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Zwischen Selbstdarstellung und Problemlösung

Der Politikwissenschaftler Daniel Pontzen hat über 1000 Abgeordnete auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene gefragt, welche Rolle Medienauftritte bei Ihrer Arbeit spielen. Im Interview mit Ralf Krauter erläutert er die Ergebnisse.

    Ralf Krauter: Eines der Ergebnisse Ihrer Studie, Ihrer Analyse ist ja: Sachkompetenz auszustrahlen ist für Politiker wichtiger, als welche zu besitzen. Erklären Sie doch mal, wie Sie darauf kommen, woran Sie das festmachen?

    Daniel Pontzen: Das sagen die Politiker selbst. In dem Fragebogen, der der Untersuchung zugrunde lag, sollten die Politiker unter anderem Erfolgsfaktoren bewerten. Was ist wichtig, um politische Karriere zu machen, um möglichst hohe Ämter und Funktionen zu erlangen? Da gab es insgesamt 13 Faktoren - unter anderem dargestellte Sachkompetenz und tatsächliche Sachkompetenz. Und interessant war hier, dass die dargestellte Sachkompetenz in diesem Faktorenkatalog an fünfter Stelle kam und die tatsächliche erst an zehnter. Am wichtigsten waren hier Beziehungen innerhalb der eigenen Partei und Durchsetzungsfähigkeit. Also keine medialen, keine darstellungspolitischen Faktoren. Die kamen aber dann direkt auf den nächsten Plätzen - zum Beispiel die Fähigkeit, knappe, fundierte O-Töne zu liefern oder mimische und gestische Fähigkeiten. Die waren zum Beispiel wichtiger als politische Standfestigkeit. Und wohl gemerkt: Das ist die Sicht der Akteure selbst.

    Krauter: Dargestellte Sachkompetenz ist also wichtiger als die reale. Das zieht sich auch durch, wenn es um Fernsehauftritte geht. Bei vielen Talkshows ist offenbar so, dass Politiker da gar nicht unbedingt über Sachthemen diskutieren wollen. Die sehen das eher als Plattform, um ihr Image aufzupolieren. Kann man das so sagen?

    Pontzen: Das lässt sich anhand der Befunde dieser Studie in der Tat sagen. Hier habe ich die Abgeordneten ebenfalls darum gebeten, mal zu bewerten, was den Politikern denn wichtig ist, wenn sie in solche Talkshows gehen. Und hier zeigte sich, dass das sympathische Rüberkommen, das kompetente Rüberkommen weitaus wichtiger ist als die konstruktive Erörterung von Problemlösungen etwa, was aus normativer Perspektive sicher das primäre Ziel sein sollte. Aber selbst die Unterhaltung des Publikums ist nach Ansicht der Abgeordneten wichtiger als ein solcher konstruktiver Austausch.

    Krauter: Das zeigt sich auch in einem anderen Ergebnis Ihrer Untersuchung. Da kommt letztlich raus, dass Politiker Auftritte in manchen Fernsehshows eigentlich generell ablehnen, aber trotzdem hingehen, wenn sie selber gefragt werden. Das klingt nach medialem Opportunismus, oder?

    Pontzen: Diese Lesart lässt sich zumindest schwerlich widerlegen, wenn man sich die Befunde hierzu anschaut. Erstens habe ich gefragt, wie Politiker Auftritte ihrer Kollegen in bestimmten Sendungsarten finden: eher wünschenswert oder eher abzulehnen? Und hier zeigte sich, dass Auftritte in Prominenten-Quizshows etwa, in Sportsendungen oder auch in Spielshows wie "Wetten, dass..?" mehrheitlich abgelehnt werden - vermutlich vor allem wegen der Befürchtung, dass das zu einer Banalisierung des Politischen führe, dass gleichzeitig aber der überwiegende Teil der Abgeordneten überzeugt ist, dass Politiker, die solche Einladungen bekommen, die auch mehrheitlich annehmen. Also ja, die Politiker unterstellen ihren Kollegen hier in der Tat Opportunismus.

    Krauter: Politiker wirken ja für Außenstehende immer öfter wie Getriebene, die unter oft extremem Zeitdruck Lösungen präsentieren müssen, ohne komplexe Probleme wie die Finanz- oder Eurokrise zum Beispiel ja wirklich durchdringen zu können. Deckt sich diese Außenwahrnehmung der Politiker mit der Selbstwahrnehmung der Akteure?

    Pontzen: Tut sie. Mehr als 90 Prozent der Respondenten - und es waren ja immerhin 1036 Abgeordnete, die jetzt bei dieser Befragung teilgenommen haben… Mehr als 90 Prozent gaben an, dass sie sich heute zu vielen Themen schneller eine Meinung bilden müssen, als das noch vor zehn Jahren der Fall war. Und rund zwei Drittel sind sogar der Überzeugung, dass infolge dieses Zeitdrucks für durchdachte Politikherstellung mitunter nicht mehr genug Zeit bleibt. Da gibt es zwei Entwicklungen, die maßgeblich dazu führen. Das ist zum einen, dass die politische Prozesszeit immer stärker zunimmt, dass die politischen Gegenstände einfach immer komplexer werden - Beispiel eben Finanzkrise -, dass aber zugleich die mediale Reaktionszeit immer weiter abnimmt. Maßgeblich natürlich durch das Internet bedingt. Die Redaktionsschlüsse fallen weg, der News-Kreislauf erneuert sich immer wieder selbst. Und gleichzeitig treten die politischen Akteure selbst als Sender auf, was früher auch nicht in dem Maße der Fall war - via Twitter vor allem oder über die eigene Homepage. Das heißt, sie befeuern diesen medialen Kreislauf noch zusätzlich. Und das Ergebnis ist natürlich einigermaßen besorgniserregend. Denn da steht die Befürchtung, dass Politiker sich häufig dazu gezwungen sehen, Lösungen zu präsentieren, die der Komplexität des Problems gar nicht so wirklich gerecht werden kann.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.