30. Juni 2024
Die Presseschau

Heute mit Kommentaren zur Wahl im Iran, dem Präsidentschaftswahlkampf in den USA sowie zum Parteitag der AfD. Zunächst aber ein Blick nach Frankreich, wo heute die erste Runde der vorgezogenen Parlamentswahl stattfindet.

Jordan Bardella steht neben einem Wahlplakat des Rassemblement National
Jordan Bardella ist Parteichef des Rassemblement National. (picture alliance / dpa / MAXPPP / Delphine Goldsztejn)
"Europa kann sich auf etwas gefasst machen, so viel ist sicher", schreibt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG AM SONNTAG aus der Schweiz: "Das Frappierende ist: Die allermeisten europäischen Länder schlagen sich mit denselben Problemen herum wie die Französinnen und Franzosen – Aufstieg der Rechten, massive Zuwanderung, Inflation, Flexibilisierung der Arbeitswelt. Sie tun es nur etwas ruhiger, vermutlich auch produktiver als die Dramaqueen Frankreich. Übertreibung und die Neigung, mit schnellen Entschlüssen Tatkraft zeigen zu wollen, aber nicht unbedingt Weitsicht, haben Tradition in der französischen Politik. Die Welle der Unterstützung für das Rassemblement National von Marine Le Pen erklärt sich durch soziale Gründe. Nicht etwa weil das illiberale Gedankengut der Partei so attraktiv wäre, ihr Rassismus und der Antisemitismus. Le Pens Wähler fühlen sich zurückgesetzt, abgewertet, ohne materielle Sicherheit, mit der sich ein Leben planen liesse. Kaufkraft ist das wichtigste Thema der Wähler im Moment, so zeigen die Umfragen. Immigration folgt mit weitem Abstand. Was verspricht das RN, um das Portemonnaie der Franzosen zu füllen? Lohnerhöhungen und eine radikale Senkung der Mehrwertsteuer auf Treibstoffe und Energie. Die Finanzierung ist offen - und die Bruchlandung der Rechten mit Le Pens Schützling Jordan Bardella, ihrem jungen, wenig lebenserfahrenen Parteichef und Anwärter auf das Amt des Regierungschefs, absehbar. Das verspricht genug Stoff für neue Dramen in Frankreich", vermerkt die NZZ AM SONNTAG.
Im Iran wird in einer Stichwahl über den nächsten Präsidenten entschieden. Dazu vermerkt die chinesische Zeitung JIEFANG RIBAO: "Es bleibt spannend. Die Entscheidung wird zwischen dem Hardliner Dschalili und dem Reformer Peseschkian fallen. Unabhängig vom Wahlausgang wird der neue Regierungschef sowohl innen-, als auch außenpolitisch mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert sein. Innenpolitisch stellt sich vor allem die Frage, wie die Wirtschaft unter Druck der US-Sanktionen zu beleben ist. Und außenpolitisch - neben den belasteten Beziehungen zu Washington - ist der Iran im Konflikt zwischen Israel und dem Hamas involviert. Die Lage in Nahost ist alles andere als überschaubar", stellt JIEFANG RIBAO aus Schanghai fest.
Die iranische Zeitung EBTEKAR unterstreicht: "Die Wahlbeteiligung lag bei nur 39 Prozent - und mehr als eine Million Stimmen waren ungültig. Dass gut 60 Prozent der Gesellschaft nicht teilgenommen haben, sendet eine wichtige Botschaft: Ein breites Spektrum der Gesellschaft zeigt damit offen Protest gegen die aktuelle wirtschaftliche und soziale Lage des Landes. Die Reformisten sollten den Menschen klarmachen, dass ihre Botschaft angekommen ist. Sie sollten auf falsche, inhaltslose und populistische Kampagnen verzichten und hart daran arbeiten, die Wahl zu gewinnen, um Rationalität in diesem Land zu etablieren", fordert EBTEKAR aus Teheran.
Nun zum Präsidentschaftswahlkampf in den USA. Die japanische Zeitung ASAHI SHIMBUN beobachtet: "In ihrem Leitartikel fordert die New York Times Joe Biden auf, sich aus dem Präsidentschaftswahlkampf zurückzuziehen, um 'die Seele der Nation' vor Donald Trump zu schützen. Auch viele andere US-Medien rufen das 'Ende der Ära Joe Biden' aus. Inwieweit die öffentliche Meinung in den USA von solchen Medienkommentaren beeinflusst wird, muss sich erst noch zeigen."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG nimmt ein technisches Detail des Duells in den Blick: "Trumps Mikrofon war ausgeschaltet, während Biden seine Antworten gab. Er konnte nicht dreist reinblöken, wie er es 2020 in unerträglicher Weise getan hatte. Nach der Sendung damals erklärte eine Mehrheit der Zuschauer Biden zum Sieger. Dieses Mal aber ist diese eigentlich gute Neuerung Biden zum Verhängnis geworden. Er hatte die Debatte 2020 nicht wirklich gewonnen, Trump hatte sie verloren. Amerikaner wählen Biden, um Trump zu verhindern. Wer so Wahlkampf macht, muss nicht sich selbst, sondern den anderen vorführen. Und wer Biden dabei Glück wünscht, der muss sich wünschen, dass Trumps Mikrofon immer angeschaltet bleibt. Dass er jeden Tag vor ganz Amerika sein Innerstes zeigt und dass die Menschen noch einmal das kleinere Übel wählen. Wenn Trump Präsident ist, gibt es keinen Moderator mehr, der das Mikrofon ausschaltet. Dann ist Showtime", kommentiert die F.A.S..
DIE PRESSE AM SONNTAG aus Österreich sieht es so: "Europa muss sich nach dieser Woche mit einer Dringlichkeit auf Trump vorbereiten, als wäre die Rückkehr des NATO-Kritikers schon Gewissheit. Einige Vorkehrungen hat die NATO bereits getroffen. Das Bündnis wird künftig selbst die Waffenhilfe für die Ukraine koordinieren. Eine solche Rolle hat es bisher abgelehnt, aus Sorge, tiefer in den Krieg hineingezogen zu werden. Aber die Angst vor einem Ausfall von Koordinator USA unter Trump ist größer. Und bei der Kür von Mark Rutte zum nächsten NATO-Chef hat eine Nebenrolle gespielt, dass der Niederländer einen Draht zum Ex-Präsidenten hat: Man nennt ihn 'Trump-Flüsterer'. Das kann helfen, wenn auch nicht viel", heißt es in der PRESSE AM SONNTAG aus Wien.
Nun zum Parteitag der AfD. In den LÜBECKER NACHRICHTEN ist zu lesen: "In Essen scheint eine neue Partei aufzutreten. Eine 'Altpartei', in der alle Konflikte bereits im Vorfeld abgeräumt sind, in denen die Listenplätze im Hinterzimmer ausgekungelt werden. Sollte aber die AfD bei den Landtagswahlen im Herbst ohne Regierungsbeteiligung dastehen, wird der Burgfrieden nicht lange halten. Denn die Differenzen zwischen den verschiedenen Parteigruppierungen sind nicht beigelegt, sondern nur unter dem Deckel gehalten. Aber die Partei hat seit dem Chaos-Parteitag von 2015 massiv dazugelernt. Niemand kann mehr darauf hoffen, dass sich diese Partei auf dem Weg zur Macht selbst ein Bein stellt. Und wer die Bewerbungsreden hört, kann keinen Zweifel mehr haben, dass sich hier eine offen faschistische Kraft gleichzeitig radikalisiert und professionalisiert. Die AfD ist zwar nicht erwachsen, aber strategisch diszipliniert geworden. Und damit ist sie gefährlicher denn je", heißt es in den LÜBECKER NACHRICHTEN.
Die WELT AM SONNTAG greift den tödlichen Angriff auf einen 20-Jährigen im nordrhein-westfälischen Bad Oeynhausen auf. Der festgenommene Tatverdächtige ist ein 18-jährigen Syrer. "Das Drama von Bad Oeynhausen ist kein Einzelfall. In den rund zehn Jahren seit Beginn der Migrationskrise ist der öffentliche Raum unsicherer geworden, und ausländische Täter sind in den Statistiken überrepräsentiert. Wer diese Fakten ignoriert, um keine Ressentiments zu schüren oder – wie es so blöd heißt – der AfD nicht in die Karten zu spielen, macht einen Fehler. Die Migrationsfrage spaltet das Land, und nicht zu Unrecht hat sich bei vielen Menschen die Meinung verfestigt, die Schattenseiten der Migration würden von Teilen der Politik und Medien wenn nicht verschwiegen, so doch relativiert. Zu einer nüchternen Analyse gehört indes auch, zu sagen, was Quatsch ist. Wenn AfD-Politiker behaupten, man könne die Grenze schließen, wird missachtet, dass die EU-Außengrenze 50.000 Kilometer lang ist und effektiver Grenzschutz angesichts dieser Dimension logistisch gar nicht möglich ist. Wenn behauptet wird, man könne ja einfach 'im großen Stil abschieben' (Zitat Bundeskanzler Olaf Scholz), wird ignoriert, dass dafür die Bereitschaft eines aufnehmenden Staates benötigt wird. Wer also, wie der Kanzler, Illusorisches ankündigt und es dann – logischerweise – nicht umsetzen kann, verspielt weiteres Vertrauen. Von der Einführung konkreter, effektiver Maßnahmen – etwa Drittstaatenlösungen, mehr legale Einreisewege, die konsequente Reduzierung von Pull-Effekten – scheint Deutschland noch ein gutes Stück entfernt", stellt die WELT AM SONNTAG fest.