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Corona-Sprachblüten
Von "Brücken-Lockdown" bis "Öffnungs-Blindflug"

Herden-Immunität, Spuckschutz, Wellenbrecher-Lockdown: Die Pandemie hat eine ganz neue Sprache hervorgebracht. Beispiele wie prä-pandemisch oder post-Corona zeigen: Sie wird als gesellschaftliche Zäsur wahrgenommen. "Man spricht von einem Vorher und einem Nachher", so die Germanistin Heidrun Kämper.

Heidrun Kämper im Gespräch mit Karin Fischer |
Leitbalken stehen auf der Theodor-Heuss-Brücke zwischen Mainz und Wiesbaden. Die zentrale Rheinüberquerung war Anfang Januar 2020 wegen Sanierungsarbeiten vier Wochen gesperrt.
"Brücken-Lockdown"?! Manche Wörter bekommen in der Corona-Krise einen neuen Sinn (picture alliance/dpa | Silas Stein)
Zwei neue Wörter sind allein in dieser Woche erfunden worden im Zusammenhang mit der Corona-Krise: "Brücken-Lockdown", vorgestellt vom NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU). Und "Öffnungs-Blindflug", vor dem der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnt. Die Pandemie ist ein Fest für Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler.
Für die Sprachwissenschaftlerin Heidrun Kämper sind solche "Augenblicksbildungen" auch ein Ausdruck von Kreativität. In Ausdrücken wie "Abstands-Hochzeit" oder "Corona-Mähne" findet sie Ironie, aber auch eine gewisse Gelassenheit nach einem Jahr Pandemie. Den Brücken-Lockdown analysiert sie so:
"Da steckt sicher auch ganz viel Strategie dahinter. Denn eine Brücke, das ist zunächst mal was Positives, sie führt von einem Ort zum anderen, überwindet ein Hindernis, schafft eine Verbindung. Dagegen Lockdown, das wissen wir, ist nun tägliches Thema und der Verdruss wächst. Und von daher wollte der Schöpfer dieser Wortbildung sicher auch dazu beitragen, dass der Lockdown mehr Akzeptanz hat in der Bevölkerung."
Buchstabenspiel "Scrabble": Buchstaben bilden die Worte "Corona" und "Triage" auf dem "Scrabble"-Spielbrett.
Von "Coronaparty" bis "systemrelevant" - Wie Covid-19 unsere Sprache verändert
In einer Videodialog-Reihe der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung wird über den durch Corona veränderten Wortschatz diskutiert. Frei assoziierend wird Erhellendes zu Tage gefördert.
Das Institut für Deutsche Sprache in Mannheim listet in einer Datenbank unter dem Titel "Neuer Wortschatz rund um die Coronapandemie" bereits über tausend Wortneuschöpfungen auf. Von "50er-Inzidenz" über "Herden-Immunität", über den "Spuckschutz" bis hin zum "Wellenbrecher-Shutdown".
Sehr viele Anglizismen kommen darin vor, und lauter Worte, die es so noch nicht gab, oder nur im ganz anderen Zusammenhang, wie etwa "Dauerwelle". "Impfangebot" könnte das Zeug zum ‚Unwort des Jahres‘ haben, ist möglicher Weise aber auch nur von kurzer Dauer. Wie die "neue Normalität", die im April 2020 in aller Munde war und heute fast schon wieder aus dem Wortschatz verschwunden.

Wenn der "Kontakt" plötzlich gefährlich ist

Die Germanistin Heidrun Kämper, die am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim den Fachbereich "Sprachliche Umbrüche des zwanzigsten Jahrhunderts" leitet, interessieren die gesellschaftlichen Phänomene:

"In anderen Krisen, im Krieg oder so etwas Ähnlichem rückt die Gesellschaft zusammen. Man hilft sich gegenseitig, ist sich gegenseitig Unterstützung. Bei Corona aber ist es so, dass meine Mitmenschen eine potenzielle Gefahr für mich darstellen. Ein Ausdruck wie 'Kontaktperson' hat da auf einmal eine fast angstbesetzte Konnotation. 'Kontaktnachverfolgung' oder auch 'Risiko-Rückkehrer', das sind so Wörter, die eben zeigen, dass gesellschaftlich hier eine Art feindliche Wahrnehmung stattfindet. Das finde ich ein ganz wichtiges Phänomen."
Schild mit Hinweis zur Maskenpflicht in einem Supermarkt.
Wie Corona die deutsche Sprache beeinflusst Die Corona-Pandemie verändert nicht nur den Alltag vieler Menschen, sondern auch die Sprache. "Deutschlands Coronalexikon" verzeichnet bereits rund 600 Wörter und Wendungen, die durch Corona entstanden sind.

Wie mit Wörtern Politik gemacht wird

Derzeit beobachtet Heidrun Kämper darüber hinaus eine ähnliche Situation wie 1968, das Stichwort dabei lautet: Politikverdrossenheit. Damals habe die studentische und die intellektuelle Linke auf eingefahrene Strukturen hingewiesen, und - immer mit dem Grundgesetz in der Hand - gezeigt, wo die Nachkriegsdemokratie mit dem Grundgesetzt nicht vereinbar war. Heute sehe man Ähnliches, allerdings unter politisch ganz anderen Voraussetzungen, bei der AfD. Die Partei versucht, Begriffe wie "direkte Demokratie" oder "Establishment" für den eigenen Diskurs zu kapern. Die Umwidmung oder Neudeutung von Wörtern sei eine ganz übliche Strategie in der Politik, so Kämper:
"Man will damit versuchen, sich in einen bestimmten semantischen Kontext einzufügen, um eben von den entsprechenden Konnotationen dieser Wörter zu profitieren. Die AfD zum Beispiel hat in ihrem Grundsatzprogramm den Ausdruck 'Willkommenskultur'. Den Ausdruck kennen wir aus der Zeit der Flüchtlingszuwanderung, und es wurde aufgerufen, eine Willkommenskultur zu entwickeln. Diesen Ausdruck übernimmt die AfD und spricht aber im Kontext der Geburtenrate von 'Willkommenskultur'. Also man sollte Kindern sozusagen eine Willkommenskultur bereiten, damit es eben mehr Geburten gibt in Deutschland."
Man könne das Phänomen beobachten, dass demokratische Partizipation und auch die Sprache radikalisiert würden, auch im Zusammenhang mit Corona. Als Beispiel nennt Kämper "die Demonstrationen, die sich auf demokratische Grundrechte berufen und damit eine ganze Gesellschaft gefährden. Und diejenigen, die sich als Querdenker bezeichnen und sich mit Rechten verbünden, die nun alles andere als demokratisch sind." Dieses Phänomen sei natürlich auch im Zeichen einer Demokratiegeschichte beschreibbar.