Jahrzehntelang schien es, als gäbe es nur ihn. Welches Buch eines polnischen Schriftstellers man auch immer in die Hand bekam: übersetzt hatte es Karl Dedecius. Oder herausgegeben. Oder bevorwortet. Jahrzehntelang gab es in der Bundesrepublik, als noch der Eiserne Vorhang Europa teilte, für die polnische Literatur nur diesen einen Vermittler, der unermüdlich Gedichte und Romane eindeutschte, Gesamtausgaben und Anthologien organisierte und die Werbetrommel rührte. Dass er das von Frankfurt am Main aus tat, war Zufall.
Geboren in Lodz, von deutschen Eltern, wuchs Karl Dedecius zweisprachig auf. Er war 18, als der Zweite Weltkrieg begann, 21, als er in Stalingrad verwundet und von der Roten Armee gefangen genommen wurde. Erst sieben Jahre später kam er frei und ging zunächst nach Weimar, wo er am dortigen Theater als Oberassistent den Schauspielern slawische Aussprache beizubringen hatte:
"Als ich 50 aus der Gefangenschaft kam, dachte man ja noch immer an die Einheit Deutschlands und machte sich Illusionen, was die Zukunft Deutschlands betrifft, nach zwei Jahren dann weniger, und deshalb zog ich nach Westdeutschland um - damals war das noch ohne weiteres möglich - und meldete mich hier bei Peter Suhrkamp und trug ihm vor mein Anliegen, ich hätte gerne slawische Literatur, die mich beschäftigt, die ich mit mir herumtrage, ins Deutsche übertragen und hier vermittelt. Er machte mir damals, es war 52, keine Hoffnung und sagte, nach diesem Krieg würde wahrscheinlich sich kaum jemand noch für die Literatur des Ostens interessieren. Da ging ich zwei Häuser weiter und habe mich einfach bei einer großen Firma anstellen lassen; es war eine Versicherungsgesellschaft, ich mußte ja von etwas leben, hatte inzwischen zwei Kinder, Frau, Eltern, die alle von mir abhängig waren."
Geboren in Lodz, von deutschen Eltern, wuchs Karl Dedecius zweisprachig auf. Er war 18, als der Zweite Weltkrieg begann, 21, als er in Stalingrad verwundet und von der Roten Armee gefangen genommen wurde. Erst sieben Jahre später kam er frei und ging zunächst nach Weimar, wo er am dortigen Theater als Oberassistent den Schauspielern slawische Aussprache beizubringen hatte:
"Als ich 50 aus der Gefangenschaft kam, dachte man ja noch immer an die Einheit Deutschlands und machte sich Illusionen, was die Zukunft Deutschlands betrifft, nach zwei Jahren dann weniger, und deshalb zog ich nach Westdeutschland um - damals war das noch ohne weiteres möglich - und meldete mich hier bei Peter Suhrkamp und trug ihm vor mein Anliegen, ich hätte gerne slawische Literatur, die mich beschäftigt, die ich mit mir herumtrage, ins Deutsche übertragen und hier vermittelt. Er machte mir damals, es war 52, keine Hoffnung und sagte, nach diesem Krieg würde wahrscheinlich sich kaum jemand noch für die Literatur des Ostens interessieren. Da ging ich zwei Häuser weiter und habe mich einfach bei einer großen Firma anstellen lassen; es war eine Versicherungsgesellschaft, ich mußte ja von etwas leben, hatte inzwischen zwei Kinder, Frau, Eltern, die alle von mir abhängig waren."
Dedecius überzeugte mit Auftreten und Beharrlichkeit
So gab er sich dem Luxus der Literatur jeweils nach Dienstschluss hin, ungekannt und unbeauftragt vom Verlagsbetrieb. 1959 gelang es ihm dann endlich, eine Anthologie junger polnischer Lyrik beim Hanser Verlag unterzubringen. Dedecius hatte sie nicht nur übersetzt, sondern auch mit vielen Erklärungen versehen, denn dem deutschen Lesepublikum war damals kein einziger Name eines lebenden polnischen Dichters oder Schriftstellers geläufig - so abgerissen waren die kulturellen Verbindungen zwischen den beiden Nachbarländern.
Mit seinem überzeugenden Auftreten und dank seiner Beharrlichkeit gelang es Karl Dedecius, von Privatstiftungen und öffentlichen Körperschaften die Mittel für Gründung und Betrieb des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt einzuwerben. 1979 war es soweit, und 1980 rückte Polen aus politischen Gründen in den Focus der Weltaufmerksamkeit: die Solidarnosc-Bewegung zündete die Lunte an, die neun Jahre später die Detonation des ganzen Ostblocks auslöste. Zwar hielt sich Dedecius stets aus der Tagespolitik heraus, doch eine Eigenart der polnischen Literatur besteht darin, dass sie die politischen Verhältnisse viel stärker reflektiert als etwa die deutsche. Jedenfalls galt das zur Zeit des kommunistischen Regimes.
"Die Funktion der Literatur in Polen ist eine andere. Man verständigt sich via Literatur da, wo man verschiedene Probleme in der Zeitung nicht so ausdiskutieren kann, werden sie in der Literatur metaphorisch oder anders – Gedicht in einer Novelle, einer Erzählung, einer Satire – ausgetragen. Und auf diese Neuerscheinungen stürzt sich das Publikum, sonst könnte man sich das gar nicht anders erklären, daß nach unseren Maßstäben Riesenauflagen - Gedichte in 10.000 Exemplaren - in zehn Tagen vergriffen sind. Natürlich haben manche Autoren, die als hauptamtliche Funktionäre der Solidarität sich einen Namen machten, Schwierigkeiten, ihre Bücher zu drucken. Aber die Polen sind erfinderisch: sie haben eigene Verlage gegründet. Wenn sie das auch auf schlechtem Papier, Zeitungspapier und vervielfältigt, an den Leser bringen: spielt keine Rolle, diese Bücher erscheinen trotzdem im sogenannten Untergrund. Oder aber, wie Herbert neuerdings, sie lassen ihre Bücher im Ausland drucken - in der Kultura in Paris oder in Londoner Verlagen - und ihnen passiert auch nichts."
Mit seinem überzeugenden Auftreten und dank seiner Beharrlichkeit gelang es Karl Dedecius, von Privatstiftungen und öffentlichen Körperschaften die Mittel für Gründung und Betrieb des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt einzuwerben. 1979 war es soweit, und 1980 rückte Polen aus politischen Gründen in den Focus der Weltaufmerksamkeit: die Solidarnosc-Bewegung zündete die Lunte an, die neun Jahre später die Detonation des ganzen Ostblocks auslöste. Zwar hielt sich Dedecius stets aus der Tagespolitik heraus, doch eine Eigenart der polnischen Literatur besteht darin, dass sie die politischen Verhältnisse viel stärker reflektiert als etwa die deutsche. Jedenfalls galt das zur Zeit des kommunistischen Regimes.
"Die Funktion der Literatur in Polen ist eine andere. Man verständigt sich via Literatur da, wo man verschiedene Probleme in der Zeitung nicht so ausdiskutieren kann, werden sie in der Literatur metaphorisch oder anders – Gedicht in einer Novelle, einer Erzählung, einer Satire – ausgetragen. Und auf diese Neuerscheinungen stürzt sich das Publikum, sonst könnte man sich das gar nicht anders erklären, daß nach unseren Maßstäben Riesenauflagen - Gedichte in 10.000 Exemplaren - in zehn Tagen vergriffen sind. Natürlich haben manche Autoren, die als hauptamtliche Funktionäre der Solidarität sich einen Namen machten, Schwierigkeiten, ihre Bücher zu drucken. Aber die Polen sind erfinderisch: sie haben eigene Verlage gegründet. Wenn sie das auch auf schlechtem Papier, Zeitungspapier und vervielfältigt, an den Leser bringen: spielt keine Rolle, diese Bücher erscheinen trotzdem im sogenannten Untergrund. Oder aber, wie Herbert neuerdings, sie lassen ihre Bücher im Ausland drucken - in der Kultura in Paris oder in Londoner Verlagen - und ihnen passiert auch nichts."
Auch Gedichte von Johannes Paul II. übersetzt
Karl Dedecius, der im Laufe seines Lebens an die hundert Bücher übersetzt hat, wich der Frage, welche ihm besonders am Herzen lägen, gerne aus. Sein Temperament war nicht das eines Kritikers, sondern ihm ging es stets darum, die Vielfalt der polnischen Literatur zu zeigen. Dazu gehörte auch, dass er die Gedichte von Karol Wojtyla, der sich als Papst den Namen Johannes Paul II. gab, ein Jahr vor dem Erscheinen der polnischen Ausgabe ins Deutsche übertrug.
Auf 100 Bände konzipiert war Dedecius' Hauptwerk, die Herausgabe der Polnischen Bibliothek bei Suhrkamp, 50 davon sind zwischen 1982 und 2000 immerhin erschienen. Neben vielen anderen Ehrungen und Auszeichnungen bekam er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, und das Deutsche Polen-Institut verleiht einen nach ihm benannten Übersetzerpreis. Die Erinnerung an Karl Dedecius verbindet sich mit einem gewissen Erschrecken darüber, dass er seinen Landsleuten in der Bundesrepublik überhaupt erst ein Gefühl dafür vermitteln musste, dass Polen und Deutschland Nachbarn sind.
Auf 100 Bände konzipiert war Dedecius' Hauptwerk, die Herausgabe der Polnischen Bibliothek bei Suhrkamp, 50 davon sind zwischen 1982 und 2000 immerhin erschienen. Neben vielen anderen Ehrungen und Auszeichnungen bekam er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, und das Deutsche Polen-Institut verleiht einen nach ihm benannten Übersetzerpreis. Die Erinnerung an Karl Dedecius verbindet sich mit einem gewissen Erschrecken darüber, dass er seinen Landsleuten in der Bundesrepublik überhaupt erst ein Gefühl dafür vermitteln musste, dass Polen und Deutschland Nachbarn sind.