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Zum Tod von Karl-Otto Apel
"Äußerste Ernsthaftigkeit, das war sein Programm"

Der deutsche Philosoph Karl-Otto Apel gehörte der Frankfurter Schule an und hat die Diskursethik beeinflusst. Bei ihm habe es keine Eleganz wie bei Adorno und keinen raunenden Stil wie bei Heidegger gegeben, sagte der Literatur- und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch im DLF. Bei Apel ging es darum so zu schreiben, "dass man merkt, es geht um die Argumente und nur um die Argumente".

Jochen Hörisch im Gespräch mit Michael Köhler |
    Der deutsche Philosoph Karl-Otto Apel in einer Aufnahme von 1966.
    Der deutsche Philosoph Karl-Otto Apel in einer Aufnahme von 1966. (picture alliance / dpa - Fritz Fischer)
    Michael Köhler: Nach Iring Fetscher, dem einflussreichen Politikwissenschaftler ist mit Karl Otto Apel einer der großen bekannten Frankfurter Großordinarien gestorben, die nicht nur als Fachphilosoph wirkten, sondern auch ein Stück bundesrepublikanischer Geschichte mitgeprägt haben. Zusammen mit Jürgen Habermas haben diese Kriegsjahrgänge das philosophisch geprägt was man Diskursethik und die Verpflichtung des Mensch zu moralischem Handeln nennt, aus Vernunftgründen. Aus der kommunikativen Struktur des Menschen, haben sie ein normatives Programm der Verständigung ableiten wollen. Jochen Hörisch ist Literatur- und Medienwissenschaftler an der Universität Mannheim. Ihn habe ich gefragt, ist Apel in dieser Hinsicht ein Kind der Weimarer Republik und Angehöriger der Kriegsgeneration?
    Jochen Hörisch: Das ist ja ganz eindeutig in der Art und Weise, wie er geschrieben hat: Äußerste Sachlichkeit, so schreiben, dass man merkt, es geht um die Argumente und nur um die Argumente, keine Eleganz wie bei Adorno, kein raunender Stil wie bei Heidegger. Äußerste Ernsthaftigkeit, das war sein Programm, und eben zu einer Form von Intersubjektivität zu kommen, indem man sich verabschiedet von Bewusstseinsphilosophie und Kommunikationstheorie macht. Und da noch Ethik hineinzuprojizieren, eine Ethik mit dem Wahnsinnsprojekt, solche Aberrationen wie die Nazi-Zeit zu verhindern, das war das sehr, sehr groß dimensionierte Projekt von Apel. Dem kann man Respekt ganz gewiss nicht verweigern.
    "Konsens ist als regulative Idee von Kommunikation Nonsens"
    Köhler: Nach dem Zweiten Weltkrieg in Bonn von 1945 bis 50 studiert, über Heidegger promoviert, dann sich 61 habilitiert, Station in Kiel, und dann lange, lange, lange von 72 bis 90 in Frankfurt, die Zeit der großen, politisch-philosophischen Emanzipation. Man träumt vom Ideal der gleichberechtigten Sprechergemeinschaft, der symmetrischen Verhältnisse in der Gesellschaft. Kommunizieren heißt Handeln, Aushandeln bis zum geht nicht mehr. Also sprachlich muss alles vermittelte Intersubjektivität sein. Die Gesellschaft wird gedacht als eine Art ideale Argumentationsgemeinschaft. Was ist falsch daran?
    Hörisch: Falsch daran ist schon, dass der Wortsinn von Diskurs ja heißt Discurere, und das ist im Lateinischen nichts anderes als in unterschiedliche Richtungen laufen. Wir reden miteinander, weil wir unterschiedliche Optionen, unterschiedliche Richtungen, unterschiedliche Orientierungen haben. In dem Augenblick, wo eine Kommunikation einen Konsens erreicht, bricht sie zusammen, denn was sollen wir uns weiter noch kommunizieren, wenn wir einen Konsens erreicht haben. Kommunikation, also noch einmal, ist Dissens, nicht Konsensorientiert. Konsens ist als regulative Idee von Kommunikation Nonsens. Insofern muss ich nun doch in aller Deutlichkeit sagen, die Grundintuition scheint mir phänomenologisch wie normativ falsch zu sein bei Apel, der ja so etwas wie eine Hardcore-Variante von Habermasens allseits beliebter Kommunikationstheorie vorgestellt hat.
    "Nichts war ihm so fern wie Frivolität"
    Köhler: Das blieb nicht unwidersprochen in der Republik. Warum ist das so? Es ist doch eigentlich das Ideal einer gleichberechtigten symmetrischen Sprechergemeinschaft, also einer groß angelegten Emanzipationsbewegung auch in der Republik der 70er- und 80er-Jahre.
    Hörisch: Eine Emanzipationsbewegung mit seltsamen dialektischen Implikationen. Wer anders argumentiert als Apel, der fliegt raus – warum, weil er sich in einen pragmatischen Selbstwiderspruch verwickelt. Und dann haben wir eine ähnliche Paradoxie wie bei Mozart in der Zauberflöte. Wen solche Lehren wie die von Apel nicht erfreuen, verdient es nicht, ein Mensch zu sein. Der hat sich selbst disqualifiziert, der hat sich selbst widersprochen. Nun ist aber das Seltsame ja, dass man immer dann, wenn man in letzte Dimensionen vordringt – und Apel wollte ja nicht weniger als eine Letztbegründungsphilosophie präsentieren -, man automatisch in Widerspruchsstrukturen reinkommt. Schon der Begriff der Transzendentalpragmatik ist ja ein Widerspruch in sich. Entweder argumentiert man transzendental, oder pragmatisch. Apel macht mit traumwandlerischer Sicherheit genau das, was er eigentlich ausschließen will, nämlich Widersprüche in sich zu produzieren, und das scheint mir das große Problem zu sein. Man kann das sehr drastisch illustrieren bei einem kurzen Radiogespräch: Die klassische Form der Letztbegründung, letzter Grund aller Gründe Causa sui, Grund seiner selbst ist Gott. Wenn der allmächtig ist, kann er dann auch sich töten, kann er dann auch sich abschaffen, kann er also dann auch nicht sein. Und wir merken, dass selbst bei sehr klassischen Formen von Letztbegründungen man automatisch genau in die Widerspruchsstrukturen reinkommt, die Apel vermeiden will. Für Leute, die es nicht mit der Theologie haben, würde ich jetzt sagen, Gödel, Unvollständigkeitstheorie der Logik, und das sind genau die Argumente, die Apel nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Da konnte er auch recht rigide und böse werden. Aber all das zeigt die unglaubliche Ernsthaftigkeit seines Projekts. Ihm ging es wirklich um etwas. Nichts war ihm so fern wie Frivolität, und das scheint mir eine besonders akzentuierte Form zu sein, wo eine bestimmte deutsche Tradition der Ernsthaftigkeit sozusagen jetzt unter pseudo-linksliberalen Vorzeichen noch mal in ganz großer Form angetreten ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.