11. Dezember 2024
Die internationale Presseschau

Es geht vor allem um die Situation in Syrien. Die lettische Zeitung DIENA befasst sich mit Gewinnern und Verlierern der Entwicklungen:

Syrische Oppositionskämpfer feiern den Sturz der syrischen Regierung in Damaskus
In den Zeitungskommentaren aus dem Ausland geht es weiter um die Situation in Syrien nach dem Sturz der Regierung Assad. (picture alliance / Associated Press / Omar Sanadiki)
"Zu den Verlierern gehört an erster Stelle der Iran, denn sein mühsam aufgebauter schiitischer Transportkorridor bis zur Hisbollah in den Libanon ist durch den Sturz von Assad unterbrochen, und das schränkt die Möglichkeiten von Teheran ein, über schiitische Verbündete seine islamische Revolution zu exportieren. Zu den Verlierern gehört ebenso Russland, das seine Militärbasen in Syrien braucht, um Einfluss in der Region auszuüben. Dagegen ist Israel zumindest kurzfristig der größte Profiteur. Die proiranische schiitische Achse ist deutlich geschwächt, was auch die Aussichten der Hisbollah erheblich schmälert; außerdem ist die israelische Armee auf den Golan-Höhen vorgerückt. Längerfristig stellt sich allerdings die Frage, wie sich die neue syrische Führung gegenüber Israel verhalten wird, denn von gegenseitiger Freundschaft kann hier keine Rede sein", hält DIENA aus Riga fest.
DIE PRESSE aus Österreich mahnt: "Europäische Regierungen sollten sich bewusst machen, dass die Neuordnung, die sich gerade im Nahen Osten vollzieht, auf zwei Mythen basiert: Erstens wird argumentiert, dass die Eliminierung von Hisbollah und Hamas auf lange Sicht Frieden in Israel schaffen würde. Doch selbst wenn deren Zerstörung gelingen sollte, verheißt die Nachbarschaft zu sunnitischen Islamisten nichts Gutes für eine friedliche Koexistenz zwischen Juden und Muslimen. Zweitens präsentieren sich die Anführer einiger islamistischer Rebellengruppen häufig als 'gemäßigt'. Auch diese Selbstzuschreibung ändert nichts an der Tatsache, dass die Schaffung eines Kalifats das vorrangige Ziel der Kämpfer ist. Die Rechte von Frauen und religiösen Minderheiten sind nachrangig oder von keinerlei Bedeutung", hält DIE PRESSE aus Wien fest.
Die chinesische Zeitung JIEFANG RIBAO blickt auf die Zukunft Syriens unter der neuen Führung: "Die Übergangsregierung mit Mohammed al-Bashir als geschäftsführendem Premierminister hat offiziell die Macht übernommen. Der neue Regierungschef war vor seinem Eintritt in die Politik als Hochschullehrer tätig. Mit der Besetzung dieses Postens mit einem Technokraten will die bisherige Opposition vermitteln, dass sie keine Züge einer terroristischen Vereinigung trägt, sondern ein inklusives, pluralistisches und säkulares System errichten möchte. Entscheidend für die weitere Entwicklung in Syrien wird sein, ob sich in der losen Koalition der Sieger extremistische oder gemäßigte Kräfte durchsetzen werden. Ihre militärische Stärke wird ebenfalls ein äußerst wichtiger Faktor sein. Davon wird abhängen, ob stabilen Verhältnissen der Weg geebnet und das neue Regime von der internationalen Gemeinschaft anerkannt werden kann", schreibt JIEFANG RIBAO aus Schanghai.
Die russische Zeitung KOMMERSANT hält auch neue bewaffnete Konfrontationen für möglich: "Die Syrer müssen aktuell eine Zeit der Umverteilung des Eigentums und einen Machtkampf zwischen Anti-Assad-Gruppen durchleben. Ein Szenario wäre ein Krieg aller gegen alle, gefolgt vom Einfrieren des Konflikts und der Zersplitterung des Landes entlang ethnisch-konfessioneller oder Stammesgrenzen in mehrere quasi-staatliche Einheiten. Im günstigsten Fall setzen sich die Kriegsparteien schnell an den Verhandlungstisch, um sich über die Aufteilung von Macht und wirtschaftlichen Ressourcen zu einigen. Aber werden die ehemaligen Rebellen in der Lage sein, das zerstörte Land effektiv zu regieren? Die Erfahrung muslimischer Regierungen in Tunesien und Ägypten hat gezeigt, dass eine Herrschaft, die mit Wahlen und schönen Versprechungen beginnt, oft in einer Wirtschaftskrise und militärischen Eingriffen in die Politik endet", heißt es im KOMMERSANT aus Moskau.
Die schwedische Zeitung DAGENS NYHETER geht auf den gestürzten syrischen Präsidenten ein: "Die Taten Baschar al-Assads lassen sich mit wenigen Worten beschreiben: Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das ist nicht zuletzt deutlich geworden, als die syrischen Rebellen in einer Stadt nach der anderen die Türen der vielen Gefängnisse des Regimes öffneten. Heraus taumelten Menschen, die teilweise Jahrzehnte eingesperrt gewesen waren, viele mit Spuren der Folter. Die Hoffnung auf ein freieres, demokratischeres Syrien wurde zunichte gemacht, als der arabische Frühling begann und Menschen anfingen, das Regime zu kritisieren. Ab da führte Assad ein Terrormodell ein, das international seinesgleichen suchte. Insofern ist es nur verständlich, dass so viele Syrer nach Assads Sturz außer sich vor Freude sind", schreibt DAGENS NYHETER aus Stockholm.
Die türkische Onlinezeitung T24 gibt zu bedenken: "Assad wäre nicht so leicht gestürzt worden, wenn der Krieg in der Ukraine Russland nicht so sehr abgelenkt hätte. Eine wichtige Rolle hat wohl auch gespielt, dass Israel den Stellvertretern des Iran, der Hisbollah-Miliz, den Todesstoß versetzt hat. Die Rebellenallianz HTS hat dies offensichtlich ausgenutzt. Sie bewaffnete sich, baute eine reguläre Armee auf und bereitete gemäßigte Botschaften vor, die der Welt vermittelt werden sollten. Die Türkei hat diese Entwicklungen teils geduldet, teils unterstützt. Aber ob Ankara vorhergesehen hat, dass sich die Dinge so schnell entwickeln und zum Sturz Assads führen würden? Denn der Plan der türkischen Regierung war bis zuletzt, sich mit einem geschwächten Assad an einen Tisch zu setzen. Insofern bleibt ein ernsthaftes Fragezeichen, inwieweit die HTS in der kommenden Zeit mit Ankara harmonieren wird", notiert T24 aus Istanbul.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG schreibt zur Debatte um die Rückkehr syrischer Flüchtlinge: "Wenn die Euphorie über den Sieg verklungen ist, stellt sich die Machtfrage. Es ist deshalb richtig, dass viele europäische Staaten entschieden haben, die Bearbeitung der Asylgesuche von Syrerinnen und Syrern vorerst auszusetzen. Es geht bei diesen Verfahren ja genau darum, die Gefährdung von Personen vor dem Hintergrund der Lage in ihrer Heimat einzuschätzen. Das ist in einem Moment des Umbruchs unmöglich. Es ist ebenfalls richtig, dass die Behörden den Aufenthaltsstatus von Syrern neu überprüfen wollen, sollte sich die Lage tatsächlich zum Besseren wenden. Der Sturz Assads hat die syrischen Gemeinschaften in Europa in ein Wechselbad der Gefühle gestürzt. Die Hoffnung auf einen Neuanfang mischt sich mit der Sorge, dass eine neue Runde der Gewalt bevorsteht. Gehen oder bleiben? Bei den meisten lautet die Antwort wohl: abwarten." Das war die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz.
Die pan-arabische Zeitung SHARQ AL-AWSAT mit Sitz in London kommentiert die israelischen Angriffe auf militärische Ziele in Syrien: "Israel begründet seine Militärschläge und die Ausweitung der Besatzung damit, dass es sich gegen mögliche Gefahren in einer neuen unklaren Situation absichern will. Allerdings wird dieses Vorgehen wohl den gegenteiligen Effekt haben. Denn es erschwert den Erfolg des syrischen Experiments, es demütigt das Land und stärkt diejenigen, die sich der Entwicklung entgegenstellen."
Die spanische Zeitung EL PERIODICO DE ARAGON ergänzt: "Unter anderem führt das israelische Militär jetzt zahlreiche Luftschläge durch, um in Syrien so viele Waffen wie möglich zu zerstören und dadurch zu verhindern, dass sie in die Hände von Islamisten fallen. Das Vorgehen erinnert an den Konflikt mit der Hisbollah im Libanon, und die ständig neuen Kriegsabenteuer dienen für Netanjahu auch dazu, von seinen eigenen Problemen wie den gegen ihn laufenden Korruptionsverfahren abzulenken. Expansion und Besatzung führen dazu, dass sich der Ausnahmezustand für Israel zementiert und eine Rückkehr zur Normalität verhindert wird. Das ist eine altbekannte Strategie des israelischen Premiers, denn auf diese Weise kann er sein Land wie ein Militärkommandant führen, ohne sich an demokratische Regeln halten zu müssen", stellt EL PERIODICO DE ARAGON aus Zaragoza fest, und damit endet die Internationale Presseschau.