Ein Forschungszentrum in Hamburg, im Keller öffnet der Mitarbeiter eine wuchtige Tür. Dahinter steht, in einem klimatisierten Raum, ein zimmerhoher Klotz mit einem hochkomplexen Innenleben.
"Oben ist die Quelle, die Elektronenquelle. Und Sie sehen schon, die Säule ist zu erkennen."
Drei Meter ragt die Metallsäule in die Höhe – ein augenfälliger Unterschied zu einem gewöhnlichen Mikroskop: Denn das drei Millionen Euro teure Hightech-Gerät funktioniert nicht mit Licht, sondern mit winzigen subatomaren Teilchen – mit Elektronen: "Da geht es darum, dass man also nur die guten Elektronen sozusagen rauspickt, damit man letztendlich einen guten Kontrast bekommt."
In den Labors dieser Welt zählt das Elektronenmikroskop zu den unverzichtbaren Werkzeugen.
Erfunden hatte es 1931 ein deutscher Ingenieur – Ernst Ruska. Geboren wurde er 1906 – und zeigte schon früh ein Interesse an Mikroskopen: Im Arbeitszimmer seines Vaters stand ein Exemplar. Faszinierend, doch für ihn lange unantastbar, wieder einmal berichtete: "Eigenes Hantieren mit diesem offenbar sehr kostbaren Instrument war meinem wenig jüngeren Bruder und mir selbstverständlich streng untersagt."
1925 begann Ruska ein Studium der Elektrotechnik, zunächst in München, dann an der TU Berlin. Am dortigen Hochspannungsinstitut erforschte er, wie sich Gewitter auf Stromleitungen und Umspannwerke auswirken. Dabei spielte ein Messgerät eine zentrale Rolle – der Oszillograph. Er funktioniert ähnlich wie eine Fernsehbildröhre: Elektronen werden zu einem Strahl gebündelt und treffen auf eine Mattscheibe, auf der sie helle Lichtstreifen erzeugen. Das Prinzip brachte Ruska auf eine Idee: Vielleicht ließe es sich nutzen, um ein neues, ein besseres Mikroskop zu bauen. Denn herkömmliche Lichtmikroskope wie das in Vaters Stube hatten ihre natürlichen Grenzen, so Ernst Ruska:
"Der Grund hierfür liegt darin, dass das Licht nichts unendlich Feines ist, wie es für eine beliebig genaue Abbildung notwendig wäre. Das Licht vermag keine Objekteinzelheiten mehr abzubilden, die wesentlich kleiner als seine Wellenlänge sind."
Licht besitzt Wellenlängen von etwas weniger als einem Mikrometer. Deshalb kann ein Lichtmikroskop höchstens mikrometergroße Objekte abbilden. Was kleiner ist, bleibt unsichtbar. Anders sollte es beim Elektronenmikroskop sein, zumindest im Prinzip. Denn Elektronenstrahlen, erklärte Ruska, "haben im Gegensatz zu sichtbarem Licht nur eine sehr, sehr kleine Wellenlänge. Eine Wellenlänge, die um 100.000fach kleiner ist als die von Licht, sodass die entsprechende Begrenzung bei der Sichtbarmachung von Einzelheiten praktisch wegfällt."
Die ersten Untersuchungs-Objekte verkohlten reihenweise
Ernst Ruska machte sich an die Arbeit und konstruierte aus Spulen, Lochblenden und einer Elektronenröhre einen ersten Prototyp, ein säulenartiges Ungetüm. Am 9. März 1931, kurz nach seinem Diplom, erfolgte ein erster Test, als Objekt diente ein Platinnetz. Und tatsächlich: Das Gerät lieferte Bilder, die Maschen des Metallnetzes waren recht deutlich zu erkennen. Nur: Die Vergrößerung war eher mickrig, sie betrug gerade mal das Siebzehnfache der Originalgröße. Und: Der Elektronenstrahl hatte eine so große Energie, dass er das Objekt regelrecht verkohlte. Damit erschien Ruskas Elektronenmikroskop komplett unbrauchbar, er musste die Konstruktion verbessern. Das jedoch war alles andere als leicht, berichtete er:
"Es gab keine Stelle, die damals bereit war, erhebliche Gelder in eine Sache zu stecken, von der wir nur gezeigt haben, dass alle Objekte, die man abbildet, verkohlen."
Ruska forschte prekär: besser frühstücken oder forschen?
Immerhin: Im Juli 1933 sprach ihm die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft eine wenn auch bescheidene Unterstützung zu, so Ruska: "Ein halbes Jahr lang 100 Mark monatlich für sachliche und persönliche Ausgaben. Es lag also an mir, ob ich besser frühstücken wollte oder irgendetwas für das Mikroskop kaufen."
Ruska investierte in die Technik – und erzielte deutliche Fortschritte: Sein verbesserter Prototyp konnte das Bild um das Zwölftausendfache vergrößern, und auch das Problem mit dem Verkohlen bekam er allmählich in den Griff. Das erweckte das Interesse der Industrie: Siemens heuerte Ernst Ruska an mit der Mission, ein Elektronenmikroskop in Serie herzustellen. 1939 wurden die ersten Geräte ausgeliefert. Besonders gefragt waren sie bei Biologen und Medizinern. Denn die hatten entdeckt, so Ernst Ruska:
"Die ganzen Krankheitserreger, die die Viruskrankheiten verursachen, sind wesentlich kleiner wie Bakterien. Und man konnte sie vorher nicht sehen. Aber im Elektronenmikroskop wurden sie alle sichtbar."
1986 erhielt Ernst Ruska den Nobelpreis für Physik – 55 Jahre, nachdem er den ersten Prototyp gebaut hatte. Heute schaffen Elektronenmikroskope schier Unfassbares: Sie machen die einzelnen Atome eines Eiweißmoleküls sichtbar. Etwas, von dem der Pionier Ruska einst kaum zu träumen wagte.