Archiv

Zweiter Weltkrieg
Casablanca 1943 - Film und Wirklichkeit

In Casablanca trafen sich im Januar 1943 US-Präsident Roosevelt und der britische Premierminister Churchill, um über ihre Strategie gegen Hitler zu beraten. Das Ergebnis der geheimen Konferenz läutete das Ende des Dritten Reiches ein. Zur selben Zeit produzierten die Warner Studios den gleichnamigen Hollywood-Klassiker. Norbert F. Pötzl verbindet in seinem Buch die Geschichte des Films mit den Kriegsereignissen.

Von Otto Langels | 15.01.2018
    Konferenz von Casablanca während des Zweiten Weltkriegs im Januar 1943 (l-r): General Henri Honore Giraud (Frankreich), Präsident Franklin Delano Roosevelt (USA), General Charles de Gaulle (Frankreich) und Premierminister Winston Churchill (Großbritannien).
    Ergebnis der Konferenz von Casablanca 1943 war die Forderung der Alliierten nach bedingungsloser Kapitulation Deutschlands, Italiens und Japans (pcture alliance/dpa - UPI)
    Norbert F. Pötzls Buch beginnt mit einer Beschreibung des Silvesterabends 1942 im Weißen Haus. Nach dem Dinner bat US-Präsident Franklin D. Roosevelt seine Gäste in den kleinen Kinosaal. Gezeigt wurde Casablanca, der spätere Hollywood-Klassiker, der kurz zuvor Premiere gefeiert hatte. Zehn Tage nach dem privaten Filmabend verließ Roosevelt Washington, um sich mit dem britischen Premierminister Winston Churchill in der marokkanischen Stadt Casablanca zu treffen. Fiktion und Wirklichkeit, Filmhandlung und Zeitgeschichte weisen erstaunliche Parallelen auf.
    Zum Beispiel hatte der sowjetische Außenminister Molotow im Mai 1942 bei seinem Besuch in Washington gefordert, die USA sollten auf dem westeuropäischen Kontinent eine zweite Front eröffnen, um die Rote Armee in ihrem Kampf gegen die deutsche Wehrmacht zu unterstützen. Zu dem Zeitpunkt liefen die Dreharbeiten zu Casablanca. Der Autor Norbert F. Pötzl:
    Roosevelt wohnte in "Rick's Place"
    "Dann wurde ziemlich plump dieser Begriff in das Drehbuch hineingeschrieben, dass die Französin Yvonne, die da in Begleitung eines deutschen Offiziers 'Rick's Café' betritt, womöglich eine zweite Front eröffnen wollte. Ein eigentlich völlig unsinniger Satz, aber der zu genau dieser Zeit eine hohe Aktualität hatte."
    Autor Norbert F. Pötzl präsentiert in seiner lesenswerten Darstellung mehrere Beispiele, wie historisches Ereignis und Filmgeschichte miteinander verwoben waren. So wohnte US-Präsident Roosevelt während des zehntägigen Geheimtreffens in Casablanca in einer Villa, die den Codenamen "Rick's Place" trug, wie das Café im Film.
    "Roosevelt wusste ja von den Dreharbeiten des Filmes und hat sich natürlich auch danach erkundigt, über den Verlauf. Er hatte einen Vertrauten am Filmset in Kalifornien. Und er hat sich selbst immer so ein bisschen in der Rolle des Rick gesehen. Also der, der genau eben aus moralischen Gründen für den Kriegseintritt plädiert, für die Unterstützung der bedrängten Nationen."
    Der Autor montiert in seinem Buch geschickt Episoden aus dem Film mit dem Ablauf und den Hintergründen der Geheimkonferenz von Casablanca. Er behauptet aber nicht - im Unterschied zur Verlagswerbung -, dass die Fiktion die Realität beeinflusst hätte.
    Ronald Reagan als Hauptdarsteller vorgesehen
    "Viele Szenen spielen auf aktuelle politische Ereignisse an. Seine Urheber bemühen sich um größtmögliche historische Korrektheit. Allerdings hat sich die Kriegssituation verändert, seit der Film im Spätsommer 1942 fertiggestellt wurde, und erst recht gegenüber der Zeit, von der 'Casablanca' erzählt."
    Die Filmhandlung spielt nämlich im Jahr 1941, noch vor dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor und dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg.
    Als männlicher Hauptdarsteller war übrigens ursprünglich ein gewisser Ronald Reagan vorgesehen. Die Produzenten entschieden sich dann aber doch für Humphrey Bogart. Fast alle Nebendarsteller - auch hier eine Verbindung zwischen Filmhandlung und Realität - waren Emigranten. Wegen ihrer jüdischen Wurzeln waren sie vor den Nazis in die USA geflohen und hatten in Hollywood mühsam Fuß zu fassen versucht.
    "Das war zum Beispiel Paul Henried, der Victor Laszlo, das war Konrad Veidt als Major Strasser, das ist ja dann auch besonders bitter, dass Nazigegner Nazis spielen mussten."
    Als die Presse Ende Januar 1943 in großen Schlagzeilen über die Konferenz von Casablanca berichtete, erkannten die Produzenten des gleichnamigen Films den Werbeeffekt des Gipfeltreffens. Sie beschlossen, das Melodram nicht erst - wie geplant - im Frühjahr, sondern sofort landesweit in die Kinos zu bringen. "Hat es je einen aktuelleren Film gegeben?" fragte ein Werbeslogan. Die tragische Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus wurde zu einem Welterfolg und manche Dialogzeile zu einem geflügelten Wort.
    Filmgeschichte im Vordergrund
    "Also z.B. der Satz: 'Ich seh' dir in die Augen Kleines', oder: 'Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen', oder: 'der Beginn einer wunderbaren Freundschaft'."
    Gegenüber der Filmgeschichte treten in dem Buch die geschichtlichen Ereignisse ein wenig in den Hintergrund. Wer eine fundierte und detaillierte historische Darstellung der Konferenz von Casablanca und ihrer weltpolitischen Auswirkungen erwartet, dürfte enttäuscht sein. Denn der Autor beschränkt sich auf die notwendigen Ausführungen, um den Film in den Kontext des Kriegsgeschehens einzuordnen.
    "Die Journalisten bestürmten Roosevelt mit Fragen, wie er sich die künftige Politik gegenüber Deutschland vorstelle. Da gibt der Präsident die Parole aus: Von nun an verfolge man nur noch ein Kriegsziel, die 'bedingungslose Kapitulation' der Achsenmächte. Churchill sitzt schweigend daneben. Von nun an wird es kein Pardon mehr geben. Der Showdown hat in Casablanca begonnen."
    Als ehemaliger Redakteur des Nachrichtenmagazins Der Spiegel kann Norbert F. Pötzl anschaulich erzählen, aber es fehlt mitunter der analytische Blick. Sonst hätte er z.B. nicht nur beiläufig darauf hingewiesen, dass die sogenannte Casablanca-Formel von der bedingungslosen Kapitulation eine Lehre aus dem Ersten Weltkrieg war. Damit wollten die Alliierten einer neuerlichen Dolchstoßlegende von dem "im Felde unbesiegten deutschen Heer" von vornherein den Boden entziehen.
    Erst 1952 in deutschen Kinos
    Der zeitgeschichtliche Hintergrund und die dramaturgisch effektvoll inszenierten Gegensätze zwischen Nazianhängern und -gegnern machten den Film zu einem Propagandastück im Kampf gegen Hitler-Deutschland. Als Casablanca in den 1950er Jahren erstmals auf westdeutschen Kinoleinwänden zu sehen war, fehlten freilich alle historischen Bezüge.
    "Diese Fassung von 1952 war ja auch um 25 Minuten kürzer und enthielt eigentlich als Handlung eine ganz gewöhnliche Kriminalstory. Alles was irgendwie auf Nazis hindeutete, wurde aus dem Film herausgeschnitten."
    Erst 1975 strahlte die ARD Casablanca ungekürzt und neu synchronisiert aus. Danach erlangte der Film auch in Deutschland Kultstatus.
    "Casablanca 1943" ist eine informative und unterhaltsame Lektüre. Der Reiz liegt in der Verbindung von Kultfilm und historischem Ereignis, von Politik und Leinwand. Wer Norbert F. Pötzls Buch liest, bekommt Lust, sich den Film noch einmal anzusehen.
    Norbert F. Pötzl: Casablanca 1943. Das geheime Treffen, der Film und die Wende des Krieges
    Siedler Verlag, 256 Seiten, 20 Euro