist nicht so wie andere Mütter" oder "Wenn ich Dich je vergesse, oh Jerusalem" waren Bestseller und wurden in etliche Sprachen übersetzt.
In Jerusalem hat sie auch ihre große Liebe kennengelernt, den Dokumentarfilmer Claude Lanzmann. "Ich dachte die Liebe auf den ersten Blick gibt es gar nicht", erzählte Schrobsdorff. "An all den Quatsch glaub ich doch nicht. Aber es war wirklich so." Lanzmann sei ein "unerhört kluger und talentierter Mensch" gewesen, sagte Schrobsdorff über ihre große Liebe. Da bestünde überhaupt kein Zweifel, aber alles andere könne man wegwerfen.
Späte Rückkehr nach Berlin
Mit Lanzmann hat sie in Paris Sartre und die Beauvoir kennengelernt, aber die Stadt blieb ihr fremd. Sie hat Lanzmann verlassen wie viele andere Männer. Und sie hat 2006 Jerusalem verlassen. Sie könne nicht in Ländern leben, in denen Menschen unterdrückt werden. Die politische Situation war für sie unerträglich geworden. So ist Angelika Schrobsdorff zurückgezogen in die Stadt ihrer Kindheit, sogar ins gleiche Viertel, in den Grunewald. In einer Erdgeschoss-Altbauwohnung hat sie ihre letzten zehn Jahre verbracht, zusammen mit Vicky, einer Katze, die sie aus Jerusalem mitgenommen hatte. Sie sei zum Sterben zurückgekommen. Denn, so Angelika Schrobsdorff, "es stirbt sich leichter in Deutschland".